Polizei verlor Halle-Attentäter eine Stunde lang aus den Augen

Die Synagoge war ohne Polizeischutz. Der Attentäter konnte nach seinen Schüssen die Stadt verlassen. Sachsen-Anhalts Innenminister muss jetzt viele Fragen beantworten. Reichlich Kritik erntet Seehofer, der Extremisten in Gamer-Foren aufspüren will.
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Menschen kommen nach einem ökumenischen Gedenkgottesdienst für die Opfer des Terroranschlags in Halle vor der Marktkirche in Halle (Saale) zusammen und stellen Kerzen ab.Foto: Hendrik Schmidt/dpa-Zentralbild/dpa/dpa
Epoch Times14. Oktober 2019

Die Polizei hat den Attentäter von Halle bei seiner Flucht eine Stunde lang aus den Augen verloren. Das berichteten mehrere Landtagsabgeordnete aus einer Sondersitzung des Innenausschusses am Montag in Magdeburg.

Festgenommen wurde er am Ende nicht etwa von Spezialkräften, sondern von zwei Revierpolizisten aus der Kleinstadt Zeitz, wie der SPD-Innenexperte Rüdiger Erben ausführte.

Am vergangenen Mittwoch hatte ein schwer bewaffneter Mann versucht, in die mit mehr als 50 Gläubigen besetzte Synagoge zu gelangen. Als das scheiterte, erschoss er eine 40 Jahre alte Frau und kurz darauf einen 20 Jahre alten Mann in einem nahen Dönerladen. Auf seiner Flucht verletzte der Schütze ein Ehepaar schwer. Ein 27-jähriger Deutscher hat die Tat aus antisemitischen und rechtsextremen Motiven gestanden. Er sitzt in Untersuchungshaft.

Ungeklärt: Wieso konnte der Täter aus Halle flüchten?

Hunderte Menschen kamen in die Marktkirche der Stadt, um der Opfer zu gedenken. „Die Tür hat gehalten – das ist das Wunder von Halle. Doch zwei Menschen mussten sterben – das ist die Wunde von Halle“, sagte der Landesbischof der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland, Friedrich Kramer. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier drückte derweil dem Besitzer des Imbisses, in der 20-Jährige erschossen wurde, telefonisch sein Mitgefühl aus.

Linken-Innenexpertin Henriette Quade beklagte, weiterhin sei die Frage nicht geklärt, warum der Täter aus Halle flüchten konnte. AfD-Fraktionschef Oliver Kirchner sagte, es sei irritierend, dass Landesinnenminister Holger Stahlknecht (CDU) behaupte, bei dem Polizeieinsatz sei alles gut gelaufen. Er kritisierte erneut, dass die Synagoge vor der Tat nicht unter permanentem Schutz stand.

Stahlknecht sagte, er wolle sich bald mit Vertretern der jüdischen Gemeinde in Halle treffen. Zuvor hatte es unterschiedliche Aussagen zu früheren Schutzmaßnahmen für die Synagoge gegeben. Es sei unzutreffend, dass die Polizei den Bitten der Jüdischen Gemeinde in der Vergangenheit stets nachgekommen sei, erklärte etwa der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster. Auch der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde in Halle, Max Privorozki, hatte beklagt, ihm sei erbetener Polizeischutz in der Vergangenheit versagt worden. Er könne nachweisen, dass man keine Bitte um Schutz ausgeschlagen habe, sagte hingegen Stahlknecht.

Wie soll es mit dem Internet weitergehen?

In Berlin denkt die große Koalition unterdessen über neue Maßnahmen gegen die Radikalisierung und Vernetzung von Rechtsextremisten im Internet nach. Der Vorsitzende des Parlamentarischen Kontrollgremiums, Armin Schuster (CDU), sagte, ein Entwurf des Bundesinnenministeriums, der dem Verfassungsschutz Befugnisse zur Online-Durchsuchung und zur Überwachung verschlüsselter Kommunikation geben würde, liege im Justizministerium „seit Monaten auf dem Tisch“, ohne dass viel passiert sei.

SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil sagte hingegen, es sei falsch, dass der Innenminister „jetzt mehr Überwachung der Bürger“ fordere. Nötig seien „eine gute personelle Ausstattung der Sicherheitsbehörden, ausreichend technisches Know-how und eine enge Zusammenarbeit der Behörden – keine Scheinlösungen“.

Für Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) wies ein Sprecher Vorwürfe zurück, der Minister wolle nach dem Anschlag die Gamerszene unter Generalverdacht stellen. „Es geht um die Bekämpfung von schwersten Straftaten und darum, dass wir diese potenziellen Täter – Extremisten oder sonstige Tätertypen – in allen Bereichen finden können, in denen sie sich bewegen“, sagte er.

Erfahrungen zeigten, dass sich bestimmte Täter vorwiegend im Netz aufhielten, um sich zu vernetzen und zu kommunizieren, sagte der Sprecher – auch in Spieleplattformen. „Damit ist in keiner Form beabsichtigt, die gesamte Spielebranche oder Gamerszene in Misskredit zu bringen“, betonte er. Nur weil man ein Spiel spiele, sei man nicht gleichzeitig ein potenzieller Straftäter. Das sei auch die Position Seehofers.

Computerspiel oder Realität

Der Innenminister hatte am Wochenende gesagt: „Viele von den Tätern oder den potenziellen Tätern kommen aus der Gamerszene.“ Daraufhin wurde ihm unter anderem vorgeworfen, er wolle vom Problem des Rechtsextremismus ablenken und Gamer unter Generalverdacht stellen. Der Attentäter von Halle war in der Gamerszene unterwegs. Kurz vor dem Terroranschlag hatte er einen Ablaufplan veröffentlicht, der wie eine verschriftlichte Version eines Computerspiels wirkt.

CSU-Chef Markus Söder sagte, die Gamer seien junge Leute, „die machen da großartige Sachen“. Das sei auch ein wichtiger Wirtschaftszweig. „Generell sind wir froh, dass es die Games-Szene überhaupt gibt.“ Es sei nur wichtig, „hinzuschauen, wo Probleme sind, wie überall“.

Der Sprecher des Innenministeriums betonte, Seehofer wolle Internetprovider zur Meldung strafbarer Inhalte verpflichten, insbesondere bei Hasskriminalität. Im Einzelfall müsse das Bundeskriminalamt (BKA) auch die zugehörigen IP-Adressen erhalten. Zudem müssten Verfassungsschutz und Bundespolizei auch die Quellen-TKÜ durchführen dürfen.

Diese Art der Telekommunikationsüberwachung (TKÜ) ermöglicht es, auch Chats und Sprachnachrichten abzuhören, die verschlüsselt versendet werden. Außerdem sollten Verfassungsschutz und Bundespolizei Möglichkeiten zur Online-Durchsuchung bekommen.

Die CDU-Spitze formulierte ein Maßnahmenpaket gegen rechten Terror. Sie will Betreiber von Internet-Plattformen verpflichten, bei strafrechtlich relevanten Fällen an die Strafverfolgungsbehörden heranzutreten. Außerdem sollen die Löschfristen von Daten auffälliger Personen ausgedehnt werden, „um zu verhindern, dass Extremisten unter dem Radar verschwinden“, nur weil sie eine Zeit lang Periode „unauffällig“ sind. (dpa)



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