Staatsrechtler: „Mitgliederentscheid hebelt Entscheidung der Wähler aus“

Die SPD will ihre Mitglieder über eine mögliche Regierungsbeteiligung abstimmen lassen. Wird damit der Wählerwillen missachtet?
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Martin Schulz hinter einem SPD-Logo.Foto: CLEMENS BILAN/AFP/Getty Images
Epoch Times30. November 2017

Die SPD will ihre Mitglieder über eine mögliche Regierungsbeteiligung abstimmen lassen. Bedeutet das, mehr Demokratie zu wagen – oder den Wählerwillen zu missachten?

Die Einschätzung des Leipziger Staatsrechtlers Christoph Degenhart fällt gemischt aus: „Ich denke, dass die Entscheidung der Mitglieder die der Wähler aushebeln kann – soweit diese überhaupt klar erkennbar ist“, sagte Degenhart der Nachrichtenagentur AFP.

„Bei so unklaren Mehrheitsverhältnissen, wie wir sie momentan haben, ist das vielleicht weniger der Fall, bei etwas klareren allerdings schon“, fügte er hinzu. Dies gefährde zwar nicht die Legitimation des Bundestages, aber durchaus die Legitimation der Regierungsbildung.

Degenhart betonte, dass eine solche Abstimmung nicht unbedingt verfassungswidrig sei. „Es ist nur ein Manko der Legitimation.“ 2013 hatte der Leipziger Professor den Zorn des damaligen SPD-Chefs Sigmar Gabriel auf sich gezogen, als er ein SPD-Mitgliedervotum als „verfassungsrechtlich bedenklich“ bezeichnete.

Dennoch findet Degenhart, dass Mitgliederbefragungen zumindest innerparteilich für mehr Demokratie sorgen können. „Dabei ist es auch entscheidend, zu welchem Zeitpunkt die Befragung stattfindet. Meines Erachtens sollte sie nicht erst dann stattfinden, wenn schon alles gegessen ist, sondern zu einem früheren Zeitpunkt“, stellte er fest.

Generell könne die Basis sowohl über Inhalte als auch über Kandidaten Entscheidungen treffen. Durchaus vorstellbar sei zum Beispiel auch die Frage an die SPD-Basis: „Wollen wir in Koalitionsverhandlungen eintreten?“

Auf staatlicher Ebene sieht Degenhart hingegen keine demokratiefördernden Effekte der innerparteilichen Basisentscheide. „Mit Demokratie auf Staatsebene hat das eher wenig zu tun. Mehr Demokratie müsste hier die direkte Befragung des Volkes bedeuten, also aller Wahlberechtigten“, betonte er.

Generell sprach sich der renommierte Rechtswissenschaftler gegen politische Entscheidungen im kleinen Kreise aus, also beispielsweise an der Parteispitze. „Gerade essentielle Entscheidungen sollten vom Parlament und in bestimmten Teilen auch über ein Referendum entschieden werden. Und zwar durch einen echten Volksentscheid, der nicht parteigebunden ist.“

Mitgliederbefragungen sind seiner Ansicht nach weder ein Krisensymptom des Parteiensystems noch eine demokratische Revolution. „Ich würde das nicht ganz so hoch hängen“, sagte Degenhart. „Es ist ja einer der Vorzüge des Grundgesetzes selbst, dass die innere Ordnung der Parteien demokratischen Grundsätzen entsprechen muss.“ (afp)



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