Paragraf fällt – Fragen bleiben
Karlsruhe: Triage-Gesetz war grundgesetzwidrig - Bund überschritt Gesetzgebungskompetenz
Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Triage-Regelung im Infektionsschutzgesetz hat weitreichende Folgen für Medizin und Politik. Karlsruhe erklärte die 2022 eingeführte Vorschrift für verfassungswidrig – und stärkt damit die Freiheit der Ärzte, in Extremsituationen selbst zu entscheiden.

In manchen Notsituationen müssen Ärzte entscheiden, wer zuerst behandelt wird. (Archivbild)
Foto: Daniel Karmann/dpa
In Kürze:
- Karlsruhe erklärt Regelung des Infektionsschutzgesetzes zu Triage-Situationen für nichtig – Bund hatte keine Gesetzgebungskompetenz.
- Ärzte begrüßen Urteil als Stärkung der Berufs- und Therapiefreiheit.
- Regelung von 2022 sollte Benachteiligung von Menschen mit Behinderungen verhindern.
- Gericht: Entscheidungen über medizinische Prioritäten in ärztlicher Verantwortung
Die am Dienstag, 4. November, verkündete Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zu den Triage-Regelungen des Infektionsschutzgesetzes hat unter manchen Ärzten für Aufatmen gesorgt. Besonders Notfall- und Intensivmediziner hatten sich durch diese in ihrer Berufs- und Therapiefreiheit eingeschränkt gefühlt. Aus ihren Reihen kamen auch die nunmehr erfolgreichen Kläger.
In seinem Urteil, das der zuständige Senat bereits am 23. September gefällt hatte, erklärte dieser den gesamten Paragrafen 5c des Infektionsschutzgesetzes für nichtig. Die Regelung sei grundgesetzwidrig, weil dem Bund für Vorgaben dieser Art gar keine Gesetzgebungskompetenz zukomme.
Ärzte wehrten sich gegen staatliche Eingriffe in Notfallmedizin
Mit der Regelung wollte der Bund Ärzten verbindliche Vorgaben für den Fall an die Hand geben, dass die Kapazitäten in einer Pandemiesituation nicht mehr ausreichten, um alle Patienten zu versorgen.
Damit wollte der Bund erstmals gesetzlich vorschreiben, wie Ärzte vorzugehen hätten, wenn Prioritätsentscheidungen bei Behandlungen zu treffen seien. Dabei sollte verhindert werden, dass Menschen mit Behinderungen benachteiligt werden. Dazu eine Regelung zu treffen, hatte das Bundesverfassungsgericht den Gesetzgeber in seinem Beschluss vom 16.12.2021 angehalten.
Die Verpflichtung, gesetzliche Vorgaben zum Schutz besonders gefährdeter Bevölkerungsgruppen zu treffen, ergebe sich für diesen aus Art. 3 Abs. 3 Satz 2 Grundgesetz. Der Gesetzgeber sei dabei berechtigt, einen Katalog von Kriterien aufzustellen, die bei einer Triage-Entscheidung zu beachten seien.
Regelung wurde erst durch das BVerfG angestoßen
Der Beschluss aus 2021 sprach vom „Gesetzgeber“, dem eine solche Regelung obliege. Das BVerfG sagte jedoch nicht explizit, dass damit der Bund gemeint sei.
In der Regelung, die der Bund 2022 ins Infektionsschutzgesetz aufnahm, stand, dass die „aktuelle und kurzfristige Überlebenswahrscheinlichkeit“ von Patienten der einzige Maßstab bei der Triage-Entscheidung sein dürfe. Insbesondere dürften Komorbiditäten nur insofern zum Tragen kommen, als sie diese aufgrund ihrer Schwere oder in Kombination mit dem Behandlungsanlass beeinträchtigten.
Bei der Beurteilung der kurzfristigen Überlebenswahrscheinlichkeit dürften Kriterien, die sich auf diese nicht auswirkten, keine Berücksichtigung finden. Dies verbiete explizit eine Triage-Entscheidung, die sich auf Faktoren wie Behinderung, Alter, verbleibende mittel- oder langfristige Lebenserwartung, Grad der Gebrechlichkeit und Lebensqualität gründe.
Länder können nun Regelung treffen – müssen aber Therapiefreiheit beachten
Explizit untersagt war die Ex-Post-Triage. Diese bedeutet, dass ein Arzt eine bereits begonnene Behandlung eines Patienten abbricht, weil ein neuer Patient mit besserer Prognose eingeliefert wird. 18 Ärzte aus den Bereichen Notfallmedizin und Intensivmedizin hatten sich gegen das Gesetz gewehrt.
Nun hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass zumindest dem Bundesgesetzgeber die Kompetenz zur Regelung in diesem Bereich nicht zukomme. Es gehe in diesem Regelungszusammenhang um Folgen einer Pandemie, nicht um deren Eindämmung. Außerdem greife eine solche Regelung in die Berufsausübungs- und Therapiefreiheit der betroffenen Ärzte ein.
Das BVerfG sieht keine Notwendigkeit einer gesamtstaatlichen Regelung der Zuteilung knapper Ressourcen. Die Regelungskompetenz komme maßgeblich den Ländern zu, es sei möglich, örtlich unterschiedliche Vorgaben für die notwendigen Entscheidungen zu verankern. Im Rahmen therapeutischer Verantwortung sei auch die Entscheidung über das „Ob“ und „Wie“ einer Heilbehandlung den Ärzten selbst zu überlassen. Das Karlsruher Gericht entschied mit sechs zu zwei Stimmen.
Gesetz zu Triage „theoretischer Unfug“ – Überlastungssituationen haben eigene Logik
In den sozialen Medien war die Reaktion auf die Entscheidung uneinheitlich. Ein Nutzer auf X beklagte, dass das BVerfG erst eine Regelung in Auftrag gebe, diese dann aber kippe, weil der falsche Gesetzgeber sie getroffen habe.
Das „Overton-Magazin“ hält das Urteil als solches für „theoretischen Unfug“, der im Fall einer tatsächlichen medizinischen Überlastungssituation unbrauchbar sei. In solchen Fällen müssten personell überlastete Medizinbetriebe immer abwägen, wem bevorzugt zu helfen sei.
Reaktionen in sozialen Medien: Zwischen Unverständnis und Zustimmung
Der Nutzer Heiko B. hält die Debatte ebenso für fruchtlos. Auf der Facebook-Seite des ZDF kommentiert er, es „wurde schon immer triagiert und das nahezu alltäglich“ – etwa wenn die Besatzung eines ersteintreffenden Rettungswagens entscheiden müsse, wer von mehreren Verletzten bei einem Unfall zuerst behandelt werden solle.
Die Aussage „der hier hat nur ein paar Kratzer, der kann warten“ sei qualitativ eine andere als die Entscheidung, wenn von zwei lebensgefährlich Verletzten die größere Chancen habe. Beides sei aber eine Triage.
Ein X-Nutzer, der sein Konto „Libertas“ nennt, begrüßt hingegen das Urteil. Wenn Ärzte künftig wieder frei entscheiden dürften, wie sie in medizinischen Extremlagen handeln, dann sei das „ein Signal – an die Politik und an die Gesellschaft –, dass wir nicht bereit sind, fundamentale Freiheitsrechte zugunsten vermeintlicher Vorsorge oder Steuerung aufzugeben“.
Reinhard Werner schreibt für Epoch Times zu Wirtschaft, gesellschaftlichen Dynamiken und geopolitischen Fragen. Schwerpunkte liegen dabei auf internationalen Beziehungen, Migration und den ökonomischen Folgen politischer Entscheidungen.
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