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Errichtung zusätzlicher „Dublin-Zentren“

Streit um Flüchtlingsrücknahme: Deutsche Grenzkontrollen stoßen auf Kritik in Nachbarstaaten

Mit der Verschärfung der Grenzkontrollen sorgt die neue Bundesregierung unter Kanzler Merz für Spannungen mit mehreren Nachbarstaaten. Polen, Schweiz, Österreich und weitere Länder kritisieren die Zurückweisungen von Flüchtlinge und warnen vor rechtlichen Konflikten sowie wirtschaftlichen Folgen.

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In den Ländern laufen teils verstärkte Kontrollen an.

Foto: Sebastian Kahnert/dpa

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Lesedauer: 7 Min.

Als eine der ersten Maßnahmen der neuen Bundesregierung hat Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) am Mittwoch, 7. Mai, die Kontrollen an den Landgrenzen zu den Nachbarländern verschärft. Um den Zustrom irregulär über die Grenze gelangter Flüchtlinge zu beschränken, soll es auch vermehrt Zurückweisungen geben.
Die Regierung Merz hatte bereits im Wahlkampf angekündigt, Flüchtlinge, die aus anderen EU-Staaten nach Deutschland einzureisen versuchen, gar nicht erst ins Land zu lassen. Eine entsprechende Abweichung vom EU-Recht hält man für gerechtfertigt – durch den Artikel 72 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEVU). Dieser wird in diesem Kontext als Notstandsregel verstanden.
Im Koalitionsvertrag ist der Artikel nicht explizit angesprochen. Dort heißt es, man wolle „in Abstimmung mit unseren europäischen Nachbarn Zurückweisungen an den gemeinsamen Grenzen auch bei Asylgesuchen vornehmen“. Dobrindt zufolge ist der entsprechende „Prozess“ bereits mit den Nachbarländern besprochen worden. Diese zeigen sich allerdings in ersten Reaktionen reserviert.

Kritik aus Warschau, Bern und Wien am Alleingang an den Grenzen

In Polen hat Premierminister Donald Tusk die deutschen Vorhaben als „inakzeptabel“ kritisiert. Deutschland setze mit seinem Vorgehen de facto das Schengen-Abkommen aus. Die Regierung in Warschau lehnt eine Rücknahme Geflüchteter, die aus Polen nach Deutschland eingereist waren, kategorisch ab. In der Vergangenheit war es dadurch auch bereits zu Protesten und Blockaden in Grenznähe gekommen.
Das Justizministerium der Schweiz äußerte, systematische Zurückweisungen an der Grenze „verstoßen aus Sicht der Schweiz gegen geltendes Recht“. In Bern wolle man deshalb „gegebenenfalls Maßnahmen prüfen“. Man kritisiert, dass Deutschland seine Maßnahmen nicht mit seinem Nachbarland abgesprochen habe. Bundesrat Beat Jans forderte auch ein Treffen auf Ministerebene.
Vonseiten des Innenministeriums in Österreich hieß es, das geltende EU-Recht sei einzuhalten. Gegenüber dem „Focus“ hieß es, man gehe „davon aus, dass sich Deutschland bei allen gesetzten Maßnahmen an die europäische Rechtsordnung hält“. Man werde auch „faktische Maßnahmen der deutschen Behörden, die davon abweichen“, nicht akzeptieren.

Länder wollen ihre eigene Asylpolitik verschärfen – aber kein schärferes deutsches Vorgehen

Die polnische Regierung warnt zudem vor nachteiligen Folgen verschärfter Grenzkontrollen für die Wirtschaft und grenzüberschreitende Lieferketten. Ähnliche Bedenken hatte auch bereits zu einem früheren Zeitpunkt die politische Führung der Niederlande geäußert – auch, wenn man Verständnis für die deutsche Situation habe. Immerhin wolle man selbst seine Migrationspolitik deutlich verschärfen.
In gleicher Weise hatte sich auch die tschechische Regierung geäußert. Auch in Prag will man das Asylrecht verschärfen und die Zuwanderung stärker bekämpfen. Gleichzeitig lehnt man eine Rücknahme zurückgewiesener Asylsuchender aus Deutschland ab und warnt vor Belastungen für die Wirtschaft. Bedenken dieser Art gibt es auch in Grenzregionen weiterer Nachbarländer wie Frankreich, Luxemburg oder Belgien.
Die deutsche Bundesregierung hatte zugesagt, dass die Verschärfung der Grenzkontrollen ohne eine übermäßige Belastung von Reisenden, Pendlern oder Spediteuren vonstattengehen werde. Ökonomen der Allianz Trade hatten bereits im Vorjahr vor möglichen Verlusten in Milliardenhöhe für die Wirtschaft gewarnt.

Kontrollen sorgen an mehreren Orten für Verzögerungen

Insbesondere auf stark frequentierten Transitrouten könne sich die Grenzübertrittzeit von rund 3 auf etwa 23 Minuten verlängern, so die Berechnung. Zwar werde nicht jeder kontrolliert, jeder müsse jedoch damit rechnen. Grenzpendler müssten mit deutlich höheren täglichen Arbeitswegen rechnen.
Just-in-Time-Lieferungen über die Grenze würden erschwert, auch der Umsatz von regionalem Handel, Dienstleistungen und grenznahen Dienstleistern könnte leiden. Gleiches gelte für den Tourismus. „Eben mal über die Grenze“ zu fahren, würde beschwerlicher. Die Allianz-Ökonomen befürchteten eine Abnahme des Handelsvolumens um jährlich bis zu 1,1 Milliarden Euro und ein bis zu 11,5 Milliarden Euro geringeres BIP.
Die bereits zuvor durch Dobrindts Vorgängerin Nancy Faeser angeordneten Grenzkontrollen hatten uneinheitliche Folgen. Während der Grenzverkehr an einigen Übergängen flüssig blieb, klagten Autofahrer beispielsweise an der polnischen Grenze bei Görlitz über erhebliche Verzögerungen. Bezüglich der Auswirkungen der nunmehrigen Anordnungen Dobrindts gibt es noch kein repräsentatives Stimmungsbild.

Realität an der Grenze

Im Vorjahr hatte es insgesamt rund 83.000 unerlaubte Grenzübertritte an den Grenzen zu Deutschland gegeben. Das war gegenüber 2023 ein erheblicher Rückgang von 36 Prozent. Die meisten irregulär eingereisten Personen (16.000) kamen über die deutsch-polnische Grenze, jeweils etwa 13.000 reisten aus Österreich oder der Schweiz ein. Seit Herbst 2024 gibt es Kontrollen an allen Landgrenzen.
Praktiker wie Andreas Roßkopf von der Gewerkschaft der Polizei (GdP) zweifeln an der Effektivität der Zurückweisungen. Er gab bereits während der laufenden Koalitionsverhandlungen zu bedenken:
„Viele der Zurückgewiesenen tauchen am nächsten Tag oder wenige Tage später wieder an anderer Stelle auf.“
Die fluchtpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, Clara Bünger, hatte am Mittwoch die deutsche Grenze in Frankfurt/Oder besucht, um sich ein Bild von der Lage zu machen. Gegenüber dem „Migazin“ erklärte sie, bei dieser Gelegenheit mit mehreren Personen gesprochen zu haben. Diese hätten Asyl beantragen wollen, die Bundespolizei habe sie jedoch zurückgewiesen.

Bundesregierung plant Errichtung zusätzlicher „Dublin-Zentren“

Bünger spricht von einem „Rechtsbruch mit Ansage“ und warnt vor einer Abschottung. Zudem warnte sie davor, dass Geflüchtete sich gezwungen sehen könnten, auf gefährlichere Fluchtrouten auszuweichen. In den vergangenen Jahren sei es „in Grenznähe bereits zu einer Häufung von Verkehrsunfällen mit Fluchtfahrzeugen“ gekommen. Dabei sei es zu schweren Verletzungen oder sogar Todesfällen gekommen. Sie warnt:
„Das wird sich noch verschärfen, wenn die neue Bundesregierung ihre Politik nicht ändert.“
Ungewiss ist, welche Folgen es für die Betroffenen haben wird, wenn Deutschland aus Nachbarländern eingereiste Flüchtlinge zurückweist, diese sie jedoch nicht zurücknehmen möchte. Im Fall als besonders vulnerabel eingestufter Eingereister will Deutschland auf eine Zurückweisung verzichten.
In anderen Fällen sieht die deutsche Bundesregierung bisher eine Unterbringung in sogenannten Dublin-Zentren vor. Solche existiere bislang in Hamburg und Eisenhüttenstadt. Von dort aus strebt man eine zeitnahe Rückführung in die zuständigen EU-Staaten an. Weitere Zentren dieser Art sind geplant. Auf diese Weise sollen mögliche „Flüchtlingscamps im Niemandsland“, wie man sie etwa von Grenzen Polens oder baltischer Staaten zu Belarus kennt, verhindert werden.
 
 
Reinhard Werner schreibt für die Epoch Times zu Wirtschaft, gesellschaftlichen Dynamiken und geopolitischen Fragen. Schwerpunkte liegen dabei auf internationalen Beziehungen, Migration und den ökonomischen Folgen politischer Entscheidungen.

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