Revolte in Leipzig: Riesenwirbel um Gysi-Auftritt zum 30. Wendejubiläum

Ein ehemaliger SED-Funktionär soll 30 Jahre nach Mauerfall eine Festrede in Leipzig halten? Das stößt vielen Ostdeutschen sauer auf. 70.000 Menschen waren 1989 für das Ende des SED-Regimes auf die Straße gegangen.
Titelbild
Gregor Gysi.
Epoch Times29. Juni 2019

Dass ausgerechnet der ehemalige SED-Funktionär Gregor Gysi zum 30. Jahrestag der friedlichen Revolution in der DDR eine Rede halten soll, stößt vielen – vor allem ostdeutschen – Bürgern auf. Die Leipziger Philharmoniker hatten den Festredner anlässlich ihres Gedenkkonzertes mit dem Titel „Freiheit schöner Götterfunken“ eingeladen.

Um ihre Wut und Empörung kund zu tun, verfassten Bürgerrechtler einen offenen Brief. Zu den Initiatoren gehören Frank Ebert (Robert-Havemann-Gesellschaft), der renommierte Berliner Historiker und DDR-Forscher Ilko-Sascha Kowalczuk und der Bürgerrechtler Uwe Schwabe (Leipziger Bürgerarchiv). Unterzeichnet wurde der offene Brief von rund 500 Menschen, darunter bekannte Persönlichkeiten wie Liedermacher Wolf Biermann, Ex-Stasiunterlagenchefin Marianne Birthler, der Historiker Rainer Eckert. Darin heißt es:

Wir können nicht glauben, dass die Geschichtsvergessenheit bereits so weit fortgeschritten ist, dass nun schon diejenigen zu Festreden eingeladen werden, die Revolution und Einheit mit aller Entschiedenheit zu verhindern suchten“.

Dass die Laudation ausgerechnet in einer Leipziger Kirche geplant sei, sei „zynisch und empörend“.

Im Brief hießt es weiter:

Offenbar ist es nötig, künftig noch entschiedener auf die Verbrechen und die historische Verantwortung der SED hinzuweisen. Das werden wir tun.“

Auch Christian Hirte, Ostbeauftragter der Bundesregierung hält die Auswahl von Gregor Gysi als Festredner am Jahrestag der großen Leipziger Demonstration vom 9. Oktober „für völlig unangemessen,“ sagte er gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). Hirte fügt hinzu:

An diesem Tag haben 1989 Zehntausende Menschen Mut gefasst und ihre Stimme für Veränderungen erhoben. Dass nun ein Politiker reden soll, der 1989 und 1990 alles daran setzte, dass sich das alte System halten kann, ist ein Schlag ins Gesicht der Mutigen“, kritisierte der CDU-Politiker. Dieser Jahrestag müsse „den Menschen gehören, die die Friedliche Revolution initiiert haben, nicht denen, die sie verhindern wollten.“

Gysi antwortet üblicherweise nicht auf offene Briefe. Gegenüber der „Zeit-Online“ sagte der ehemalige Fraktionsvorsitzende der Linksfraktion jedoch: „Die Angst einiger, dass ihnen ihre Bedeutung und ‚ihre‘ Revolution gestohlen werden soll“, sei unbegründet. Gysi verwies darauf, „dass es bei den Demonstrationen am 9. Oktober 1989 in Leipzig nicht um die Herstellung der deutschen Einheit ging“.

Auch Gysi-Biograf Friedrich Schorlemmer steht dem Linken-Politik zur Seite. Gegenüber „Zeit-Online“ sagte Schorlemmer, dass er eine Verhöhnung der Ereignisse durch den Auftritt Gysis in Leipzig nicht erkennen könne. Im Gegenteil:

Auch Gregor Gysi ist in der Friedlichen Revolution befreit worden, befreit auch von den Einmauerungen in einer Ideologie und Praxis des Marxismus-Leninismus.“

Der Theologe verwies auf die Entwicklungen der vergangenen Jahrzehnte: „Die PDS (jetzt Die Linke) ist längst keine Kaderpartei mit einem ideologischen Programm mehr.“

Nach Informationen von „Bild“ wurde Gysi inzwischen wieder ausgeladen.

Stadt Leipzig weist Vorwürfe zurück

Die Stadt Leipzig informierte darüber, dass sie Gregor Gysi nicht als Festredner eingeladen habe. Bei dem Festredner handele es sich um den Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier (SPD). In einem Twitter-Post hatte zuvor der Historiker Hubertus Knabe das Gerücht verbreitet, die Stadt habe Gysi eingeladen. Laut „Bild“ behält sich die Stadt rechtliche Schritte gegen Knabe vor.

Rückblick:

Die SED-Führung hatte hunderttausende treue und loyale Mitglieder und Sympathisanten. Dann kamen täglich Fälle von Amtsmissbrauch und Korruption ans Licht. Das schweigende Volk erhob sich. Menschen flüchteten über Ungarn, Österreich und Westdeutschland, um den widrigen Umständen zu entkommen.

Am 9. Oktober 1989 demonstrierten über 70.000 Menschen aus der ganzen DDR in Leipzig gegen die SED-Herrschaft. Das Regime stand kurz davor, die Demonstration mit militärischer Gewalt niederzuschlagen. Doch aufgrund unerwartet großer Menschenmassen kapitulierten die Einsatztruppen von Armee, Polizei, Staatssicherheit und die SED. Die Diktatur unter der Führung der SED war beendet.

Auf ihrer Sitzung am 8. Dezember 1989 mutierte die SED zur PDS unter Führung von Gregor Gysi. Laut „NDR“ hatte Hans Modrow, der frühere DDR-Ministerpräsident, zuvor mit dem damals wenig bekannten Rechtsanwalt eine Strategie entwickelt, um das Parteivermögen, Bargeldbestände, Immobilien, Druckereien und Zeitungen ebenso wie Tausende Mitarbeiter und Arbeitsmaterialien zu retten. Das Argument zum Verlust des Parteivermögens und der Arbeitslosigkeit von 44.000 hauptamtlichen Mitarbeitern zog. Gysi wurde mit 95,3 Prozent der Delegierten zum Vorsitzenden gewählt. Heute sitzt er als Abgeordneter für die Linke-Partei im Bundestag. (sua)



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