RKI-Chef: „Wer kann, möge zu Hause bleiben“ – Tendenzen sind abzuwarten

"Wir können daher noch nicht abschließend beurteilen, ob die Fallzahlen tatsächlich sinken." Die Disziplin der vergangenen Wochen sollte man weiter halten, "umso schöner wird die Belohnung sein", sagte Lothar Wieler, Präsident des Robert-Koch-Instituts.
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RKI-Präsident Lothar Wieler.Foto: Pool/Getty Images
Von 14. April 2020

„Schön ist, dass unsere Anstrengungen Erfolge zeigen“, sagte Lothar Wieler, Präsident des Robert-Koch-Instituts zu Beginn der Pressekonferenz am 14. April 2020. Aber man dürfe jetzt nicht nachlassen beim Einhalten der Regeln. Nach wie vor gelte: „Wer kann, möge zu Hause bleiben“. Für alle anderen gelte es, Abstand zu halten und die Hygieneregeln einzuhalten. Dies werde auch zukünftig wichtig sein, um die COVID-19-Pandemie abzuschwächen beziehungsweise zu verlangsamen.

Tatsächlich müsse man die weiteren Entwicklungen abwarten. Ein wichtiges Ziel sei jedoch bereits erreicht: Die Grippewelle ist von der COVID-19-Welle „entkoppelt“, was für die Krankenhauskapazität entscheidend ist. Bei der derzeitigen Dynamik werde es genügend Intensivbetten und Beatmungsplätze geben, sagte Wieler.

Die dem Robert-Koch-Institut (RKI) vorliegenden Meldungen deuten darauf hin, dass die Fallzahlen nicht mehr so stark ansteigen. Allerdings haben sich die Zahlen auf einem „relativ hohen Niveau“ eingependelt. Einen eindeutigen Hinweis, dass die Zahlen auch weiterhin zurückgehen würden, gibt es nach Wielers Aussagen noch nicht. Zudem liegen regional starke Unterschiede vor. Aufgrund der Osterfeiertage sei zu erwarten, dass weniger Corona-Tests durchgeführt und weniger Meldungen an das RKI erfolgt seien. „Wir können daher noch nicht abschließend beurteilen, ob die Fallzahlen tatsächlich sinken.“ Die Disziplin der vergangenen Wochen sollte man weiter halten, „umso schöner wird die Belohnung sein“.

Wieler führte an, dass er mit vielen Menschen im Gespräch und im Austausch über die COVID-19-Infektionen stehe. So habe er über Ostern beispielsweise mit Vitali Klitschko, ehemaliger Boxer und aktueller Bürgermeister von Kiew, gesprochen.

Meldungen der Europäischen Gesundheitsbehörde

Im Vergleich zu vielen anderen Ländern würde Deutschland „sehr gut dastehen“. Viele Kollegen würden sich bei dem RKI erkundigen, warum das so ist. Als Gründe führte Wieler in den Gesprächen die Maßnahmen an, die in Deutschland zur Einschränkung der Corona-Pandemie eingeleitet wurden. Dazu weist der RKI-Chef auf die aktuellen gemeldeten Zahlen (Stand 14.4., 10 Uhr) der Europäischen Gesundheitsbehörde (ECDC) hin. Ergänzt hierzu haben wir die Zahlen der Johns-Hopkins-Universität (Stand 14.04.,14 Uhr).

  • 558.000 Fälle in den USA, davon rund 22.100 Todesfälle (329 Millionen Einwohner) – laut Johns-Hopkins-Universität 582.594 Infizierte und 23.649 Todesfälle
  • 166.000 Fälle in Spanien, rund 17.000 Todesfälle (46,7 Millionen Einwohner) – laut Johns-Hopkins-Universität 172.541 Infizierte und 18.056 Todesfälle
  • 157.000 Fälle in Italien, rund 19.900 Todesfälle (60,5 Millionen Einwohner) – laut Johns-Hopkins-Universität 159.516 Infizierte und 20.465 Todesfälle

In Deutschland liegen dem RKI 125.098 gemeldete COVID-19-Fälle vor. Das sind 2.082 mehr als gestern. Hinzugekommen sind seit gestern 170 infizierte Tote, sodass deren Gesamtzahl auf 2.969 steigt. Nach Schätzungen des RKI sind „mehr als die Hälfte der Fälle schon wieder genesen“ – etwa 68.100 Menschen. Aufgrund der Tatsache, dass derzeit mehr Ausbrüche der Erkrankung in Altersheimen und Krankenhäusern gemeldet werden, rechnet das RKI mit einem weiteren Anstieg der Todesfälle.

Um ein vollständiges Bild über die Gesamtsituation der Corona-Pandemie zu erhalten, nutzt das RKI verschiedene Quellen. Mithilfe der nach dem Infektionsschutzgesetz gemeldeten regionalen Fallzahlen modellieren Mathematiker der Behörde die aktuelle und zu erwartende Entwicklung der kommenden Tage. „Zusammengefasst sind Modellierungen immer mit Unsicherheiten behaftet. Aber sie sind ein wichtiger Bestandteil für unsere Einschätzung“, sagte Wieler.

Corona-Tests-Zählweise: Keine Meldepflicht für negative Testergebnisse

Neben den Modellierungen wird auch die Anzahl der durchgeführten Corona-Tests als wichtiger Faktor in die Überlegungen des RKI einbezogen – sowohl die positiven als auch die negativen. Eine zentrale Erfassung gibt es in Deutschland insoweit nicht. „Es gibt nämlich bislang keine Meldepflicht für negative Testergebnisse.“ Dabei sei diese Angabe notwendig um zu wissen, ob tatsächlich mehr Fälle aufgetreten sind oder nur mehr getestet wurde. Auf „freiwilliger Basis“ führt das RKI verschiedene Datenquellen zusammen, um die Lage zu erfassen. Die neuen Zahlen zu den Corona-Tests gibt das Institut morgen bekannt.

Auf die Frage, ob das RKI sich dafür stark gemacht habe, dass es eine Meldepflicht auch für negative Corona-Tests gibt oder ob das Ministerium diese nicht befürworte, antwortet Wieler, dass sich das RKI für derartige Meldepflichten einsetze. „Wir möchten natürlich alle möglichen Informationen gemeldet haben.“ Wenn es beispielsweise elektronische Patientenakten gäbe, dann hätte das RKI sehr, sehr viele Informationen. „Aber eine Meldepflicht hängt von vielen Playern ab.“

Das Infektionsschutzgesetz sei ein zustimmungspflichtiges Gesetz, bei dem die Länder etwas zu sagen hätten und es gebe eine Reihe von Gründen, warum so oder so entschieden werde. „Im Bereich des RKI und des Gesundheitsministeriums gibt es niemanden, der gegen eine Meldepflicht von negativen Diagnosen ist.“

Hinsichtlich der Kritik, warum bislang keine umfangreiche Studie zum Infektionsgeschehen in Deutschland vom RKI unternommen wurde, äußerte Wieler, dass die serologischen Studien in den nächsten ein bis zwei Wochen begonnen werden. „Es macht auch epidemologisch erst Sinn, zu einem bestimmten Zeitpunkt eine Querschnittsstudie zu erheben.“ Wenn man zu früh eine solche Studie erhebe, könne man den Verlauf der Pandemie schlechter einschätzen.

Empfehlung der Leopoldina

Zu der Empfehlung der Leopoldina – in der sich 26 in einer Arbeitsgruppe versammelte Wissenschaftler verschiedener Fachrichtungen unter anderem für eine schnelle Wiedereröffnung von Schulen und eine Maskenpflicht in öffentlichen Verkehrsmitteln aussprachen – sagte der RKI-Chef, dass die Empfehlungen der „Erwartungshaltung“ entsprächen. Es gäbe „gute Gründe für und wider“.

Auch bezüglich der Verpflichtung, Gesichtsmasken zu tragen, wies Wieler nochmals auf die großen Qualitätsunterschiede hin. Ein chirurgischer Mund-Nasen-Schutz könne nicht mit einer handgenähten Mund-Nasen-Bedeckung verglichen werden. Die Materialien und das Gewebe seien unterschiedlich. Eine solche „Bedeckung“ könne nur ein „zusätzlicher Baustein“ sein, der die derzeitigen Corona-Maßnahmen zur Hygiene und Abstandshaltung ergänzt.

Nach Auffassung des RKI wäre es epidemiologisch sinnvoll, zuerst die älteren Schüler zu unterrichten, da diese ein besseres Verständnis für die Abstandsregeln hätten. Die Leopoldina hatte eine Schulöffnung für Grundschüler und die Sekundarstufe eins empfohlen. Letztlich würde die Entscheidung über weitere Maßnahmen von den Politikern getroffen werden, fügte Wieler hinzu. Zudem betonte er, dass es „nach wie vor keine Blaupause“ für die aktuelle Situation  gäbe.

Nach RKI-Einschätzung müssten für die Umsetzung derartiger Empfehlungen bestimmte Voraussetzungen gelten. Insoweit verweist Wieler auf die Reproduktionsrate, die nach Einschätzung der RKI-Forscher derzeit bei 1,2 liegt und auf einen Wert auf oder unter eins sinken müsse. Auch die Anzahl der Infektionen pro Tag über einen Zeitraum von mindestens einer Woche sollten einen gewissen Wert nicht überschreiten.

Immunität noch ungeklärt

Zu dem Phänomen, dass in Südkorea 91 Genesene erneut erkrankt sind, gibt es laut Wieler noch keine gesicherte Erkenntnis, woran dies liege. Zum einen könnte es sich um falsche Testergebnisse handeln. Dass es sich um Re-Infektionen handelt, erscheine derzeit nicht plausibel. Zur Situation befindet sich der RKI-Chef mit einem Kollegen im betroffenen Krankenhaus in Südkorea im Austausch.

Nach wie vor sei auch unklar, ob alle Infizierten immun sind und wie lange sie dann immun bleiben. Darüber gibt es laut RKI eine „große Unsicherheit“. Das werde man erst mit der Zeit erfahren. Auch bezüglich der angestrebten Antikörper-Tests betonte Wieler erneut, dass vorhandene Antikörper nicht automatisch einen Immunstatus bedeuten.

Fehlinformationen zu Obduktionen

Der Kritik, dass das RKI empfohlen habe, keine Obduktion durchzuführen, hielt Wieler entgegen: „Das ist schlichtweg nicht korrekt.“ Es seien verschiedene Dokumente vom RKI erstellt worden, von denen eines einen „missverständlichen Satz“ enthielt. Auf diese Formulierung hätten Pathologen aufmerksam gemacht. Daraufhin wurde dieser Satz korrigiert.

„Wir haben niemals – und das sage ich ausdrücklich – darum gebeten, keine Obduktionen durchzuführen.“ Im Gegenteil hätte Wieler mehrfach in Pressekonferenzen gesagt, wie wichtig Obduktionen seien. Gerade bei gesunden und jüngeren Menschen ohne Vorerkrankungen müsse man wissen, warum diese Menschen verstorben sind.

Gleichzeitig wies Wieler auf seine eigenen Erfahrungen hin, die er drei Jahre in der Pathologie in Ulm gesammelt habe: Es gelinge den Pathologen nicht immer festzustellen, woran eine Person gestorben sei. „Aber Obduktionen sind wichtig.“

Am Mittwoch beraten Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und die Ministerpräsidenten der Länder in einer Telefonkonferenz über das weitere Vorgehen in der Corona-Krise. Die bisherigen Maßnahmen gelten laut gemeinsamer Absprache zunächst bis zum 19. April.

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