General a.D. Harald Kujat zur Bundeswehr: „An irgendeinem Punkt bricht das System zusammen und das ist der Fall“

Ex-Verteidigungsministerin von der Leyen würde am "Ende des Schuljahres" nur eine Vier Minus bekommen – und das von Harald Kujat, dem ehemaligen Generalinspekteur der Bundeswehr und einstigen Vorsitzenden des NATO-Militärausschusses. Im Gespräch mit Gabor Steingart sagte er: "Man muss ja als guter Pädagoge immer ermutigen." Anders gesagt: Frau Kramp-Karrenbauer übernahm einen "Scherbenhaufen".
Titelbild
Ein Bild aus dem Jahr 2004: Der damalige Vorsitzende des Militärausschusses der NATO, General Harald Kujat, am 12. September 2004 in Vilnius. Der Militärausschuss der Stabschefs, die höchste militärische Autorität der NATO, besuchte damals Litauen.Foto: PETRAS MALUKAS/AFP/Getty Images
Epoch Times23. Juli 2019

„Wenn die Politik am Ende ist, wenn die Mittel der Diplomatie versagt haben. Wenn auf der Welt die Sprachlosigkeit regiert und der eine dem anderen seine Kampfgeschwader schickt“ – dann sei die Bundeswehr gefragt, sagt der Publizist Gabor Steingart in seinem heutigen Morning-Briefing. Zu schützen sind – als letzte Rückversicherung – 82 Millionen Menschen der Bundesrepublik Deutschland.

Von Ursula von der Leyen und ihren Vorgängern übernahm Annegret Kramp-Karrenbauer jedoch einen „Scherbenhaufen“. So formuliert es Harald Kujat, der ehemalige Generalinspektor der Bundeswehr und einstige Vorsitzende des NATO-Militärausschusses, als Gabor Steingart ihn zum aktuellen Stand der Bundeswehr befragte.

In welchem Zustand ist eigentlich die Truppe? General a.D. Kujat:

Der entscheidende Aspekt ist, dass ihre Vorgänger, nämlich Karl-Theodor zu Guttenberg und Thomas de Maizière, die Bundeswehr in eine andere Richtung aufgestellt haben – weg von der Landes- und Bündnisverteidigung, hin zu Auslandseinsätzen. Also weg von der verfassungsmäßigen Aufgabe.“

So brachte Frau von der Leyen aus dem Familienministerium Rezepte mit, die sich dort bewährt hatten. Die Bundeswehr sei jedoch etwas anderes als ein Familienministerium. Sie verkannte, „wo die eigentlichen Probleme lagen: Personal, Ausrüstung, Rüstung insgesamt und viele Dinge mehr.“ Sie habe lange gebraucht, um zu erkennen, wo die eigentlich wesentlichen Themen liegen, ergänzte Kujat.

Im Laufe der Zeit machten verschiedenste Politiker und Experten immer wieder auf die Probleme der Bundeswehr aufmerksam. So erklärte unter anderem der Wehrbeauftragte des Bundestages, Hans-Peter Bartels (SPD), im Mai 2018, dass die Bundeswehr nicht einsatzfähig sei:

Der Luftwaffe mangelt es an einsatzbereiten Flugzeugen und an Personal. Es werden immer mehr Minderjährige ins Militär geholt, weil es keinen Nachwuchs gibt. Hubschrauberpiloten der Bundeswehr verlieren wegen mangelnder Flugstunden immer wieder ihre Lizenzen. Kaputte Tornados, Eurofighter und Panzer. Die Bundeswehr scheint unter der Leitung von der Leyens zu kollabieren.“

Nur eine Vier Minus – man muss ja als guter Pädagoge immer ermutigen

Harald Kujat würde aus seiner Sicht heraus Ursula von der Leyen daher am „Ende des Schuljahres“ nur eine Vier Minus geben. Er fügte an:

Man muss ja als guter Pädagoge immer ermutigen.“

Im Mai 2018 warf auch der Bundesrechnungshof von der Leyen vor, das Parlament nur unzureichend über die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr zu informieren. So ging aus den Berichten des Ministeriums an den Bundestag „nicht hinreichend deutlich hervor, dass einige Waffensysteme nur eingeschränkt einsatzbereit sind“.

Demnach bewertete das Verteidigungsministerium Waffensysteme der Bundeswehr als einsatzbereit, „obwohl bei manchen Systemen nicht alle Komponenten verfügbar waren oder Ersatzteile fehlten und die Systeme deshalb nur zur Ausbildung genutzt werden konnten“. Die Prüfer kritisierten ebenfalls, dass der jüngste Bericht keinen Zusammenhang zwischen materieller und personeller Einsatzbereitschaft herstelle. Personelle Konsequenzen erfolgten nicht.

Die Bundeswehr sollte ihre verfassungsmäßigen Aufgaben wieder erfüllen können

Und nun? Die größte Baustelle sei, dass die Bundeswehr wieder so aufgebaut werden muss, dass sie ihre Aufgabe wieder erfüllen kann. Insbesondere die „verfassungsmäßigen Aufgaben, militärische Fähigkeiten und finanzielle Mittel müssen wieder in Einklang gebracht werden“, so Harald Kujat.

Die Vorgänger von Frau von der Leyen, also Karl-Theodor zu Guttenberg und Thomas de Maizière setzten die Bundeswehr in Auslandseinsätzen ein. Struktur, Bewaffnung, Ausrüstung und der Personaleinsatz wurden darauf ausgerichtet. Weniger bedacht wurde, dass in Afghanistan die Abnutzung des Materials doch etwas höher ist als in Deutschland. Gleichzeitig wurden die Mittel für die Ausbildung, die Materialerhaltung und die Systemerhaltung reduziert. Der General a.D. stellt fest:

An irgendeinem Punkt bricht das System zusammen und das ist der Fall. Das ist das Ergebnis von Frau von der Leyen. Wir haben die kleinste Bundeswehr, die wir jemals hatten. Wir haben die am schlechtesten ausgerüstete Bundeswehr, die wir jemals hatten. Und wir haben die Bundeswehr mit der niedrigsten Moral.“

Im Afghanistan-Einsatz gibt es unter anderem auch logistische Probleme. Um schweres Gerät nach Afghanistan zu transportieren, ist man auf den Luftweg angewiesen oder das Wohlwollen von Nachbarstaaten, wie der ehemalige Pilot der Lufthansa, Peter Haisenko, schrieb. Ab Januar 2018 stand die russische Chartergesellschaft, die mehr als zehn Jahre lang einen Großteil von schwerer Kampftechnik in Einsatzgebiete wie Afghanistan oder Mali transportiert hatte, nur noch eingeschränkt zur Verfügung.

Gleichzeitig verfügt die deutsche Luftwaffe nicht über strategische Transportflugzeuge, die schwere Geschütze, Panzer, Transport- und Kampfhubschrauber an Bord nehmen könnten. Auch das neue Transportflugzeug A400M sei für einige dieser „Transportstücke in Übergröße“ nicht geeignet. Anders gesagt: Es ist unschwer zu erkennen, dass die Bundeswehr in diesem Fall ein Problem hat, das sie nicht eigenständig lösen kann – nicht nur in Afghanistan.

Es fehlt der „jungen Garde“ an „außen- und sicherheitspolitischem Weitblick“

Harald Kujat schaut eher kritisch auf die derzeitigen Politiker im Bundestag. Einerseits gebe es durchaus „in der jungen Garde“ Bundeswehrexperten, jedoch sind sie nicht gleichzeitig Außen- und Sicherheitspolitiker. Ihnen fehle der „außen- und sicherheitspolitische Weitblick“. Das ist für ihn ein großes Problem, da längerfristige komplizierte Entwicklungen nicht oder zu spät erkannt werden und proaktiv gehandelt werden kann.

Andererseits fehlt für den ehemaligen Generalinspekteur der Bundeswehr das „umfassende Verständnis“. Ein klassisches Beispiel wäre das „völlige Versagen der Bundesregierung auf dem Gebiet der eurostrategischen Nuklearwaffen und der Kündigung des INF-Vertrages“. „Das ist für mich ein unglaubliches Versagen und ein Risiko für unsere Zukunft.“

Harald Kujat sagt: „Der einzige europäische Politiker, der das ausgesprochen hat und offensichtlich auch erkannt hat, war Emmanuel Macron. Was hat die Bundeskanzlerin unternommen? Nichts.“

Im Mai 2011 liefen die Inspektionen innerhalb des INF-Vertrages aus. Es wäre für die Bundesregierung denkbar gewesen, die Inspektionen auf eine Fortsetzung hin zu überprüfen, und es wäre vernünftig gewesen, China während der Entwicklung deren Nuklearwaffen in den Vertrag einzuladen. Für den General ist es fraglich, ob „die sicherheitspolitische Dimension, die mit der Kündigung dieses Vertrages verbunden ist“, überhaupt verstanden wurde.

Aus Sicht des ehemaligen Generalinspekteurs der Bundeswehr wären nun zum einen die offenen Baustellen der Bundeswehr wie die „Gorch Fock“ oder die U-Boote zu bearbeiten. Zum anderen sollte die neue Verteidigungsministerin ein Konzept in Auftrag geben, „wie man die Bundeswehr wieder vom Kopf auf die Füße stellen kann“. General a.D. Kujat fühlt sich weiterhin – nach 46 Jahren als Soldat– verantwortlich für die Bundeswehr und stünde Annegret Kramp-Karrrenbauer als Unterstützung zur Verfügung. (ks)

Das Morning-Briefing von Gabor Steingart kann hier als Podcast angehört werden.



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