Vergessene Briefwahl-Stimmen werden öffentlich ausgezählt

Am Sonntag atmete Berlin auf. Bei der Wiederholungswahl schienen sich die Pannen von 2021 nicht wiederholt zu haben. Nun sorgt eine nachträgliche Stimmenauszählung für Furore. Sie könnte Folgen haben.
Nach der Wiederholungswahl zum Berliner Abgeordnetenhaus werden bei einer öffentlichen Auszählung Wahlbriefe im Bezirk Lichtenberg nachgezählt.
Nach der Wiederholungswahl zum Berliner Abgeordnetenhaus werden bei einer öffentlichen Auszählung Wahlbriefe im Bezirk Lichtenberg nachgezählt.Foto: Jörg Carstensen/dpa
Epoch Times15. Februar 2023

Wahlhelfer sitzen an Tischen in einem kleinem Raum, sortieren blaue Umschläge und die Stimmzettel darin: Drei Tage nach der Wiederholungswahl in Berlin sind am Mittwoch schon wieder Stimmen ausgezählt worden. Grund: 466 Umschläge von Briefwählern kamen erst am Montag nach der Abstimmung im Wahlamt des Bezirkes Lichtenberg an.

Wählerinnen und Wähler hatten sie pünktlich im Rathaus abgegeben, sie blieben aber aufgrund eines Fehlers beim behördeninternen Transport zunächst liegen. Nun wurden die Stimmzettel, die fünf von sechs Wahlkreise in dem Bezirk betrafen, geprüft, sortiert und gezählt. Denn sie sollen in das Landes-Wahlergebnis noch mit einfließen.

466 zusätzliche Stimmen sind nicht viele im Verhältnis zu mehr als 1,5 Millionen abgegebenen Stimmen am Sonntag. Interessant sind sie aber deshalb, weil nach dem bisherigen vorläufigen Ergebnis der Abgeordnetenhauswahl die SPD auf dem zweiten Platz nur hauchdünn mit 105 Stimmen vor den Grünen auf dem dritten Platz liegt (beide 18,4 Prozent). Dass sich daran etwas ändert, galt zwar als wenig wahrscheinlich – zumal Lichtenberg keine Grünen-Hochburg ist.

Werden die Grünen doch noch zweitstärkste Kraft?

Sollte dennoch der hypothetische Fall eintreten, dass die Grünen doch noch zweitstärkste Kraft im Landesparlament hinter der CDU und vor der SPD werden, hätte das aber weitreichende Folgen. Dann könnten die Grünen bei einer möglichen Neuauflage des Regierungsbündnisses ihrer Partei mit SPD und Linken, das neben CDU-geführten Koalitionen möglich ist, die Regierende Bürgermeisterin stellen. Und die bisherige Regierungschefin Franziska Giffey (SPD) müsste das Rathaus verlassen.

Diese theoretische Möglichkeit sorgte dafür, dass der Andrang von Beobachtern beim öffentlichen Zählen der Stimmen groß war. Interessierte Bürger, Parteianhänger und Journalisten drängten sich in dem kleinen Auszählungsraum und auf dem schmucklosen Flur davor. Helfer ließen sich davon nicht beeindrucken und arbeiteten sich ruhig und konzentriert durch den Papierwust.

Das offizielle Resultat der Auszählung in Lichtenberg steht erst am Montag fest. Dann kommt der Bezirkswahlausschuss zusammen, um das amtliche Endergebnis der Wahlen zum Abgeordnetenhaus und zum Bezirksparlament festzustellen. Zuvor werden auf Basis der Niederschriften aller Wahllokale alle abgegebenen Stimmen noch einmal überprüft, wie Bezirkswahlleiter Axel Hunger erläuterte. Am 27. Februar kommt dann der Landeswahlausschuss zusammen, um das amtliche Endergebnis für ganz Berlin festzustellen.

Für einige Aufregung sorgte der Lichtenberger Fall auch, weil Berlin bei der Wahlorganisation im September 2021 versagte. Wegen schwerwiegender Wahlpannen hatte das Landesverfassungsgericht die Wahl des Abgeordnetenhauses und der zwölf Bezirksparlamente für ungültig erklärt – und eine Wiederholung angeordnet. Damals hatten lange Warteschlangen vor Wahllokalen sowie fehlende, vertauschte oder kopierte Stimmzettel bundesweit Schlagzeilen gemacht.

Landeswahlleiter: Neuer Anlauf weitgehend reibungslos

Beim neuen Anlauf am vergangenen Sonntag lief es nach Angaben von Landeswahlleiter Stephan Bröchler weitgehend reibungslos. Einzelne Fehler passierten zwar, wirkten sich aber auf den Ausgang der Wahl insgesamt nicht aus.

Der Fehler im Umgang mit den Briefwahlstimmen in Lichtenberg könnte – wie es im Fachjargon heißt – hingegen Mandatsrelevanz haben, auch wenn sich am landesweiten Zweitstimmenergebnis nichts ändert. Denn das inoffizielle Resultat der Auszählung am Montag für die Erststimmen im Wahlkreis 3 legt den Schluss nahe, dass es am Ende ein Patt geben könnte zwischen dem CDU-Bewerber Dennis Haustein und der Linken-Kandidatin Claudia Engelmann.

Laut dem am vergangenen Montag verkündeten vorläufigen Wahlergebnis gewann der CDU-Mann das Direktmandat mit 4218 Stimmen und ganzen zehn Stimmen Vorsprung. Nun könnten beide auf exakt dieselbe Stimmenzahl kommen. Sollte sich das bei der Gesamtüberprüfung der Wahlergebnisse so bestätigen, würde das Los entscheiden, wer von beiden in das Abgeordnetenhaus einzieht. Welche Auswirkungen eine mögliche Änderung beim Direktmandat auf Überhang- und Ausgleichsmandate im Parlament hätte, ist offen.

Lichtenbergs Bezirkswahlleiter Hunger nannt den Fehler „ärgerlich“, so etwas könne aber eben auch mal passieren. „Entscheidend ist, dass wir den Fehler korrigieren, wie wir auch andere Fehler korrigieren.“ Genau dafür gebe es die Ergebnisprüfung. (dpa/red)



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