Primärarztsystem
Stiftung Patientenschutz warnt vor Überlastung der Hausarztpraxen
Eugen Brysch, Vorstand der Stiftung Patientenschutz, warnt vor Überlastung der Hausarztpraxis mit der Einführung des neuen schwarz-roten Primärarztsystems. Nach diesem muss der Patient vor Besuch einer Facharztpraxis zuerst beim Hausarzt vorsprechen. Nach Einschätzung von Brysch müsste jede Hausarztpraxis 2.000 zusätzliche Patienten betreuen.

Union und SPD planen ein neues System für die Terminvergabe beim Arzt. (Archivbild)
Foto: Daniel Karmann/dpa
Die Pläne der künftigen schwarz-roten Koalition zur Einführung eines Primärarztsystems sorgen bei der Stiftung Patientenschutz für Kritik.
„Es besteht die große Gefahr, dass die neue Bürokratie den Betroffenen mehr schadet als nützt“, sagte der Vorstand der Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, dem „RedaktionsNetzwerk Deutschland“. Mit der Einführung eines Primärarztsystems müsse jede Hausarztpraxis zusätzlich 2.000 Patienten betreuen.
Brysch sagte, schon heute gebe es Regionen, in denen Primärpraxen keine Neupatienten mehr aufnehmen. Er warnte davor, dass am Ende „die Kranken für ihre bedarfsgerechte Versorgung die Zeche privat zahlen müssten“.
In den Koalitionsverhandlungen von CDU, CSU und SPD hatte die Arbeitsgruppe Gesundheit das System vorgeschlagen, um die Auslastung von Fachärzten zu senken. Wer eine Fachpraxis besuchen will, muss künftig wieder über den Hausarzt gehen und sich eine Überweisung holen. Der direkte Weg dagegen soll Geld kosten.
Gassen: Gesetzesformulierung abwarten
Für Patientenschützer Brysch ist das irreführend. „Die Pläne der zukünftigen Bundesregierung wecken falsche Hoffnungen“, sagte er dem RND. Wenn Union und SPD Ausnahmen für chronisch Kranke vorsehen, betreffe allein das 50 Prozent der Patienten.
Auch für Augenheilkunde und Gynäkologie würde keine Überweisung nötig sein. „Wer also die ausgewählte Gruppe ist, ist bisher nicht bekannt“, warnte Brysch.
Der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, Andreas Gassen, unterstütze das Anliegen der Fachpolitiker. „Grundsätzlich ist es zu begrüßen, dass die Notwendigkeit einer Patientensteuerung in der Regelversorgung angedacht wird“, sagte Gassen dem RND.
Er schränkte jedoch ein: „Es bleibt abzuwarten, was davon wirklich im Koalitionsvertrag landet, und – noch viel entscheidender – in welche konkreten Gesetzesformulierungen das Ganze am Ende gegossen wird.“, sagte Gassen dem RND. Er bot Union und SPD Unterstützung der Kassenärzte bei der konkreten Ausgestaltung an.
Grüne und Linke gegen Gebühren bei direktem Facharztbesuch
Grüne und Linke begrüßen zwar eine Stärkung der Hausärzte, lehnen eine Regulierung über Gebühren für Fachpraxen jedoch einhellig ab. „Eine Lotsenfunktion wäre im Gesundheitswesen eine große Hilfe für viele Patienten“, sagte der Linken-Sprecher für Krankenhaus- und Pflegepolitik, Ates Gürpinar, dem RND.
„Das Primärarztsystem, über das die Koalition diskutiert, soll jedoch in erster Linie als Einsparmodell funktionieren. Dadurch werden gesetzlich Versicherten Steine in den Weg gelegt, die sich von dieser Pflicht nicht freikaufen können.“ Das sei Schaufensterpolitik auf Kosten der finanziell Schwächsten.
Der gesundheitspolitische Sprecher der Grünen, Janosch Dahmen, sagte dem RND: Eine stärkere Patientensteuerung über Haus- und Kinderärzte sei richtig – „aber Bezahlschranken sind der falsche Weg“, so Dahmen.
„Wer sich aus solidarischen Regeln freikaufen kann, gefährdet nicht nur die Effizienz, Qualität und Gerechtigkeit im System, sondern auch die eigene Gesundheit.“
Studien zeigten, dass eine Koordination durch Hausärzte Komplikationen senke und Krankenhauseinweisungen reduziere. Statt „zusätzliche Bürokratie und soziale Schieflagen zu produzieren, sollte die nächste Koalition das bestehende Modell der hausarztzentrierten Versorgung flächendeckend ausbauen – mit klaren Anreizen wie Rückzahlungen oder bevorzugter Terminvergabe“.
Bundesärztekammer unterstützte effizientere Nutzung knapper Ressourcen
Die Bundesärztekammer unterstützt allerdings die schwarz-roten Pläne der Steuerung über ein verbindliches Primärarztsystem.
„Eine wirklich smarte Patientensteuerung könnte helfen, die knappen ärztlichen Ressourcen viel effizienter zu nutzen und auch die Kosten insgesamt spürbar zu senken“, sagte Ärztepräsident Klaus Reinhardt der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ im März. Der Hausarzt sollte erste Anlaufstelle sein und nur im Bedarfsfall an Fachpraxen weiterleiten, erläuterte Reinhardt.
Nicola Buhlinger-Göpfarth und Markus Beier, Bundesvorsitzenden des Hausärztinnen- und Hausärzteverbandes, sprechen sich laut „Deutsches Ärzteblatt“ dafür aus. „Das kann nur gelingen, wenn wir mehr Koordination, Qualität und Effizienz in das System bringen“, sagen sie.
Primärarztsystem in anderen europäischen Ländern schon Standard
„Ein Primärarztsystem, wie es in vielen europäischen Ländern längst der Standard ist, ist der einzig vernünftige Weg“, sagte die Bundesvorsitzende Nicola Buhlinger-Göpfarth den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. Es bringe eine bessere Qualität bei weniger Ressourcenverschwendung.
Die hausarztzentrierte Versorgung (HZV), an der bundesweit rund zehn Millionen Versicherte teilnehmen, habe sich bereits bewährt und könne als Grundlage für ein flächendeckendes System dienen. „Wir stehen vor der Herausforderung, zukünftig mit immer weniger Ressourcen immer mehr und immer ältere Patientinnen und Patienten versorgen zu müssen“, sagte Buhlinger-Göpfarth.
Notwendig seien mehr Struktur, eine stärkere Einbindung medizinischer Fachangestellter und bessere digitale Lösungen. Die Versorgungsqualität ließe sich laut Buhlinger-Göpfarth durch ein Primärarztsystem deutlich steigern:
„Durch die enge und koordinierte Betreuung werden beispielsweise weniger Medikamente verschrieben, die sich nicht vertragen, überflüssige Doppeluntersuchungen vermieden, Krankenhauseinweisungen reduziert usw.“
„Die entscheidende Frage wird am Ende sein, wie das Ziel eines verbindlichen Primärarztsystems erreicht werden soll“, so Buhlinger-Göpfarth und Beier. (dpa/dts/red)
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