Richter: Bei Zuständigkeiten für Asylverfahren in der EU kann man von „Justizlotterie“ sprechen

Der Chef des Verwaltungsrichterverbands, Dr. Robert Seegmüller, geht in einem Interview mit dem "Focus" auf Klagewellen bei den Asylverfahren ein und spricht Mängel im deutschen Justizsystem an.
Titelbild
Justitia-Statue.Foto: istock
Epoch Times4. Juni 2018

In einem am letzten Samstag veröffentlichen Interview mit dem „Focus“ steht Robert Seegmüller, Chef des Verwaltungsrichterverbands zu Fragen und Themen über Mängel in der deutschen Justiz und der enormen Klagewelle bei Asylverfahren Rede und Antwort.

Fehlendes Personal

Der Redakteur merkt an, dass die Zahl der Klagen gegen Asylbescheide seit 2016 auf mittlerweile 230.000 gestiegen, sich also mehr als verdoppelt hat und fragt Herrn Seegmüller, ob angesichts dieser monströsen Zahlen, Deutschlands Verwaltungsgerichte untergehen?

Der Richter meint, dass mit dem derzeitigen Personal an 2100 Richtern, sich pro Jahr etwa 200.000 bis 250.000 Fälle abarbeiten ließen. „Da jedes Jahr zwischen 90.000 und 100.000 Verfahren eingehen, die keine Asylverfahren sind, bauen wir Verfahren auf, sobald die Zahl der asylgerichtlichen Verfahren 100.000 bis 150.000 Verfahren im Jahr übersteigt.“

Derzeit habe sich viel angestaut, es seien rund 400.000 Verfahren anhängig. „Wenn morgen kein einziges Verfahren mehr dazukäme, könnten wir noch zwei Jahre weiterarbeiten“, so der Richter.

Lange Verfahrensdauer

Auch drohe sich die Verfahrensdauer, sofern alles so bleibt wie bisher, zu verdoppeln. „Hauptsacheverfahren dauern derzeit durchschnittlich neun bis zwölf Monate. Eine Verfahrensdauer von unter einem Jahr halte ich für sehr gut. … Wenn Bund und Länder nicht schnell handeln, dann ist demnächst mindestens mit einer Verdoppelung der durchschnittlichen Verfahrensdauer zu rechnen.“

Auf die Frage, ob es eine Klageindustrie gegen Abschiebungen gäbe, so wie es CSU-Politiker Alexander Dobrindt meinte, entgegnet Seegmüller, dass jeder das Recht habe, seinen Asylbescheid gerichtlich überprüfen zu lassen. Jedoch dürfe ein asylgerichtliches Verfahren nicht zum Selbstzweck werden.

„Wenn ein Verfahren nur um des Verfahrens willen betrieben wird, etwa um eine am Ende unvermeidliche Ausreise so lang wie möglich hinauszuzögern und bis dahin den Bezug von Sozialleistungen sicherzustellen, dann ist das mit Sicherheit nicht das, was der Gesetzgeber wollte. Und solche Fälle gibt es leider.“

Justizlotterie

Außerdem sehe er, dass es zu einer Art Justizlotterie gekommen sei. „In manchen Bereichen, etwa wenn es um den Vollzug der Dublin-Verordnung über die Zuständigkeiten für Asylverfahren in der EU geht, kann man schon fast von Justizlotterie sprechen.“

Er beklagt auch, dass es kaum noch „Grundsatzentscheidungen“ gäbe. Die Politik solle in Fällen von grundsätzlicher Bedeutung mehr Rechtsmittel zulassen, damit die Richter wieder „Grundsatzentscheidungen“ treffen können. Denn dann würden „Anwälte wissen, dass sich bestimmte Klagen nicht lohnen“.

Er hofft, dass die Politiker auf seine Mahnungen hören, und wünscht sich ein Recht, das klar und einfach ist. Wenn er sich derzeit beispielsweise den Gesetzesentwurf zum Familiennachzug anschaue, dann habe er große Zweifel, ob das auf Dauer so funktioniere.

„Ich glaube nicht, dass man jede noch so kleine Fallgruppe im Gesetz regeln muss. Dazu neigen Politiker aber mit dem Argument, dass sie eine möglichst große Einzelfallgerechtigkeit herstellen wollen. Einzelfallgerechtigkeit bekommen wir als Richter im konkreten Verfahren aber in der Regel ganz gut hin.“ (rm)



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