Ländlicher Osten „blutet aus“: Ökonom schlägt Umsiedlungen innerhalb Deutschlands vor

Müssen überall im Land Menschen leben? Joachim Ragnitz (ifo-Institut) sieht die Möglichkeit, Bewohnern von "sterbenden Siedlungen" Umsiedlungsangebote in die Städte zu machen. Andere warnen vor "angeordneten Umsiedlungen" und damit einhergehendem Totalitarismus.
Titelbild
Ein verfallenes Haus in Görlitz (Sachsen) im Mai 2019.Foto: iStock
Epoch Times16. Juni 2019

Nach einer Erhebung des ifo-Instituts vom April lebten in Ostdeutschland mit 13,6 Millionen Menschen nur noch so viele, wie 1905 im Osten Deutschlands lebten. Auf westdeutschem Gebiet leben mittlerweile dagegen mehr als 68 Millionen Menschen – Anfang des 20. Jahrhunderts waren es nur 32,6 Millionen.

Diese Entwicklung werde häufig übersehen und bedürfe einer besonderen politischen Berücksichtigung. Der ländliche Raum im Osten sei regelrecht ausgeblutet und müsse speziell gefördert werden, erklärte ifo-Forscher Felix Rösel.

Kleinere Siedlungen könnten verschwinden

Reint Gropp, Präsident des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung in Halle (IWH), ist daher  der Meinung, das, wenn man die Lebensbedingungen im Osten verbessern will, das in den Städten tun sollte, also dort, wo viele Menschen leben. Nicht auf dem Land, wo das Geld nur wenigen helfe, forderte der Volkswirt. Die Steuerung von Bevölkerungsströmen durch Subventionen grenzen für den Volkswirt „an Planwirtschaft“, berichtet die „Welt“.

Für ihn sei es eine sehr deutsche Eigenschaft zu glauben, man müsse dafür sorgen, dass überall im Land Menschen leben. In seinen Augen sei es allerdings nicht Aufgabe des Staates, für möglichst einheitliche Lebensbedingungen im ganzen Land zu sorgen, erklärt Groop.

Ausweg: Umsiedlung in nächstgrößere Städte

Auch Joachim Ragnitz, stellvertretender Leiter der Niederlassung Dresden des Münchner Instituts für Wirtschaftsforschung (ifo), erwartet, dass „kleinere Siedlungen verschwinden“ könnten. Für ihn ist eine mögliche politische Lösung, dass Anwohnern von sterbenden Siedlungen das Angebot zur Umsiedlung in die nächstgrößere Stadt gemacht wird, z.B. indem man den Umzug bezahlt.

Das wäre in den Augen von Ragnitz besser als Subventionen in „sterbende Regionen“ zu stecken. In der Stadt könnten sie dann „eine moderne Infrastruktur nutzen, die alle Bedürfnisse des täglichen Lebens erfüllt“, so Ragnitz. Statt um jedes Dorf zu kämpfen, sollten die zuständigen Politiker so versuchen, den Prozess der Abwanderung zu beeinflussen, forderte der Ökonom gegenüber der „Welt“.

Ein älterer Mann bewässert im Hochsommer einen Baum an einer Dorfstraße. Foto: Sean Gallup/Getty Images)

Totgesagte Regionen können sich erholen

Karl-Heinz Paqué, ehemaliger Finanzminister in Sachsen-Anhalt, sieht dies anders. Er fordert den Erhalt der gefährdeten ostdeutschen Regionen. Für ihn zeige die Erfahrung, dass sich Regionen, die schon totgesagt waren, wieder erholt hätten, so Paqué zur „Welt“. Zudem hält er wenig von „angeordneten Umsiedelungen“.

Für ihn hätten sie etwas Totalitäres, erklärte der Vorstandsvorsitzende der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung. Seiner Ansicht nach würden gleichwertige Lebensverhältnisse zudem dazu beitragen, dass „die politischen Spannungen nicht weiter zunehmen“, so Paqué gegenüber der „Welt“.

Ländliche Räume sind wichtig

Auch Eric Schweitzer, Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), warnt vor einer Verstädterung. Seiner Meinung nach seien ländliche Räume wichtige Standorte für Hunderttausende Betriebe aus zahlreichen Branchen. Für ihn müsse der Staat mehr Anreize für privatwirtschaftliche Investitionen in ländlichen Regionen schaffen. Dazu forderte Schweitzer weniger Bürokratie, mehr E-Government und schnellere Internetverbindungen.

Von 1949 bis zum Mauerbau 1961 hatten zahlreiche gut ausgebildete Menschen den Osten verlassen. In der DDR stagnierten dann die Einwohnerzahlen – während der Westen auch durch Zuwanderung dazugewann. Der nächste große Einschnitt im Osten folgte dann laut ifo-Institut durch die Abwanderung nach 1989. Vor der deutschen Teilung hätten sich Ost- und Westdeutschland dagegen nahezu parallel entwickelt.

Eine alte Bahnstrecke. Foto: iStock

Der Wegzug junger Menschen und Familien aus ländlichen Regionen zwischen Ostsee und Erzgebirge und die gleichzeitige zunehmende Verdichtung von Menschen in vielen hauptsächlich westdeutschen Städten ist auffällig und stellt Deutschland vor großen Herausforderungen.

So sorgt der Zuzug gerade in deutsche Großstädte im Westen für hohe Lebenshaltungskosten und zum Teil enorm steigende Mieten, während es in ländlichen Regionen, zumeist im Osten, Schwierigkeiten gibt, eine normale Infrastruktur aufrecht zu erhalten. (er)



Epoch TV
Epoch Vital
Kommentare
Liebe Leser,

vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.

Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.

Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.


Ihre Epoch Times - Redaktion