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„Superregulierung“ der EU

Michael Kretschmer warnt vor Brexit-Stimmung in Deutschland

Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer sieht die EU auf einem bedenklichen Kurs: Überbordende Bürokratie, wirkungslose Russland-Sanktionen und wirtschaftliche Selbstschädigung könnten das Vertrauen der Bürger untergraben. In einem Interview schlägt er Alarm – und warnt vor Entwicklungen wie beim Brexit.

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Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer warnt vor wachsender EU-Verdrossenheit.

Foto: Matthias Kehrein/Epoch Times

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Lesedauer: 6 Min.

Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer hat in einem Gespräch mit dem Industrie-Newsletter der Plattform „Politico“ vor einer wachsenden Anti-EU-Stimmung gewarnt. Die EU werde in Teilen der Bevölkerung zunehmend als „teils erdrückend“ im Bereich der Bürokratie wahrgenommen.
Außerdem verfolge Brüssel eine obsessive Sanktionspolitik gegen Russland, die den Kriegsverlauf in der Ukraine nicht beeinflusse, aber eigene wirtschaftliche Chancen vereitele. Kretschmer warnt vor einer Stimmung, wie sie in Großbritannien vor dem Brexit eingekehrt sei:
„Ich fürchte, dass sich deswegen immer mehr Menschen von der EU abwenden. Dazu darf es nicht kommen. Wir haben beim Brexit gesehen, wohin das führen kann.“

Ministerpräsident Kretschmer mahnt Brüssel zu mehr Realitätssinn

Kretschmer nahm das mittlerweile 18. Sanktionspaket der EU gegen Russland zum Anlass, den Sinn der Maßnahmen infrage zu stellen. Die Sanktionen schadeten Deutschland ökonomisch. Man solle den weiteren Bezug von russischem Gas nach dem Ende des Ukraine-Krieges nicht ausschließen.
Es sei sinnvoll, Russland eine „Perspektive für wirtschaftliche Zusammenarbeit und als Rohstofflieferant“ zu eröffnen, äußerte Sachsens Ministerpräsident weiter. Kretschmer hatte diese Position bereits im Jahr 2022 vertreten – sechs Monate nach Beginn der russischen Invasion im Nachbarland.
Der EU legt der Ministerpräsident nahe, sich stärker um die Verbesserung der eigenen Standortqualitäten zu kümmern. Europa dürfe kein „Raum der Superregulierung“ sein. Kretschmer spricht von „überzogenen Umweltauflagen“ und Vorgaben, die nicht zuletzt aus Sicht betroffener Unternehmen keinen erkennbaren Sinn ergeben. Als Beispiel führt er die Lieferkettenrichtlinie an.

Dexit-Stimmung nicht in Sicht – Misstrauen dennoch deutlich über 40 Prozent

Inwieweit derzeit eine „Brexit“-artige Stimmung in Deutschland zu befürchten ist, ist ungewiss. Noch im November des Vorjahres verwies die EU darauf, dass die Zustimmung unter den Bürgern so hoch war wie seit 2007 nicht mehr. Allerdings kommen die EU selbst wie auch die Kommission in dieser Umfrage nicht über 51 Prozent hinaus.
In Deutschland selbst hat sich der Abstand zwischen Bürgern, die der EU vertrauen, und jenen, die dies nicht tun, zuletzt wieder verringert. Dem Statistischen Bundesamt zufolge äußerte im Herbst 2024 mit 49 Prozent weniger als die Hälfte der Befragten, der EU eher zu vertrauen. 46 Prozent gaben eine gegenteilige Antwort.
Zuletzt schwankte die Stimmung mit Blick auf Brüssel häufig. Im Herbst 2023 lag das Vertrauensplus für die EU bei fünf Prozentpunkten, im Sommer 2022 sogar bei sechs. Schon im Frühjahr 2023 hatte sich das Verhältnis umgekehrt. Allerdings steht die EU im Ansehen der Bevölkerung heute deutlich besser da als im Frühjahr 2016. Damals gaben nur 28 Prozent der Befragten an, der EU zu vertrauen, 60 Prozent taten dies nicht.

IW warnte im EU-Wahlkampf vor Austrittsdebatten

Ökonomen warnen vor Dexit-Debatten. Im Vorjahr veröffentlichte das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) eine Studie, der zufolge ein EU-Austritt Deutschlands enorme wirtschaftliche Einbußen erwarten ließe. Bereits nach fünf Jahren würde das Wachstum des BIP um geschätzte 5,6 Prozent geringer ausfallen.
Dies würde einem Verlust entsprechen, wie man ihn von der Corona- oder der Energiekrise kannte. In Zahlen ausgedrückt würde er sich auf etwa 690 Milliarden Euro an Wertschöpfung summieren. Zudem wäre mit einem Verlust von rund 2,5 Millionen Arbeitsplätzen zu rechnen.
Ein Austritt aus der EU würde Deutschland den Ökonomen zufolge vor allem aufgrund der starken Ausrichtung der Wirtschaft auf den Export treffen. Im Jahr 2023 betrug der Anteil der deutschen Exporte in Länder der EU 54,2 Prozent des gesamten Exportvolumens. Dies stellt auch einen deutlichen Unterschied zu Großbritannien dar. Dort sind die USA und China die mit Abstand wichtigsten Exportmärkte.

Kretschmer will subventionierten Strompreis für alle Unternehmen

Sachsens Ministerpräsident mahnte im Gespräch mit „Politico“ auch die Einführung eines Strompreises für die gesamte Wirtschaft in Deutschland an. Dieser müsse „einstellig sein, also zwischen fünf und maximal neun Cent die Kilowattstunde liegen“. Der sächsische Ministerpräsident fordert den subventionierten Strompreis für alle Unternehmen in Deutschland.
Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche hatte einen Industriestrompreis für rund 2.000 besonders energieintensive Unternehmen in Deutschland ins Spiel gebracht. Dieser solle fünf Cent betragen. Bis 2030 wäre einer Leitungsvorlage des Ministeriums zufolge dafür mit Kosten von etwa 10 Milliarden Euro zu rechnen. Dies wäre die Größenordnung der zugesagten Subvention für die mittlerweile auf Eis liegende Ansiedlung von Intel in Magdeburg.
Kretschmers Vorstoß würde Deutschlands Unternehmen einen Rabatt von etwa 73 Prozent auf den derzeitigen durchschnittlichen Strompreis für KMUs im Bereich der Industrie bedeuten. Heute liegt dieser laut BDEW bei 18,31 Cent pro Kilowattstunde. Die Subvention ist aus Kretschmers Sicht nötig, um Wettbewerbsfähigkeit zu ermöglichen. Vonseiten der EU müsste diese erst genehmigt werden.
Ökonom Daniel Stelter warnte bereits 2023 vor einem Industriestrompreis. Auf Dauer lasse sich, so betonte er, durch Subventionen nicht verbergen, dass man strukturell gegenüber Standorten wie den USA nicht mehr konkurrenzfähig sei. Nur wer wirtschaftlich um sein Überleben kämpfe, lasse sich das erforderliche Geld zum wirtschaftlichen Arbeiten vom deutschen Staat erstatten. Wer auch ohne die Subventionen auf dem Markt überlebensfähig sei, gehe dorthin, wo die Energiepreise von sich aus günstig seien.
Reinhard Werner schreibt für Epoch Times zu Wirtschaft, gesellschaftlichen Dynamiken und geopolitischen Fragen. Schwerpunkte liegen dabei auf internationalen Beziehungen, Migration und den ökonomischen Folgen politischer Entscheidungen.

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