RKI-Chef warnt vor Überbewertung der Reproduktionszahl und Corona-Schnelltests: „Dann können Sie fast schon würfeln“

Gesichtsmasken, die "keinen perfekten Schutz" für den Träger darstellen; ein Reproduktionswert, den Bundeskanzlerin Angela Merkel als Maß für Beschränkungsaufhebungen anführt, der aber teilweise überbewertet wird. Darüber und über Corona-Tests und kontrollierte Herdenimmunität sprach Lothar Wieler, Präsident des Robert-Koch-Instituts, in seiner heutigen Pressekonferenz.
Von 28. April 2020

Der Präsident des Robert-Koch-Instituts, Lothar Wieler, hat Kritik an der mittlerweile bundesweiten Maskenpflicht und einer entsprechenden Trageempfehlung des RKI zurückgewiesen. Mund-Nase-Bedeckungen könnten einen „geringen Mehrwert“ bieten, sagte Wieler am 28. April in einer Pressekonferenz. Voraussetzung sei aber, dass die Menschen auch genau wissen, wie sie diese Masken zu tragen haben.

Die Masken sollten unter anderem regelmäßig heiß gewaschen oder gebügelt werden. So könne der Schutz weiterhin gewährleistet werden, sagte Wieler. Die Masken seien „kein perfekter Schutz“, schon gar nicht für den Träger. Aber er schütze Dritte. Wieler warnte allerdings davor, sich durch die Masken in falscher Sicherheit zu wiegen. Er mahnt deshalb weiterhin an, die aktuellen Maßnahmen, wie Abstandsregeln, Kontaktbeschränkungen oder die Nies- und Hustenregeln, einzuhalten. Das sei „das Wichtigste“.

Nach fünf Minuten unterbrach RKI-Pressesprecherin Susanne Glasmacher plötzlich die Konferenz und meldet eine technische Panne. Daraufhin sagte Wieler: „Solange es kein Computervirus ist, ist das alles lösbar.“ Nach wenigen Handgriffen durch einen Techniker war das Problem gelöst und die Pressekonferenz wurde fortgesetzt.

Reproduktionszahl ist nur ein Faktor von vielen

Während seiner weiteren Ausführungen warnte der RKI-Chef mehrmals eindringlich davor, nur an der Reproduktionszahl zu hängen, die derzeit bei Eins liegt. Das bedeutet, dass ein Infizierter durchschnittlich einen weiteren Menschen anstecke. Dabei gäbe es regional große Unterschiede.

Das komplette Infektionsgeschehen sei anhand lediglich dieses Faktors nicht einschätzbar. Wieler erklärte: Wenn man 50.000 Infizierte und einen Reproduktionswert von Eins habe, dann bedeute das, dass 50.000 weitere Menschen angesteckt würden. Dann wäre auch die Reproduktionszahl von Eins, die derzeit in aller Munde sei, nicht von Vorteil. Andersherum hätte der Faktor Eins bei sehr wenigen Infizierten eine andere Aussagekraft.

Umso weniger Infektionen vorhanden seien, desto besser könnten die Gesundheitsämter die Kontakte nachverfolgen und das Infektionsgeschehen eindämmen, betonte der RKI-Chef. Daher könne der Reproduktionswert, der anhand von Schätzungen berechnet wird, nicht als alleiniger Faktor betrachtet werden.

Gute PCR-Tests, schlechte Antikörper-Tests

Bezüglich der Corona-Tests führte Wieler aus, dass der direkte PCR-Test, der eine Infektion mit SARS-CoV-2 nachweist, eine sehr gute Qualität hätte. Vorausgesetzt, die Probe wurde richtig entnommen, würden Ergebnisse mit sehr hoher Genauigkeit angezeigt. Zukünftig werde es wahrscheinlich auch andere Tests geben, die noch validiert werden müssten.

Das bedeute, dass möglichst viele positive und negative Probanden getestet würden, um die Aussagekraft des Tests zu prüfen. Dafür gäbe es in Deutschland unter anderem ein Labor, das von Professor Drosten geleitet wird. Aufgrund seiner „unschätzbaren“ Erfahrungen sei dieser immer wieder in Validierungen involviert.

Anders sei es bei den Antikörper-Tests, bei denen das Blut der Betroffenen untersucht wird. Trotz schlechter Qualität würden viele Tests verkauft werden, da es keiner Zulassung, sondern nur einer Zertifizierung bedarf. „Diese Tests haben sehr unterschiedliche Qualitätsparameter. Es gibt wirklich schlechte Tests“, so Wieler.  Nach seinem derzeitigen Kenntnisstand gäbe es einen mit einer „ganz guten Qualität“. „Den Test verwenden wir deshalb auch selber.“

Nichts sei schlimmer als falsche Ergebnisse

Die anderen Tests hätten „viele Unsicherheiten“. Dass dies große Auswirkungen haben könnte, verdeutlicht der RKI-Chef an einem Beispiel: „Wenn zehn Menschen wirklich Antikörper haben, der Test erkennt aber nur sieben als positiv an, dann ist das eine 70-prozentige Sensitivität.“ Wenn drei von zehn Tests falsch sind, „dann können Sie fast schon würfeln“. Derartige Tests würden ein völlig falsches Bild und eine „völlig falsche Sicherheit“ geben. Wenn daraus Schlussfolgerungen gezogen würden, wäre das „schlecht“.

„Ich kann nur bitten, dass diese Tests von bestimmten Herstellern nicht einfach verkauft werden, ohne dass sie eine klare Qualitätsspezifikation haben. Jeder Mensch, jeder Arzt, jeder Apotheker, der einen solchen Test benutzt oder verkauft, soll sich gefälligst rechtfertigen und soll demjenigen, dem er den Test andient, auch ganz klar erklären, wie gut oder wie schlecht das Ergebnis ist.“

Das sei die Pflicht dieser Menschen und der müssten sie nachkommen. „Denn nichts ist schlimmer als falsche Ergebnisse, aus denen man irgendwelche Rückschlüsse zieht, die im Falle dieser Krankheit auch recht drastisch sein können.“

Kontrollierte Herdenimmunität

Aktuell koche die Debatte um kontrollierte Herdenimmunität  – eine gezielte Durchseuchung der Bevölkerung  – hoch, sagte ein Reporter und fragte nach der Auffassung des RKI. „Wir haben da eine sehr klare Meinung zu“, antwortete Wieler. Diese Meinung würde weltweit von Kollegen, mit dem die Behörde im Austausch sei, bestärkt werden. „Es ist für uns nicht vorstellbar eine kontrollierte Herdenimmunität hervorzurufen.“ Dahinter verberge sich ein „tiefes Verständnis“ über das Virus, auch wenn die Krankheit noch nicht 100-prozentig erkannt worden sei.

Die vorliegenden Informationen würden zeigen, dass das Virus einige Eigenschaften habe, die zu dem Schluss führen würden, dass eine kontrollierte Herdenimmunität nicht riskiert werden könne. Das eine sei die hohe Ansteckungsrate und die schwere Kontrollierbarkeit. „Ein Virus ist ein binärer Organismus. Der holt sich, was er bekommen kann. Das heißt, mit dem können wir nicht verhandeln.“

Wenn SARS-CoV-2 in einen Menschen gelange, würde es sich dort vermehren. Die Ansicht, dass man das kontrollieren könne, halte Wieler für „naiv“. Sollte man tatsächlich ernsthaft über eine kontrollierte Herdenimmunität nachdenken, müsste man überlegen, „wie viele Menschenleben man in Kauf nehmen möchte, wenn man das tut“. Denn SARS-CoV-2 würde sich sehr schnell ausbreiten. Außerdem gäbe es noch kein Medikament, mit dem man das Virus angreifen könne, und auch keinen Impfstoff. Aus diesem Grund sei diese Debatte für den RKI-Chef nicht nachvollziehbar.

„Willkürliche“ Corona-Maßnahmen

Als ein Journalist bezüglich der unterschiedlichen Maßnahmen zur Aufhebung der Beschränkungsmaßnahmen das Beispiel anführte, dass Geschäfte unter 800 Quadratmeter öffnen dürfen und größere nicht, und politische Willkür unterstellt, verweist das RKI auf seine Kompetenz:

„Unsere Rolle ist die, dass wir Empfehlungen geben“, sagte Wieler. Für branchenspezifische Konzepte sei das RKI nicht zuständig. Lediglich Rahmenbedingungen würde das RKI vorgeben. Schließlich gäbe es so viele lokale Besonderheiten zu beachten, die das Institut im Detail gar nicht kenne. Zu detaillierte Vorgaben sieht der RKI-Chef daher als „kontraproduktiv“ an.  Dafür gäbe es die Gesundheitsämter, die die Situation vor Ort besser kennen würden. Zudem liege es in der Verantwortung der Betriebsärzte, an der Erstellung derartiger Konzepte mitzuarbeiten, sagte Wieler und ergänzte:

 Das muss man wirklich den Menschen vor Ort zumuten können und diese Verantwortung müssen sie übertragen… […] Wir haben auch diesbezüglich gar kein Durchgriffsrecht.“

Aktuell rund 42.000 Infizierte meldete das Robert Koch-Institut. Demnach liegen der obersten staatlichen Gesundheitsbehörde insgesamt 156.337 COVID-19-Meldungen abzüglich rund 114.500 Genesenen vor.

In den vergangenen Tagen sind dabei deutlich die Infektionen zurückgegangen – am 26. und 27. April wurden lediglich rund 1.000 Fälle gemeldet. Insgesamt sind bislang 5.913 infizierte Menschen gestorben, 163 mehr als am Vortag. Wie immer wies RKI-Chef Lothar Wieler darauf hin, dass es regional große Unterschiede gäbe. So wären in Bayern 317 Menschen pro 100.000 Einwohner infiziert, in Mecklenburg-Vorpommern 42. (Mit Material von dts und afp)

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