Genesenenstatus auf der Kippe? Experten kritisieren deutschen Sonderweg

29 Tage nach einem positiven Corona-PCR-Test beginnt der Genesenenstatus. Anders als in anderen Ländern endet dieser in Deutschland schon 61 Tage später. Die Fraktion von CDU/CSU will das ändern.
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In einem Labor in Hannover werden positive PCR-Tests sequenziert: Es wird nach Corona-Varianten gesucht.Foto: Julian Stratenschulte/dpa/dpa
Von 17. April 2022

Parallel zur gescheiterten Impfpflicht gibt es auch Abgeordnete, die an der aktuellen Dauer des Genesenenstatus rütteln. Mitte Januar wurde der Zeitraum unter Federführung des Robert Koch-Instituts kurzzeitig auf 90 Tage nach positivem Testbefund verkürzt, danach galt er wieder 180 Tage. Seit dem 19. März 2022 ist in Paragraf 22a Infektionsschutzgesetz (IfSG) geregelt, dass ein Genesenenstatus für Personen gilt, die mittels PCR-Test positiv auf SARS-CoV-2 getestet wurden. Der Test muss mindestens 29 Tage und darf höchstens 90 Tage zurückliegen.

Gleichzeitig wurde die Bundesregierung ermächtigt, mit Zustimmung des Bundesrates „nach aktuellem Stand der Wissenschaft und Forschung“ eine abweichende Regelung zu treffen.

Einen Tag vor der Impfpflichtdebatte wurde am 6. April im Gesundheitsausschuss des Bundestages zwei Anträgen der Fraktion CDU/CSU nachgegangen. Darin ging es unter anderem darum, die Dauer des Genesenenstatus wieder auf 180 Tage anzuheben. „Es war ein schwerer politischer Fehler, dass der Genesenenstatus kurzfristig von 180 auf 90 Tage halbiert wurde“, heißt es in dem Antrag. Denn obwohl sich die EU-Mitgliedstaaten auf 180 Tage geeinigt hätten, habe die Bundesregierung einer Halbierung des Zeitraums zugestimmt. Das sei „weder sinnvoll, noch nachvollziehbar.“

Anders als üblich wurde die einstündige öffentliche Anhörung nicht live, sondern erst einen Tag später übertragen. Hier ein Einblick in die Debatte.

Frühere Infektion schützt vor schwerer Erkrankung

Einer der angehörten Sachverständigen war der Virologe Professor Hendrik Streeck, der auch im Corona-Expertenrat der Bundesregierung sitzt. Er erklärte, dass man grundsätzlich zwischen dem Schutz vor einer Reinfektion und einem schweren Verlauf unterscheiden müsse. Die COVID-Impfung könnte vor einem schweren Verlauf schützen, das hätten Studien ergeben. „Aber wir sehen eben auch häufig Infektionen bei zum Beispiel doppelt Geimpften oder Geboosterten, gerade jetzt in der Omikron-Welle“, so Streeck.

Mittlerweile gebe es sehr viele und sehr gute Publikationen aus verschiedenen Ländern, wie gut der Schutz vor einem schweren Verlauf und Infektion nach einer durchgemachten Infektion sei, erklärte der Virologe.

„Zusammenfassend kann man sagen, dass alle bisher vorliegenden Studien zeigen, dass eine durchgemachte Infektion eine ebenso lange, wenn nicht sogar zum Teil einen längeren Schutz vor einer Reinfektion zeigen als bei einer Impfung.“ Allerdings könne man dies für die Omikron-Varianten noch nicht abschließend beurteilen.

In den meisten Studien wird laut Streeck eine Reinfektion definiert als eine Infektion, die mindestens 90 Tage nach einer vorangegangenen Infektion mit SARS-CoV-2 auftritt. Das bedeute aber noch lange nicht, dass nach diesen 90 Tagen auch eine Re-Infektion oder ein schwerer Verlauf stattfindet.

In den Augen des Virologen ist es „nicht sehr wissenschaftlich und auch nicht medizinisch“, einen konkreten Zeitpunkt festzulegen, wann eine Immunität nach Impfung oder durchgemachter Infektion ausläuft. Als Arzt würde er solch eine Aussage eher auf Parameter wie ermittelte Antikörper im Blut stützen.

Fehlende Studien im Sommer nötig

Streeck benannte eine Dunkelziffer für Infektionen, die im Bereich des Eineinhalb- bis Vierfachen liegt. Demnach wären nicht nur 20 Millionen Menschen in Deutschland genesen, sondern mindestens 60 Millionen, die über eine Grundimmunität verfügen.

Man rede immer über eine Impfquote, wobei unklar ist, welche Impfwunschquote erreicht werden müsse, wandte der Virologe ein. Stattdessen müssten Erkenntnisse gesammelt werden, wie viele Menschen eine Grundimmunität – durch Impfung oder Infektion erreicht haben.

Laut Streeck sei es in Deutschland bislang weder gelungen, repräsentative Daten zur Erfassung der Inzidenz als Infektionsgrundlage noch zum Immunstatus zu ermitteln. Üblicherweise führe man solche Studien im Sommer bei niedrigen Infektionszahlen durch, was der Virologie für die kommenden Monate dringend rät. Man müsse in Vorbereitung für den kommenden Herbst wissen, wie viele Menschen einen Immunschutz – entweder durch Impfung oder durchgemachte Infektion – haben.

Genesenenstatus als politisches Instrument

Dr. Thomas Voshaar, Chefarzt der Lungenklinik Bethanien in Moers, erklärte: „In der Medizin und als Kliniker kennen wir eine zeitliche Befristung für so etwas, das wir als genesen bezeichnen, überhaupt nicht. Es handelt sich um eine rein regulatorische Maßnahme.“ Diese sei damals getroffen wurden, um eine Infektion einzuschränken.

In der Praxis habe sich herausgestellt, dass Menschen, die genesen sind, das Gesundheitssystem nicht belasten und nicht auf Intensivstationen auftauchen. Gegenwärtig sei es so, dass auf deutschen Intensivstationen kaum Patienten aufgrund einer Omikron-Infektion behandelt würden. Unter den Lungenärzten sei man sich einig, dass man sich aktuell in einer völlig anderen Phase als beim Alpha- und Deltatyp befinde. Unter Omikron gebe es keine schweren, zum Tode führenden Lungenentzündungen.

Bei der Impfung sei es auch noch nie um die Vermeidung von Infektionen, sondern immer um den Schutz vor schweren Verläufen und die Verhinderung von Todesfällen gegangen. Dieser Schutz werde auch durch durchgemachte Erkrankungen – das, was man als Genesung bezeichnet – erreicht.

Voshaar fragte die Abgeordneten, welches Konzept es gebe, wenn die festgelegte Zeit des Genesenseins ablaufe. Weder mit vorhandenen Studien noch aus klinischer Erfahrung lasse sich begründen, dass Menschen, die eine Infektion durchgemacht haben, schlechter gestellt sind als geimpfte Personen. Die natürliche Infektion, die über Nase und Rachen erfolge, hinterlasse an den Schleimhäuten eine „ganz besondere Immunität“. Diese sei sogar ausgeprägter als die nach einer Impfung.

Immunologe: Geimpfte besser geschützt

Professor Onur Boyma, Klinik für Immunologie, Universität Zürich, erklärte hingegen, dass Geimpfte viel besser gegen COVID-19 geschützt seien als Ungeimpfte. Sie seien auch „kontrollierter geschützt“ als Leute, die sich ohne Impfung mit Corona infizieren.

Selbst wenn Geimpfte sich mit SARS-CoV-2 infizieren – hier spricht man von einem Impfdurchbruch –, komme es laut Boyma in der Regel zu einem milderen Verlauf. Auch das Risiko an Long Covid zu erkranken liege bei Geimpften laut Boyma niedriger.

Rechtswissenschaftler hält deutschen Sonderweg für zulässig

Professor Franz Mayer von der Fakultät für Rechtswissenschaften der Universität Bielefeld kam zu dem Schluss, dass die EU-Mitgliedstaaten Handlungsspielräume in puncto Genesenenstatus haben. Die europäische Vorgabe sei „unverbindlich“.

Wenn der aktuelle Stand der Wissenschaft und Forschung – der als alleinig maßgeblicher Parameter im Infektionsschutzgesetz festgelegt wurde – eine strengere Regelung begründe, könne das Europarecht dem nichts entgegenhalten, auch wenn dort ein Genesenenstatus von 180 Tagen empfohlen wurde.

Schutz vor schwerer Erkrankung bleibt

Professor Matthias Tenbus von der Gesellschaft für Virologie führte an, dass sich das Virus von der Delta- zur Omikron-Variante derart verändert hat, dass der Schutz vor einer Reinfektion sowohl bei zweifach Geimpften als auch nach einer durchgemachten Infektion deutlich nachgelassen hat.

Daraus könnte man schließen, dass sowohl zweifach Geimpfte als auch Genesene wieder zum Infektionsgeschehen beitragen. Für die Unterbrechung von Infektionsketten bedeute dies dann allerdings auch, dass nicht nur der Genesenenstatus auf drei Monate – wie vom RKI erfolgt – verkürzt werden müsse, sondern auch der Impfschutz nach zweifacher Impfung.

Davon unberührt bleibe jedoch, dass geimpfte und genesene Personen weiterhin vor einem schweren COVID-Krankheitsverlauf geschützt sind. Aus Tenbus´ Sicht spreche in der gegenwärtigen Situation nichts dagegen, den Immunitätszeitraum dem der Geimpften anzupassen.

Im Vergleich mit den anderen europäischen Ländern unterscheide sich die in Deutschland vorhandene Virusvariante auch nicht. Es mache daher in der derzeitigen Situation auch keinen Sinn, „sich mit diesen 90 Tagen von den anderen EU-Staaten abzuheben“.

Kinder gehören nicht zur Risikogruppe

Laut Tenbus kann man auch bei Kindern davon ausgehen, dass über einen längeren Zeitraum ein Immunschutz besteht, wobei Kinder ohnehin kaum von schweren Verläufen betroffen seien und damit nicht zur Risikogruppe gehören würden. Im Vergleich zu den Erwachsenen sei der Immunschutz durch Impfung aufgrund der geringeren Dosis zum Teil jedoch schwächer. Trotzdem sei auch hier der Schutz vor schweren Verläufen „sicherlich gegeben“.

Letztlich sei es nicht zielführend, über einen zeitlichen Schutz vor einer Reinfektion von Kindern oder Erwachsenen zu spekulieren. Es gehe allein um die über 60-Jährigen und die chronisch Kranken, die sich bislang weder infiziert, noch impfen lassen haben und somit einem erhöhten Risiko einer schweren COVID-Erkrankung ausgesetzt sind. Es spiele keine Rolle, dass Kinder sich aufgrund ihrer hohen Mobilität wahrscheinlich häufiger reinfizieren.

Wann über den Antrag der CDU/CSU im Bundestag abgestimmt werden soll, war zum Redaktionsschluss noch nicht bekannt.



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