Wirtschaftliche Verlustrechnung: Schulversagen bleibt ein Problem – trotz PISA-Aufschwungs

Die Zahl der Schüler ohne Abschluss wurde nicht wie 2006 geplant halbiert, sei aber „deutlich gesunken“, heißt es laut neuester Studie.
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Nach wie vor ist der soziale Hintergrund eines Jugendlichen ein entscheidender Risikofaktor für Schulversagen.Foto: Ralf Hirschberger/dpa
Epoch Times10. Februar 2016
Der PISA-Countdown 2016 läuft. Dieses Jahr wird ausgewertet, was rund 10.000 Schüler hierzulande und gut 600.000 weltweit bei den jüngsten Vergleichstests abgeliefert haben.

In Deutschland, das nach dem „PISA-Schock“ 2001 bildungspolitische Besserung gelobte (und teilweise auch hinbekam), werden OECD-Noten stets mit Spannung erwartet. Zunächst wurde nun eine Schülergruppe speziell unter die Lupe genommen: die besonders leistungsschwachen.

Um welche Schüler geht es in der Studie?

Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) definiert „low performers“ als Schüler, die bei Mathematik, Naturwissenschaften oder Lesen/Textverständnis im PISA-Test teils deutlich unter dem Kompetenzlevel 2 (von insgesamt 6) liegen. Dieses Level 2 gilt als Basis, „um vollständig am Leben in einer modernen Gesellschaft teilnehmen zu können“ – wer das nicht packt, läuft Gefahr, ganz ohne Schulabschluss zu bleiben. PISA-Chefkoordinator Andreas Schleicher erläutert: „Kompetenzniveau 1 – das sind wirklich allereinfachste Aufgaben“, etwa beim Lesen simple Informationen aufzunehmen und beispielsweise einen Beipackzettel zu verstehen.

Wie viele Schüler gehören zu dieser Problemgruppe?

Nach der am Mittwoch veröffentlichten Studie zu den PISA-Tests bis 2012 schaffen ungefähr 13 Millionen Fünfzehnjährige in 64 OECD-Ländern und -Großregionen zumindest in einem der drei Bereiche nicht einmal eine sehr niedrige Kompetenzstufe. Das wäre gut jeder Vierte. Meist waren die Fortschritte der Länder im Test-Jahrzehnt nur gering. Allerdings gibt es nicht immer ganz leicht erklärbare positive Trends in einigen (sehr unterschiedlichen) Ländern wie Brasilien, Russland, Tunesien, Türkei – und auch Deutschland.

Wie hat sich die Situation hierzulande entwickelt?

Wie generell bei PISA-Vergleichen ab 2003, so hat sich Deutschland auch im Bereich Schulversager verbessert – ohne dass es nach Ansicht Schleichers Anlass zur Euphorie gäbe: „Von der Leistungsspitze ist Deutschland immer noch weit entfernt.“ Tatsächlich fielen laut OECD 2012 etwa 140 000 Fünfzehnjährige auf, weil sie in Mathe höchstens das Kompetenzniveau 1 schafften. Jedoch ging der Anteil seit 2003 um vier Prozentpunkte auf 18 Prozent zurück, in Lesen/Textverständnis sogar um acht Punkte auf 14 Prozent. Dem tristen OECD-Durchschnitt sind die Problemschüler in Deutschland nun etwas entkommen.

Was hat die deutsche Bildungspolitik anders gemacht?

Die Kultusministerkonferenz der 16 Bundesländer beschloss 2010 eine „Förderstrategie“ – mit dem Ziel, Leistungsschwächere so zu pushen, „dass der Anteil der Schülerinnen und Schüler, die am Ende ihres Bildungsgangs ein Mindestniveau der Kompetenzentwicklung nicht erreichen, wesentlich reduziert wird“. Nach einer Zwischenbilanz von 2013 erreichten gut fünf Prozent der Neuntklässler in Mathe nicht die Mindeststandards für den Hauptschulabschluss. Die Zahl der Schüler ohne Abschluss wurde nicht wie 2006 geplant halbiert, sei aber „deutlich gesunken“, hieß es. „Ein ganzes Maßnahmenbündel“ habe seit 2003 dazu geführt, dass es in Deutschland weniger Schulversager gebe, meint auch „PISA-Papst“ Schleicher.

Welche Bildungsreformen waren das?

Was nach der Test-Pleite vor 15 Jahren geschah, „kann sich sehen lassen, zumindest für die ersten Jahre“, so Schleicher: Mehr Bildung schon in den Kitas, mehr Ganztagsschulen, eine früher einsetzende „Leistungsdiagnostik“ für Schüler, bundesweite Bildungsstandards, bessere Lehrer-Ausbildung. Hinzu komme eine stärkere Förderung von Migranten – diese Erkenntnisse sind gerade auch mit Blick auf den Andrang von Flüchtlingen ins deutsche Bildungssystem wichtig.

Woran hapert es bei uns noch?

An einem dauerhaften Reform-Schwung. Und nach wie vor bei der Bildungschancen-Gerechtigkeit: Der soziale Hintergrund eines Kindes bestimmt im hohen Maße das Risiko von krassem Schulversagen, „das ist woanders geringer ausgeprägt“. Die OECD-Spitzenränge seien für Deutschland trotz aller Fortschritte noch weit weg, sagt Schleicher. Besonders die chinesische Großregion Schanghai oder Singapur könnten als Vorbilder dienen: „Denen gelingt es, die besten Köpfe für den Lehrerberuf zu gewinnen.“ So würden Defizite auch bei Risikoschülern mit einem schwierigen sozialen Hintergrund spürbar minimiert.

Lohnt sich ein Aufwand wie bei den asiatischen PISA-Champions?

Auf jeden Fall, rechnet die OECD vor. Auf komplette Arbeitsbiografien hochgerechnet, entgingen der deutschen Volkswirtschaft unfassbare 3600 Milliarden Euro an Erträgen, wenn knapp ein Fünftel der Schüler praktisch keine Kompetenzen erwirbt und wegkippt. Nach der Schule gebe es „kaum Chancen, dass Risikoschüler die Defizite im späteren Leben noch aufholen“, warnt Schleicher.

(dpa)


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