Regierungswechsel
Kanzlerwahl im Bundestag – erste Amtshandlungen: Stellenstreichung und Grenzkontrollen
Es ist die letzte Hürde auf dem Weg zu einer neuen Regierung: CDU-Chef Merz will sich heute im Bundestag zum zehnten Bundeskanzler wählen lassen. Die Mehrheit von Union und SPD ist aber äußerst knapp.

Der Bundestag. Archivbild.
Foto: Sean Gallup/Getty Images
Auf den Tag genau ein halbes Jahr nach dem Bruch der Ampel-Koalition soll die Bildung einer neuen Bundesregierung von CDU, CSU und SPD abgeschlossen werden. CDU-Chef Friedrich Merz stellt sich am Morgen im Bundestag für das Amt des Bundeskanzlers zur Wahl (Sitzungsbeginn 09.00 Uhr). Obwohl das Polster der schwarz-roten Koalition zur erforderlichen „Kanzlermehrheit“ von 316 Stimmen mit zwölf Stimmen recht dünn ist, gilt die Wahl als ziemlich sicher.
Erfolgschancen
Merz muss bei der Kanzlerwahl die absolute Mehrheit aller Bundestagsmitglieder auf sich vereinigen, nicht nur der anwesenden Parlamentarier. Dies wären aktuell mindestens 316 Stimmen. Union und SPD kommen gemeinsam auf 328 Abgeordnete im Parlament – haben also einen Puffer von zwölf Abgeordneten. Dies könnte etwa bei Krankheitsfällen relevant werden, theoretisch auch bei Abweichlern, was aber als relativ unwahrscheinlich gilt.
Allerdings findet die Kanzlerwahl geheim statt. Die Abgeordneten werden dabei einzeln aufgerufen und erhalten die Stimmzettel erst vor Betreten der Wahlkabine ausgehändigt. Wer wie abgestimmt hat, wird auch im Nachhinein nicht veröffentlicht – Abweichler müssten damit auch keine Konsequenzen befürchten. Lediglich die Abgeordneten, die sich vorab entschuldigt haben, werden im Protokoll der Sitzung erwähnt.
Ergibt sich in den ersten beiden Wahlgängen keine „Kanzlermehrheit“ reicht in einem dritten Durchgang die relative Mehrheit – gewählt ist dann, wer die meisten Stimmen erhält.
Klingbeil rechnet nicht mit Abweichlern der SPD
Sowohl Merz als auch der SPD-Chef und designierte Vizekanzler Lars Klingbeil haben sich aber zuversichtlich gezeigt, dass nichts mehr schiefgehen kann. Ausnahmslos alle Abgeordneten seien am Dienstag an Bord, versprach Merz am Montag. Klingbeil sagte über seine Fraktion: „Ich rechne damit, dass wir vollständig sind und ich rechne damit, dass alle mit Ja stimmen.“
Ernennung des neuen Kanzlers
Nach der Wahl werden Merz und seine 17 Bundesminister bis zum Nachmittag von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier nacheinander ernannt und im Bundestag vereidigt. Deutschland hat dann wieder eine Regierung, die eine Mehrheit im Bundestag hinter sich hat und voll handlungsfähig ist.
Sollte Merz wie erwartet die nötige Mehrheit der Stimmen erhalten, wird Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ihn auf Schloss Bellevue zum Bundeskanzler ernennen. Mit der Entgegennahme der Ernennungsurkunde geht die Amtsgewalt auf den neuen Kanzler über.
Nach der Ernennung soll Merz dann im Bundestag seinen Amtseid ablegen. Er will die kommenden vier Jahre mit einer Koalition aus CDU/CSU und SPD regieren, die die SPD-geführte Bundesregierung des bisherigen Kanzlers Olaf Scholz ablöst. Gegen 12.30 Uhr will Steinmeier den neuen Ministerinnen und Ministern ihre Ernennungsurkunden überreichen, um 13.35 Uhr sollen diese im Bundestag vereidigt werden. Um 15.00 Uhr soll Scholz dann seinem Nachfolger Merz offiziell die Amtsgeschäfte im Bundeskanzleramt übergeben.
Erste Kabinettssitzung mit Streichliste für Beauftragte
Die erste Kabinettssitzung soll bereits am Abend stattfinden (18.00 Uhr). Zum Auftakt will Schwarz-Rot ein erstes Versprechen aus dem Koalitionsvertrag einlösen: die drastische Kürzung der Sonderbeauftragten, Beauftragten und Koordinatoren. Nach der Beschlussvorlage, die der Deutschen Presse-Agentur vorliegt, sollen 25 dieser Posten gestrichen werden. Zuerst hatten „Politico“ und die „Süddeutsche Zeitung“ darüber berichtet. Auf der Streichliste stehen unter anderem die Beauftragten für die Meere, den Radverkehr, die feministische Außenpolitik, die „Planung der Zeitenwende“ und für die internationale Klimapolitik.
Dobrindt will sofort Grenzkontrollen verschärfen
Deutlich mehr Aufmerksamkeit wird bekommen, was der designierte Innenminister Alexander Dobrindt zur Eindämmung der irregulären Migration angekündigt hat. „Die ersten Entscheidungen werden nach Amtsantritt an diesem Mittwoch getroffen. Dazu werden die Grenzkontrollen hochgefahren und die Zurückweisungen gesteigert“, hat der CSU-Politiker in der „Bild am Sonntag“ angekündigt.
Am selben Tag absolviert Merz seine ersten Antrittsbesuche in den Nachbarländern Frankreich und Polen. Warschau ist alles andere als begeistert von den deutschen Plänen zur Kontrolle der Grenzen. Das dürfte Thema beim Treffen von Merz mit dem polnischen Ministerpräsidenten Donald Tusk sein.
Beatles, Bach und „Respect“ beim Zapfenstreich für Scholz
Die Amtsübergabe im Kanzleramt ist für Dienstagnachmittag geplant – unmittelbar nach der Vereidigung des Kabinetts. Der scheidende Kanzler Olaf Scholz war dann 1.245 Tage im Amt. Am Montagabend wurde er auf dem Paradeplatz des Verteidigungsministeriums von der Bundeswehr in Anwesenheit von Merz mit einem großen Zapfenstreich verabschiedet. Das Stabsmusikkorps spielte zum Abschied Beatles, Bach und den Soul-Klassiker „Respect“ für den 66-jährigen SPD-Politiker.
Auf der Tribüne saßen neben seiner Frau Britta Ernst viele Weggefährten seiner drei Regierungsjahre. Einer fehlte aber. Der frühere Finanzminister und FDP-Chef Christian Lindner, den Scholz im erbittert geführten Ampel-Streit über den Haushalt entlassen hatte, blieb der Abschiedszeremonie fern. „Meine Abwesenheit hat keinen politischen Hintergrund. Heute Abend gehen väterliche Pflichten vor“, schrieb er auf X zur Begründung.
Scholz: „Ausdruck demokratischer Normalität“
Den unmittelbar bevorstehenden Regierungswechsel nannte Scholz in seiner Rede einen „Ausdruck demokratischer Normalität“. Es sei in diesen Zeiten „keineswegs normal, dass sich ein solcher Wechsel so zivilisiert, so kollegial und so anständig vollzieht, wie wir das in diesen Tagen hier in Deutschland erleben“, sagte er. Scholz wird nun vom Kanzleramt auf die Hinterbank des Bundestags wechseln und will dort als direkt gewählter Abgeordneter in seinem Wahlkreis Potsdam auch die ganze Legislaturperiode bleiben. (dpa/red)
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