Bundestags-Wahlrechtsreform: SPD-Politiker Oppermann will notfalls mit Opposition stimmen

Aus Protest gegen die Blockade in der großen Koalition bei der Reform des Wahlrechts erwägt Bundestagsvizepräsident Thomas Oppermann (SPD) ein Votum für den Gesetzentwurf der Opposition. "Mein Gewissen zwingt mich dazu, am Freitag für den Antrag der Opposition zu stimmen, wenn sich in der Koalition keine Einigung findet", sagte der SPD-Politiker am Montag dem "Spiegel".
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Bundestagsvizepräsident Thomas Oppermann (SPD).Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa
Epoch Times29. Juni 2020

Aus Unmut über die Blockade in der großen Koalition bei der Reform des Wahlrechts erwägt Bundestagsvizepräsident Thomas Oppermann (SPD) ein Votum für den Gesetzentwurf der Opposition. „Mein Gewissen zwingt mich dazu, am Freitag für den Antrag der Opposition zu stimmen, wenn sich in der Koalition keine Einigung findet“, sagte der SPD-Politiker am Montag dem „Spiegel“. Es wäre das erste Mal in seiner 30-jährigen Karriere als Abgeordneter, dass er nicht mit seiner SPD-Fraktion stimmt.

Ein solcher Schritt würde ihm zwar schwer fallen – aber er fürchte einen „schweren Schaden für unsere Demokratie, wenn wir es als Parlament nicht schaffen, die Mandate zu begrenzen“, sagte Oppermann. „Die Demokratie steht ohnehin derzeit unter Druck. Die Blockade der Parteien zum Wahlrecht ist gerade in dieser Zeit ein Spiel mit dem Feuer.“

FDP, Linke und Grüne wollen am Freitag über ihren Gesetzentwurf im Bundestag abstimmen lassen

FDP, Linke und Grüne wollen am Freitag über ihren Gesetzentwurf im Bundestag abstimmen lassen, der eine Reduzierung der Wahlkreise vorsieht. Die Regierungsfraktionen Union und SPD haben bisher keinen gemeinsamen Vorschlag vorgelegt – erst am Wochenende lehnte die CSU einen Vorstoß von Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus (CDU) ab.

Auch Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki (FDP) wies den Vorschlag von Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus (CDU) für eine Wahlrechtsreform mit einer Höchstgrenze von 750 Abgeordneten zurück.

„Das Brinkhaus-Modell ist nicht mehr als ein Ablenkungsmanöver“, sagte Kubicki der „Rheinischen Post“ (Montagsausgabe). Es solle kaschieren, dass die CDU/CSU-Bundestagsfraktion sich einer „vernünftigen Wahlrechtsreform“ widersetze, die von FDP, Linken und Grünen als Gesetzentwurf den Bundestag bereits erreicht habe und in der letzten Sitzungswoche vor der Sommerpause noch verabschiedet werden könne.

Kubicki fügte hinzu: „Brinkhaus weiß selbst, dass sein Vorschlag von den angehörten Sachverständigen als nicht verfassungskonform verworfen wurde.“

AfD brachte Kappungsmodell für Direktmandate ein

Auch die AfD hatte bereits  einen Vorschlag eingebracht. Kern dabei war eine feste Größe des Bundestags von 500 oder sogar nur 450 Abgeordnete. Die feste Größe soll garantiert werden, indem eine Partei in einem Bundesland höchstens so viele Direktmandate erhält, wie es dem Zweitstimmenanteil der Partei in dem Land entspricht.

Das heißt es würden Direktmandate quasi aberkannt indem diejenigen Bewerber, welche die relativ schlechtesten Ergebnisse erzielt haben, nicht zum Zuge kommen. Entscheidend wäre dabei die Prozentzahl der Erststimmen. Treffen würde dieses Kappungsmodell demnach stets Bewerber, die dort antreten, wo ihre Partei zwar den Wahlkreissieger stellen kann, sie aber nicht so stark ist wie in ihren Hochburgen.

Die Union lehnte beide Vorstöße ab – den der AfD, weil CDU und CSU die allermeisten Direktmandate gewinnen, und den der drei Fraktionen FDP, Grüne, Linke, weil er die Wahlkreiszahl zu stark verringert.

Oppermann: Große Zahl an zusätzlichen Überhang- und Ausgleichsmandaten Bläht Bundestag weiter auf

Oppermann warnte davor, dass der Bundestag nach der nächsten Wahl durch „die große Zahl von zusätzlichen Überhang- und Ausgleichsmandaten“ weiter aufgebläht werde. Die Bürger empfänden dies „als Selbstbedienung der Parteien“, sagte er.

Grünen-Chef Robert Habeck machte die CSU für die Blockade in der Koalition verantwortlich: Die CSU habe mit ihrem Widerstand gegen die Reformvorschläge „die große Koalition und das ganze Land in Geiselhaft genommen“, sagte Habeck in Berlin. Er forderte CSU-Chef Markus Söder auf, sich in die Debatte „einzuschalten“. Die Koalition sei in der Frage der Wahlrechts-Reform „handlungsunfähig“.

Auch der ehemalige Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) warnte vor einem blamablen Scheitern der Wahlrechts-Reform. „Der Bundestag bietet ein tragikomisches Schauspiel“, sagte Thierse dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (Dienstagsausgaben). „Ich bin regelrecht empört darüber.“

Thierse macht CSU für den gegenwärtigen Stillstand verantwortlich

Für den gegenwärtigen Stillstand machte Thierse die CSU verantwortlich. „Die Schuld daran sehe ich allein bei der CSU mit ihrer Weigerung, die Zahl der Wahlkreise zu verringern“, sagte Thierse. Sollte es dabei bleiben, wäre dies „eine Blamage“.

Seine Nachfolger Norbert Lammert und Wolfgang Schäuble (beide CDU) hätten zusammen rund zehn Jahre an einer Reform gearbeitet, ohne dass dies bisher fruchte, beklagte der SPD-Politiker. Er forderte die Fraktionen auf, ihren Abgeordneten die Abstimmung über die Wahlrechtsreform freizustellen. Eine andere Lösung sehe er kaum noch.

Hintergrund der Reformbemühungen ist, dass der Bundestag aktuell 709 Mitglieder hat und damit viel mehr als die Regelgröße von 598 Abgeordneten. Experten rechnen mit einer weiteren deutlichen Vergrößerung nach der nächsten Wahl, sollte das Wahlrecht nicht geändert werden.

Diskutiert werden unter anderem eine geringere Zahl von Wahlkreisen, ein anderer Umgang mit Überhang- und Ausgleichsmandaten und eine Veränderung des Verhältnisses zwischen Erst- und Zweitstimmen. (afp/dts)

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