Türkische Gemeinde fordert Einwanderungsgesellschaft und die Öffnung etablierter Machtstrukturen

Migrantenquote bei Wahl-Kandidaten, Öffnung der etablierten Machtstrukturen, das kommunale Wahlrecht und ein Bundesintegrations- und Migrationsministerium, das findet man beim Blick in das „Positionspapier für eine moderne Einwanderungsgesellschaft“ der Türkischen Gemeinde in Deutschland.
Titelbild
Türkischer Straßenverkauf in Berlin-Kreuzberg (Symbolbild).Foto: Sean Gallup/Getty Images
Von 9. September 2017

Bei der Aufstellung von Kandidaten sollen Migrantenquoten eingeführt werden, fordert die Türkische Gemeinde in Deutschland (TGD). Das würde die Identifikation der ausländischen Bevölkerung mit den Parteien stärken, so die TGD. Sie entwickelte ein „Positionspapier für eine moderne Einwanderungsgesellschaft“, hier der Text im Original.

Im Punkt eins heißt es: „In Bezug auf die parlamentarische Repräsentation von Menschen mit Migrationshintergrund ist Deutschland ein Entwicklungsland.“

So hätten zwar rund 20 Prozent der Bevölkerung einen Migrationshintergrund, in den Parlamenten hätten jedoch nur 3-5 Prozent der Abgeordneten einen Migrationshintergrund. Das sei ein klares Demokratiedefizit.

Eine Migrantenquote könnte heißen: 700 Bundestagsabgeordnete – 140 mit Migrationshintergrund

Der Verband fordert

„Die Etablierung einer Quote für Menschen mit Migrationshintergrund (analog zu Frauenquoten) würde die Anzahl von Kandidat*innen mit Migrationshintergrund auf den Wahllisten erhöhen“ (Quelle hier)

Die Quote sollte sich am Migrantenanteil von 20 Prozent in der Bundesrepublik orientieren. Das würde bedeuten, dass bei einer geschätzten Anzahl von 700 Bundestagsabgeordneten 140 von ihnen einen Migrationshintergrund haben sollten.

In den Kommunen ist der Migrantenanteil zum Teil höher, in Stuttgart betrage er beispielsweise 40 Prozent. Doch weniger als 5 Prozent der Stadträte hätten ausländische Wurzeln – „Das repräsentiert nicht das Bild der Gesellschaft“, sagte Sofuoglu.

Etablierte Machtstrukturen öffnen

Im Positionspapier steht weiter: „Die Organisationsform von Parteien macht es Neuankömmlingen schwer, sich innerhalb ihrer Strukturen zu etablieren und Netzwerke aufzubauen.“ Deshalb wird gefordert, dass die Parteien ihre Strukturen verändern:

Die Parteien müssen ihre etablierten Machtstrukturen öffnen, um z. B. Quereinstiege für Neuankömmlinge zu ermöglichen.

„Der Mehrwert einer höheren Durchlässigkeit liegt auch mit Blick auf die fachlichen Kompetenzen (Quereinstieg von fachpolitisch kompetenten Personen) in den Parteien nahe und ist zudem für die Nachwuchsarbeit ausschlaggebend.“ (Quelle hier)

Weitere Forderungen: Kommunales Wahlrecht, Migrationsministerium und Integrationsgesetz

Weitere Forderungen der Türkische Gemeinde nach der Wahl sind (Zitate, Quelle hier):

  • „Die Einführung des kommunalen Wahlrechts für Drittstaatsangehörige
  • Mittel- und langfristig muss eine Einführung des allgemeinen Wahlrechts angestrebt werden
  • Schaffung von Anreizen für freie Träger und Wirtschaftsunternehmen, die Menschen mit Migrationshintergrund fördern
  • Festschreibung von Wiederherstellungs- und Schadensersatzansprüchen bei ungerechtfertigten Diskriminierungen im Sozialrecht
  • Berücksichtigung des menschenwürdigen Existenzminimums und von Bildungsbedarfen im Sozialrecht (Wieder-)Anwendung des Europäischen Fürsorgeabkommens auf SGB II und XI
  • Verbesserungen für Leistungsberechtigte nach dem Asylbewerberleistungsgesetz
  • Änderungen aufenthaltsrechtlicher Bestimmungen, insbesondere Erleichterung des Erwerbs eines unbefristeten Aufenthaltsrechts und beim Familiennachzug
  • Erleichterungen im Staatsangehörigkeitsrecht, namentlich Einschränkung der Verlustgründe
  • und Ermöglichung von Mehrfachstaatsangehörigkeiten für Deutsche und Einzubürgernde“.

Gefordert wird auch ein Bundesintegrations- und Migrationsministerium und die Liberalisierung der Visavergabe für Bürger aus der Türkei. Weitere Forderungen betreffen:

  • den Bereich Bildung
  • die Interkulturelle Öffnung der Wohlfahrtspflege
  • die Evaluation & Reform des AGG / Antidiskriminierungsgesetze auf der Landesebene sowie die Möglichkeit verbandlicher Klagen
  • die Einsetzung eines Bundesbeauftragten gegen Rassismus und Rechtsextremismus als Konsequenz aus den NSU-Morden
  • die interkulturelle Öffnung von staatlichen Behörden und Verwaltungen sowie Unternehmen
  • die flächendeckende, verpflichtende Einführung anonymisierter Bewerbungsverfahren.

Wahlprüfsteine der Türkischen Gemeinde in Deutschland

Der Verband entwickelte vor der Bundestagswahl als Basis einen Fragebogen, um die migrationspolitischen Forderungen der verschiedenen Parteien abzuklopfen. Die „Wahlprüfsteine der Türkischen Gemeinde in Deutschland zur Bundestagswahl 2017“ werteten Aussagen von 760 der 1779 Direktkandidaten von Union, SPD, Linken, Grünen, FDP und AfD aus.

So wurde beispielsweise gefragt:

„Etliche Menschen mit Migrationsgeschichte engagieren sich in ihren Communities ehrenamtlich: In der Füchtlingshilfe, im Bereich der Bildung von Kindern und Jugendlichen oder in vielfältigen Nachbarschaftsprojekten. Befürworten Sie die finanzielle Unterstützung migrantischer Organisationen?“

Antwort:

Zu der Frage nach finanzieller Unterstützung von MO zeigt sich parteiübergreifend eine überragende Zustimmung: Zwischen 85% (FDP) und 98% (Linke) bzw. 21% (AfD)“

Demokratieförderungsgesetz: Linke, Grüne und SPD absolut dafür, CDU/CSU, AfD und FDP dagegen

Ein weiteres Ergebnis der Umfrage ist die Antwort auf die Entwicklung eines Demokratiefördergesetzes. Darin geht es um das Ziel einer „diskriminierungsfreien Gesellschaft“.

Gefragt wurde: „Viele zivilgesellschaftliche Organisationen setzen sich gegen gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit und Rassismus und für eine friedliche, demokratische Gesellschaft ein. Die Politik unterstützt derartige Arbeit bislang weitgehend über spezifische Förderprogramme mit (meist) vorübergehendem Modellcharakter. Finden Sie, dass demokratisches Engagement gegen Rassismus und Menschenfeindlichkeit eine nachhaltige gesetzliche Grundlage erhalten sollte (bspw. in Form eines Demokratiefördergesetzes)?“

AfD (17%), CDU/CSU (10%) und FDP (13%) stimmen dieser Frage nicht sonderlich überzeugt zu. Bei der LINKEN (98%), Grüne (91%), SPD (95%) sieht es ganz anders aus.

Anders gesagt: Die LINKE, Grüne und SPD sprechen sich für ein derartiges Gesetz aus, CDU/CSU, FDP und AfD sind dagegen.

Über den Fragebogen hinaus konnten die Teilnehmer eine Stellungsnahme abgeben.

Verbandsvorsitzende Gökay Sofuoglu empfindet vor allem die Antwort der AfD-Kandidatin Christina Baum „entsetzlich“, die schrieb:

„Wir als AfD sind nicht bereit, unsere kulturellen Eigenschaften (…) durch Werte zu ersetzen, die in Ihrem türkischen Herkunftsland gelten.“

In Köln hängen Wahlplakate mit dem Porträt von Erdogan

Parallel hängen in Köln und in Duisburg Wahlplakate, die sich an die türkischstämmigen Wähler richten, meldet der „express“. Auf Türkisch rufen diese dazu auf, keine der etablierten Parteien CDU, SPD oder Grüne zu wählen, weil sie „Feinde der Türkei“ seien.

Sie rufen dazu auf, mit der Zweitstimme Parteien wie die ADD zu wählen bzw. Parteien, die mit der Türkei verbunden sind. Der „express“ übersetzte den türkischen Text folgendermaßen: „Gebt ihnen [Freunden der Türkei] Eure Stimme, lasst uns sie groß machen“. Der Name des türkischen Präsidenten wird nicht genannt, jedoch kennt jeder sein Bild.

Die ADD ist die „Allianz Deutscher Demokraten“, die in NRW antritt und vom „express“ als „Erdogans Lobby-Truppe in Deutschland“ bezeichnet wird. Die ADD wurde nach der Armenien-Resolution des Bundestages gegründet.

Auf Facebook begrüßte Präsident Erdogan die Nutzung seines Portraits. Auf der Fanpage der ADD steht über einem Videobeitrag: „Der Türkische Staatschef Recep Tayyip Erdogan begrüßt Porträt Nutzung der Partei Allianz Deutscher Demokraten und gibt deutliche #Wahlempfehlung an die türkeistämmigen Mitbürger in Deutschland.“



Epoch TV
Epoch Vital
Kommentare
Liebe Leser,

vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.

Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.

Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.


Ihre Epoch Times - Redaktion