Richter und Staatsanwälte sehen Unabhängigkeit der Justiz potenziell gefährdet

Deutschland maßregelt stetig Ungarn und Polen wegen angeblicher Einflussnahme auf die Justiz. Richter und Staatsanwälte sehen jedoch auch hier Defizite.
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Deutsche Richter und Staatsanwälte sehen mehrheitlich ihre Unabhängigkeit gefährdet.Foto: Uli Deck/Symbol/dpa
Von 27. Februar 2023

In Deutschland ist das Rechtssystem nicht gefestigt genug, um nicht zum Ziel politischer Beeinflussung werden zu können. Dieser Überzeugung sind einer Umfrage des Forschungsinstitutes Allensbach zufolge jedenfalls 67 Prozent der 803 bundesweit befragten Richter und Staatsanwälte.

Ein besonderer Dorn im Auge ist den Justizbeamten dabei das Weisungsrecht des Justizministers gegenüber Staatsanwälten. Dieses ist in den Paragrafen 146 und 147 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) geregelt. Es erlaubt dort genannten Dienstvorgesetzten inklusive dem Minister als Behördenspitze, allgemeine dienstliche Weisungen zu erteilen.

Staatsanwälte agieren beispielsweise in den Niederlanden unabhängig

Die Weisungen müssen sich im Rahmen der Gesetze bewegen. Es ist dem Minister nicht erlaubt, konkrete Weisungen zu einzelnen Verfahren oder Ermittlungen zu erteilen. Die Weisungsbefugnisse reichen damit weniger weit als etwa in Österreich. Dort könnte der Justizminister nicht nur über die Oberstaatsanwaltschaft die Einstellung von Verfahren erwirken – wobei mittlerweile einem Weisungsrat ein Kontrollrecht zukommt. Die Weisungen sind allerdings schriftlich zu dokumentieren und zu begründen. Zudem hat dort der Bundespräsident laut Verfassung die Befugnis, Strafverfahren niederzuschlagen.

Auch in den USA sind Staatsanwälte oft direkt der Exekutive unterstellt und können daher auch politischen Einflüssen ausgesetzt sein. In den Niederlanden hingegen gibt es eine unabhängige Behörde, die für die Strafverfolgung zuständig ist und somit eine größere Unabhängigkeit von der Politik aufweist als die deutsche Staatsanwaltschaft. Eine solche unabhängige Behörde wünschen sich auch die von Allensbach befragten Richter und Staatsanwälte für Deutschland.

Außerdem fordern sie eine erweiterte Autonomie der Justiz in Personal- und Haushaltsfragen. Zwei Drittel der Befragten halten es für dringend geboten, die Unabhängigkeit der Justiz durch ein Modell der Selbstverwaltung zu stärken. 85 Prozent fordern zudem, die gesetzliche Weisungsbefugnis der Justizminister gegenüber der Staatsanwaltschaft für konkrete Einzelfälle abzuschaffen.

Keine statistische Erfassung von Weisungen

Eine genaue Statistik darüber, wie oft das Weisungsrecht in Anspruch genommen wird, gibt es nicht. Allerdings ist ein möglicher Versuch des früheren Bundesjustizministers Heiko Maas dokumentiert, politisch motivierten Einfluss auf die Justiz zu nehmen.

Nachdem zwei Blogger als Verschlusssache eingestufte Dokumente des Bundesamtes für Verfassungsschutz veröffentlicht hatten, erstattete dieser Anzeige. Die Bundesanwaltschaft leitete Ermittlungen wegen Landesverrats ein.

Um eine Grundlage für weitere Ermittlungen oder eine Einstellung des Verfahrens zu erhalten, wollte Generalbundesanwalt Harald Range ein externes Gutachten in Auftrag geben. Nach Ranges Darstellung vom 4. August 2015 habe Maas die Weisung erteilt, das „Gutachten sofort zu stoppen und den Gutachtenauftrag zurückzuziehen“. Er sprach von einem „unerträglichen Eingriff in die Unabhängigkeit der Justiz“ und beschuldigte Maas, dieser habe aus Gründen politischer Opportunität so gehandelt.

Das Ministerium bestritt dies. Range und die Staatssekretärin Stefanie Hubig sind dessen Darstellung zufolge „gemeinsam zu der Auffassung gekommen“, dass der Auftrag an einen externen Gutachter obsolet geworden sei. Das Ministerium solle stattdessen selbst kurzfristig eine eigene Stellungnahme erstellen. Dennoch veranlasste die Regierung Merkel zum 1. September 2015, dass der Bundespräsident Range in den einstweiligen Ruhestand zu versetzen.

Der Jurist Gerhard Strate kritisierte damals sogar die Aussagen von Range, da die Gesetzeslage eine postulierte „Unabhängigkeit der Justiz“ für eine Staatsanwaltschaft nicht vorsehe.

EuGH: Deutschland schützt Unabhängigkeit der Staatsanwälte nicht genug

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) sieht dies offenbar anders. Er hat das deutsche System der Weisungsgebundenheit der Staatsanwälte 2019 bemängelt. Dieses könnte insbesondere Rückwirkung auf die Ausstellung des Europäischen Haftbefehls haben. Deutsche Staatsanwälte seien in diesem Bereich nicht unabhängig genug.

Die Bundesregierung will nun die Paragrafen 146 und 147 GVG um einige Klarstellungen erweitern. Demnach soll das Gesetz künftig die Reichweite des Weisungsrechts exakter definieren. Weisungen sollen nur noch zulässig sein, „so weit in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht ein Entscheidungs- oder Beurteilungsspielraum besteht, sowie im Bereich der Ermessensausübung“. Zudem müssten sie „frei von justizfremden Erwägungen“ ergehen.

Außerdem sollen die Dokumentationspflichten strenger werden. Wie in Österreich soll jede Weisung eine schriftliche Bestätigung erfahren.

Richter und Staatsanwälte als verlängerter Arm politischer Opposition?

Strittig bleibt, ob eine Abschaffung der Weisungsrechte von Ministerien gegenüber Staatsanwälten ein wesentlicher Faktor zur Verhinderung unsachlicher Einflussnahme auf die Justiz wäre. Bereits im Zusammenhang mit der Bestellung von Justizbeamten hat die Politik und haben damit die Parteien eine weitreichende Mitsprache. Dies betrifft im Übrigen nicht nur Staatsanwälte, sondern auch Richter bis hinauf zum Bundesverfassungsgericht.

Andererseits bieten Weisungsbefugnisse potenziell auch Möglichkeiten, um einem willkürlichen und ideologischen Rechtsverständnis einzelner Richter und Staatsanwälte entgegenzuwirken. Etwa dort, wo diese mit der Zusammensetzung oder Ausrichtung der gewählten Regierung nicht einverstanden sind und ihre Befugnisse nutzen, um politisch motivierte Ermittlungen oder Anklagen anstrengen.

Erfahrungen aus mehreren Ländern zeigen, dass Justizbehörden umso häufiger zu ideologischer „Weiterentwicklung“ statt bloßer Anwendung von Recht und Gesetz neigen, je stärker eine Gesellschaft polarisiert ist. Staatsanwälte und Richter stehen dann oft im Verdacht, bewusst im Interesse der politischen Opposition zu agieren.

Als Beispiele dienen nicht nur Polen oder Ungarn. Den Verdacht gab es auch in Italien unter Ministerpräsident Silvio Berlusconi, der Türkei der 2000er-Jahre, Österreich in der Ära Kurz oder jüngst Israel unter Premierminister Netanjahu. In den USA gab es zudem spätestens seit Ende der 1960er-Jahre Debatten darüber, inwieweit der Supreme Court die Verfassung als „lebenden Organismus“ interpretieren dürfe.

Missbrauchspotenzial besteht aufseiten der Politik ebenso wie auf jener der Justiz

Den wirksamsten Schutz gegen Übergriffigkeit von Staatsgewalten bietet eine Verfassung, die klare Vorgaben zur Eindämmung der staatlichen Hoheitsgewalt kennt. Je stärker diese jedoch mit Staatszielbestimmungen und anderen doppeldeutigen Anforderungen überfrachtet ist, umso mehr Möglichkeiten eröffnen sich für Missbrauch. Beispiel dafür sind die „Kinderrechte“, deren Aufnahme ins Grundgesetz politische Akteure anstreben. Kritiker befürchten, dass der an den Staat gerichtete Auftrag, diese zu schützen, diesem als Vorwand zur Beschneidung von Elternrechten dienen könnte.

Auf der anderen Seite hat nicht die Politik, sondern das Bundesverfassungsgericht die Umweltschutz-Staatszielbestimmung des Artikels 20a GG zum Anlass genommen, die Macht des Staates über die Bürger massiv auszuweiten. In seinem Urteil zum Klimaschutzgesetz von 2021 gab Karlsruhe der Politik eine Art Blankoscheck für weitreichende Maßnahmen zur Senkung des CO₂-Ausstoßes. Dies sei erforderlich, um vermeintlich unausweichlichen Einschränkungen von Grundrechten künftiger Generationen entgegenzuwirken.



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