Offener Brief an OB: Flüchtlings-Initiativen drohen Arbeit einzuschränken

Titelbild
Asylsuchende warten vor dem Landesamt für Gesundheit und Soziales in Berlin darauf aufgerufen zu werden (Berlin am 9. Oktober 2015).Foto: JOHN MACDOUGALL / AFP / Getty Images
Epoch Times14. Oktober 2015

Ein offener Brief vieler Flüchtlingsinitiativen in Charlottenburg-Wilmersdorf zeigt deutlich: Die Helfer der Hauptstadt sind dabei an die Grenzen ihrer Belastbarkeit zu gelangen. Es wird die Lage in den Flüchtlingsheimen des Stadtbezirks geschildert und die Missstände schonungslos aufgedeckt. Nun drohen die Initiativen die Arbeit einzuschränken.

Sehr geehrter Herr Müller,

Dieses offene Schreiben erhalten Sie im Namen vieler Flüchtlingsinitiativen in Charlottenburg-Wilmersdorf, gemeinsam sind wir mit vielen hundert Helfern im Rathaus Wilmersdorf, der Messehalle, dem Olympiapark, der Eschenallee, Kaiserdamm, Soorstrasse, Rognitzstrasse, der Brandenburgischen Strasse aber auch vor dem LaGeSo aktiv.

Entsetzt haben wir aus der Presse erfahren, dass die Eröffnung der neuen Dependance des LaGeSo in der Bundesallee diese Woche die Anzahl der Menschen nicht steigern wird, die proTag in Berlin als Asylsuchende registriert werden. Nach den veröffentlichten Zahlen werden pro Arbeitstag in Berlin 100 Menschen in der Turmstrasse (demnächst Bundesallee) und 100 Menschen in der Kruppstrasse als Asylsuchende registriert. Allein im Monat September sind über 16.000 geflüchtete Menschen in Berlin neu angekommen von denen danach vermutlich 12.000 nicht als Asylbewerber registriert wurden. Sie haben kein Geld, keinen Krankenschein, keinen Berlinpass um mobil zu sein und viele noch nicht einmal ein Dach über dem Kopf. Die Zugangszahlen werden auch im Oktober auf einem ähnlich hohen Niveau bleiben, damit verlängert sich die Schlange unregistrierter Asylbewerber pro Tag um mindestens 400 Menschen. Selbst wenn wie versprochen, die Zahl der bearbeiteten Fälle bis Ende Oktober auf 450 gesteigert werden soll, reichen diese Kapazitäten nicht aus, die Neuzugänge zu bearbeiten, von einer Abarbeitung des Rückstaus kann gar keine Rede sein.

Dieses „Berliner Modell“ der menschenrechtswidrigen Behandlung geflüchteter Menschen ist in Deutschland einzigartig, nur hier ist die Verwaltung auch nach Monaten nicht in der Lage Kapazitäten aufzubauen, um die Menschen zu registrieren und ihnen damit Zugang zu einer elementaren Grundversorgung zu ermöglichen.

Bitte stoppen Sie sofort die Umzugspläne in die Bundesallee und gestalten Sie sie neu nach den tatsächlichen Notwendigkeiten. Es ist zynisch, die Bundesallee zu einem Prestigeobjekt auszubauen, in dem 100 Asylbewerber an einem Tag das komplette Paket inkl. Asylantrag und evtl. Entscheidung erhalten, während draussen täglich hunderte Menschen mehr unterhalb des Existenzminimums warten müssen. Die nach aussen deutlich sichtbare Verbesserung der Arbeit der BUL seit Einrichtung der Task Force Unterbringung zeigt, dass Verhältnisse auch innerhalb von Verwaltungen sich kurzfristig verändern lassen, bitte tun Sie dies jetzt auch bei der Registrierung neu ankommender Menschen!

Es muss jetzt darum gehen, dass mit dem Umzug in die Bundesallee folgende Mindestbedingungen erfüllt werden:

1. Die Kapazitäten neu ankommende Menschen als Asylbewerber zu registrieren, ihnen Taschengeld, Krankenscheine, Berlinpässe und Kostenübernahmen für Unterkünfte auszuhändigen müssen dem tatsächlichen Bedarf entsprechen – in der Bundesallee und in der Kruppstrasse entstehen Kapazitäten 800-1000 Menschen pro Tag neu zu registrieren.

2. Jeder neu nach Berlin kommende Mensch erhält am Tag der Ankunft ein Dach über dem Kopf – unabhängig von der Frage, ob er registriert wurde oder nicht. Zu diesem Zweck entsteht eine rund um die Uhr und auch am Wochenende besetzte Anlaufstelle, von der aus die Menschen in NUK verteilt werden.

3. In dieser Anlaufstelle werden auch Härtefälle identifiziert, die mit Vorrang zu bearbeiten sind.

4. Medizinische Notfälle haben am gleichen Tag noch Zugang zu adäquater medizin. Versorgung in Krankenhäusern und anderen Einrichtungen der Regelversorgung – an der ZAA ist lediglich ein Sanitätszimmer mit Rettungssanitätern notwendig.

5. Jeder neu nach Berlin kommende Mensch erhält in der Bundesallee noch am gleichen Tag eine Wartenummer mit der Aussage darüber, an welchem Tag und um welche Uhrzeit ca. mit dem Aufruf der Nummer zu rechnen ist. Das versetzt die Menschen in die Lage in ihren Unterkünften und nicht vor dem LaGeSo auf ihren Termin zu warten.

6. Es gibt ein geregeltes und zeitlich absehbares System der Abarbeitung des Rückstaus an nicht registrierten Menschen. Die Menschen, die bereits jetzt in NUK untergebracht sind, werden von dort mit Bussen zu zuvor festgelegten Terminen zur Registrierung gebracht, die Registrierung erfolgt dort mit Wartezeiten von max. 4 Stunden.

7. Kein Mensch verbringt länger als eine Woche in Berlin ohne als Asylsuchender registriert zu sein.

Wir als Ehrenamtliche in Charlottenburg-Wilmersdorf sehen sehr gut, vor welche Herausforderungen die Ankunft so vieler Menschen das Land Berlin und insbesondere das LaGeSo stellt. Wir sind als Freiwillige sehr gerne bereit, unseren Teil dazu beizutragen, dass die oben beschriebene Struktur verwirklicht werden kann. Wir sind bereit mit ehrenamtlichen Sprachmittlern Formulare schon einmal vorauszufüllen, um die eigentliche Registrierung zu beschleunigen, wir sind bereit uns schulen und als Freiwillige verpflichten zu lassen bei der eigentlichen Registrierung zu helfen. Wr sind bereit zu helfen die Anlaufstelle für Neuankömmlinge rund um die Uhr und auch am Wochenende mit Hauptamtlichen gemeinsam zu besetzen, wir informieren in den NUKs die Menschen darüber, wie das Registrierungsverfahren läuft, wir investieren viele hundert Stunden pro Tag, um zu helfen die Menschen in den NUKs aufzunehmen und zu versorgen.

Wir sind bereit dem Land Berlin zu helfen seine Verpflichtungen gegenüber schutzsuchenden Menschen nachzukommen.

Aber wir sind nicht bereit

– sinnlos tage- und wochenlang wartende Menschen mit Essen zu versorgen

– Schlafsäcke und Regenplanen an Menschen zu verteilen, die Nachts in der Turmstrasse oder am Bundesplatz campieren

– gestrandete Menschen jeden Abend neu über die Stadt in Privatquartiere zu verteilen

– freiwillige Ärzte zu Barfussmedizin wie im Dschungel einzusetzen, in einer Stadt, die mit Krankenhäusern und medizinischen Einrichtungen hervorragend versorgt ist

– Tausende € an Spendengeldern einzuwerben für Dinge, auf die die Menschen einen gesetzlichen Anspruch haben

– die existenzielle Not der Menschen zu ertragen und zu lindern, die durch falsche Organisationsstrukturen entsteht.

Wir helfen gerne, wenn unsere Arbeit dazu dient, schutzsuchende Menschen menschenwürdig zu behandeln und ihre Lage nachhaltig zu verbessern – deshalb helfen wir auch gerne, wenn es um die strukturelle Verbesserung der Arbeit des LaGeSo geht. Wir sind aber nicht bereit wie Don Quichote gegen die nicht endenwollenden existenziellen Folgen und die eigene Verzweiflung anzukämpfen, die durch das Versagen der Organisationsstrukturen des Landes entstehen, wenn nicht klar ist, dass überhaupt die Absicht besteht, diese Strukturen kurzfristig deutlich zu verbessern.

Mit freundlichen Grüßen

stellvertretend für die Initiativen Willkommen im Westend, Willkommen in Wilmersdorf, Charlottenburg hilft, Initiative Klausener Platz

Amei v. Hülsen-Poensgen

(dk)

Lesen Sie auch:

Festerling fordert Gehorsamsverweigerung von Bundeswehr und Polizei

Offener Brief von Generalmajor an Merkel: "Asyl-Politik ohne Weitsicht"

2. Offener Brief von Generalmajor: Deshalb muss Merkel zum Wohl des Volkes zurücktreten



Epoch TV
Epoch Vital
Kommentare
Liebe Leser,

vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.

Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.

Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.


Ihre Epoch Times - Redaktion