„Soli wird fallen, und zwar ganz“: Rechnungshof-Präsident hält Teillösung für verfassungswidrig

Die große Koalition will trotz verfassungsrechtlicher Bedenken bereits am Mittwoch die teilweise Abschaffung des Solidaritätszuschlags beschließen. Im Falle der Verfassungswidrigkeit komme es zu Steuererstattungen in Millionenhöhe, so CSU-Chef und bayerischer Ministerpräsident Markus Söder.
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Der Solidaritätszuschlag wird ab 2021 wahrscheinlich ganz abgeschafft.Foto: Jens Büttner/dpa
Epoch Times21. August 2019

Der Solidaritätszuschlag wurde erstmals 1991 erhoben und war gedacht für die Finanzierung der Wiedervereinigung. Derzeit beträgt der Steuersatz 5,5 Prozent auf die Einkommensteuer. Der Bund nahm in 2018 rund 19 Milliarden Euro ein. Davon entfallen 1,8 Mio. auf Körperschaftsteuer und 17,2 Mio. auf Einkommensteuer (inklusive Steuer auf Kapitalerträge).

Bund macht Gewinn mit Solidaritätszuschlag

Verschiedene Berechnungen kommen zu dem Schluss, dass der Bund mehr über den Solidaritätszuschlag einnimmt als er für die Folgen der Wiedervereinigung ausgibt. Eine Statistik des Bundes der deutschen Steuerzahler ergibt, dass bereits seit 2012 die Einnahmen die Ausgaben übersteigen. Reiner Holznagel, Präsident des Bundes der deutschen Steuerzahler, erinnerte bereits vor einigen Jahren daran, dass der Bund die Interessen der Steuerzahler berücksichtigen müsse und nicht die eigene Gewinnmaximierung.

Uneinigkeit hinsichtlich des „Wie“ der Abschaffung

Die Abschaffung des Solidaritätszuschlages wird allgemein begrüßt und verfassungsrechtlich für notwendig erachtet. Umstritten sind nur Methodik, Umfang und Zeitpunkt der Abschaffung. Finanzminister Olaf Scholz will den Solidaritätszuschlag für 90 Prozent der Steuerzahler ab 2021 abschaffen, weitere 6,5 Prozent sollen ihn ab 2021 nur noch teilweise und 3,5 Prozent in voller Höhe zahlen. Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) dagegen plant eine vollständige Abschaffung des Solidaritätszuschlags bis 2026. Das Konzept von Altmeier konnte sich nicht durchsetzen. Die große Koalition will am Mittwoch die teilweise Entlastung beim Solidaritätszuschlag beschließen.

Obere Mittelschicht von Scholz-Konzept besonders betroffen

Das Konzept von Scholz führe zu einer Art „Reichensteuer für mittlere Einkommen“ – so Stefan Homburg, Direktor des Instituts für öffentliche Finanzen der Universität Hannover. Ursache sei, dass die höchsten 10 Prozent der Reichen nicht entlastet werden sollen und statt einem Freibetrag eine Freigrenze zur Anwendung kommt.

Freigrenze bedeutet, dass ein Betrag bei der Besteuerung nur dann nicht angesetzt wird, wenn der Betrag nicht überschritten wird. Wenn der Betrag über der Freigrenze liegt, wird der Betrag voll angesetzt. Ein Freibetrag wird stets aus der Besteuerung ausgenommen.

Der Grenzsteuersatz im oberen Einkommensbereich der Mittelschicht steige erheblich (sog. „Scholz-Buckel“). Grenzsteuersatz bedeutet, mit wie viel Prozent das Einkommen besteuert wird, das einen gewissen Grenzwert übersteigt. Eine Grenzbelastung dieser Art sei einkommensteuerlich erst ab 250.000 EUR zu finden. Die steuerlichen Auswirkungen seien wie folgt bei einem zu versteuernden Einkommen von

0 bis 65.000:

Der Solidaritätszuschlag fällt bis zum Erreichen der Freigrenze von 16.956 Euro bei Einzelveranlagung (bislang 972 Euro) und 33.912 Euro bei Zusammenveranlagung (bislang 1.944 Euro) nicht an.

Nach Überschreiten der Freigrenze wird der Solidaritätszuschlag innerhalb einer „Milderungszone“ – bei steigendem Einkommen – mit steigendem Steuersatz besteuert. Bei ansonsten voller Besteuerung mit 47 Prozent (also 5,5 Prozent Solidaritätszuschlag) wäre das Einkommen nach Überschreitung der Freigrenze niedriger als das Einkommen vor dem Überschreiten der Freigrenze. Das wäre verfassungswidrig.

65.000 bis 100.000:

Die Besteuerung erfolgt mit 47 Prozent. Das Einkommen wird also stärker besteuert als zuvor.

Über 100.000 Euro:

Die Besteuerung erfolgt progressiv von 47 Prozent auf 44 Prozent innerhalb der „Milderungszone“.

Ab 110.000 Euro:

Die Besteuerung erfolgt wieder mit 44 Prozent.

Andreas Peichl, Leiter des Instituts für Wirtschaftsforschung, urteilt: „Die Verschiebung und Ausweitung der Gleitzone, ab der dann die Steuerpflicht beginnt, führt zu unsinnigen Sprüngen bei den Steuersätzen. Das ließe sich auch anders gestalten. So könnte man beispielsweise mit einem Freibetrag statt einer Freigrenze diese Sprünge verhindern und alle Steuerzahler und auch die Personengesellschaften entlasten.“

Präsident Bundesrechnungshof: Sehr, sehr hohe Wahrscheinlichkeit, dass Soli verfassungswidrig ist

Politikern und Wirtschaftsexperten zufolge sei eine Erhebung des Solidaritätszuschlags über 2020 hinaus verfassungswidrig. Der Solidaritätszuschlag sei jedenfalls mit dem Ende des Solidarpakts II verfassungsrechtlich nicht mehr zu rechtfertigen und sollte mit Wirkung zum 1. Januar 2020 aufgehoben werden, so Hans-Jürgen Papier, ehemaliger Präsident des Bundesverfassungsgerichts.

Auch der CSU-Chef und bayerische Ministerpräsident Markus Söder hat wegen des Verstoßes gegen Gleichheitsgrundsatz Bedenken an der Verfassungsmäßigkeit: „Nach Einschätzung unserer bayerischen Verfassungs-Experten ist die Wahrscheinlichkeit, dass der Solidaritätszuschlag als verfassungswidrig eingestuft und ganz abgeschafft wird, als sehr, sehr hoch einzuschätzen.“ Ebenso warnen der Präsident des Bundesrechnungshof Kay Scheller und der Verband der Gründer und Selbständigen e.V., dass dem Bund Steuerrückzahlungen in Milliardenhöhe drohen. Die Folge sei eine vollständige Kippung und unkalkulierbare Risiken für den Staatshaushalt.

FDP und AfD planen, gegen einen nur teilweisen Abbau zu klagen. Für den Veranlagungszeitraum 2007 ist bereits eine Musterklage vom Bund der deutschen Steuerzahler vor dem Bundesverfassungsgericht anhängig.

Die SPD und das Justizministerium hingegen haben keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Lediglich die Begründung des Gesetzesentwurfes müsse laut Finanzministerium noch nachgebessert werden.

Mögliche Regelung per „Kuhhandel“

Denkbar wäre, dass die Frage der Grundrente und die Abschaffung des Solidaritätszuschlags in einem „unklaren Kuhhandel“ miteinander geregelt und beschlossen werden.

Die Abschaffung des Solidaritätszuschlags wäre jedoch ein passender wirtschaftlicher Impuls. Laut Fuest sollte die für 2021 geplante Abschaffung des Solidaritätszuschlags auf 2020 vorgezogen werden, da in den letzten Monaten die Wahrscheinlichkeit einer Rezession zugenommen habe. Spiegel hingegen spricht sich dafür aus, aus den überschüssigen Einnahmen des Solidaritätszuschlags die „dringenden Probleme des Landes zu lösen“ (wie z.B. Wohnungsbau, frühkindliche Bildung) statt die Abschaffung auf 2020 zu verlagern. (bm)



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