„Unfaire Handelspraktiken“: Merkel bestellt Edeka, Rewe, Aldi und Lidl ins Kanzleramt

Bundeskanzlerin Angela Merkel und Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner haben die Chefs der vier großen Einzelhandelsketten und die Spitzen der Verbände für 3. Februar zu einem Gespräch ins Kanzleramt zitiert. Thema sollen die Lebensmittelpreise sein.
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Will Angela Merkel Einfluss auf Preise im Einzelhandel nehmen?Foto: Sean Gallup/Getty Images
Von 28. Januar 2020

Der deutsche Einzelhandel ist von einer Struktur gekennzeichnet, die man in der Volkswirtschaftslehre als oligopolartig bezeichnen würde. Vier große Konzerne, nämlich Edeka, Rewe, Aldi und die Schwarz Gruppe (Lidl, Kaufland) beherrschen 85 Prozent des Marktes. Das Bundeskartellamt beobachtet die Lage deshalb bereits seit längerem mit einigem Argwohn.

Die Zulieferer, insbesondere die Landwirte, werfen den großen Vier vor, ihnen mithilfe ihrer Marktmacht unfaire Preise aufzuzwingen. Neben politischem Druck in Richtung Ökologisierung, wie er bereits seit einigen Wochen Anlass für Bauernproteste in deutschen Städten ist, bereitet diese Entwicklung der Landwirtschaft besondere Sorgen. Nun scheinen sich Bundeskanzlerin Angela Merkel und Agrarminister Julia Klöckner persönlich in die Debatte um vermeintliche oder tatsächliche Dumpingpreise einschalten zu wollen.

Rückkehr weitreichender Marktordnungsgesetze?

Wie „Focus online“ unter Berufung auf die „Lebensmittel Zeitung“ (LZ) berichtet, wird es am 3. Februar in Berlin einen Gipfel zwischen beiden Regierungsmitgliedern und den Spitzen des Lebensmittelhandels und der Ernährungsindustrie geben. Neben den führenden Köpfen der Handelsverbände HDE und BLVH sollen auch die Chefs von Aldi Nord/Süd, Rewe, der Schwarz Gruppe und Edeka an dem Gespräch teilnehmen, dessen Dauer vorerst auf 90 Minuten anberaumt ist.

Die „Süddeutsche“ will in diesem Zusammenhang in Erfahrung gebracht haben, dass nicht nur die Preise einzelner Produktgruppen, sondern die Lebensmittelpreise insgesamt Gegenstand des Gesprächs sein sollen. Im Vorfeld der Unterredung will sich Merkel mit einem Eingangsstatement an die Medien wenden.

Dass die Regierung eines Staates Einfluss auf die Preisbildung im Einzelhandel nehmen will, gilt in einer modernen Marktwirtschaft eher als unüblich. Weitreichende Marktordnungsgesetze, die es auch im deutschsprachigen Raum noch zum Teil bis in die 1970er und 1980er Jahre hinein gegeben hatte, wurden vielfach vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) als binnenmarktwidrig aufgehoben.

In weiterer Folge galt auch im innerstaatlichen Bereich der Mitgliedsländer zunehmend der Grundsatz, dass die Regierung nicht in die freie Preisbildung auf den Märkten eingreifen solle. Für den Fall, dass mächtige Akteure auf dem Markt ihre beherrschende Stellung zum Schaden anderer Marktteilnehmer oder der Verbraucher ausnutzten, sollten das Bundeskartellamt oder die Kartellgerichte sich mit dem Sachverhalt beschäftigen.

Auslistung als Rute im Fenster

Ein Verstoß gegen Kartellbestimmungen ist jedoch in der Praxis nicht immer leicht zu beweisen. Zudem können Verfahren, bis sie rechtskräftig entschieden sind, lange dauern und selbst wenn ein Kläger, der eine kartellwidrige Benachteiligung behauptet, Recht bekommen sollte, kann in der Zwischenzeit bereits ein noch größerer Schaden für ihn entstanden sein – etwa, indem der Einzelhandel alle Produkte eines bestimmten Anbieters auslistet und nicht mehr in sein Sortiment aufnimmt.

Gegen ebenfalls mächtige Großkonzerne hatte Edeka in der Vergangenheit auf diese Weise Verhandlungserfolge erzwingen können, so etwa gegen Nestlé. Derzeit versucht man, mit einer ähnlichen Taktik Preisverhandlungen gegen Coca-Cola zu seinen eigenen Gunsten zu beeinflussen. Milchbauern und Fleischproduzenten sind von den Einzelhandelskonzernen jedoch existenziell abhängig. Frischmilch oder Frischfleisch können nicht einfach anderweitig verkauft oder eingelagert werden, bis eine Einigung über den Preis erzielt werden konnte. Die Ware verfällt stattdessen – und die Landwirte bleiben auch noch auf den Entsorgungskosten sitzen.

Ministerin Klöckner will sich dieses Ungleichgewichts nun annehmen. Aus Angst vor Auslistung, so kritisierte sie erst jüngst im Bundestag, ließen sich die Bauern nicht nur Preise diktieren, sondern auch Liefer- und Stornofristen, Lieferbedingungen oder Zahlungsziele. Landwirte, so Klöckner, müssten infolge dessen oft monatelang auf ihr Geld warten.

Handelsverbände halten bestehende Gesetze für ausreichend

Auf der Basis der im Vorjahr in Kraft getretenen EU-Richtlinie 2019/633 wollen Merkel und Klöckner nun aktiv werden und den Einzelhandel im Rahmen des nun anberaumten Gesprächs zu klaren Zusagen zugunsten der Landwirte bewegen. Andernfalls sei man bereit, allfällige weitere Maßnahmen zu beraten, wie sie die Richtlinie vorsieht. Diese wartet derzeit darauf, in innerstaatliches Recht umgesetzt zu werden. Spätestens im Frühjahr soll das Kabinett sich damit befassen. Klöckner will die Richtlinie 1:1 umsetzen. 

Der Handel wehrt sich gegen zusätzliche gesetzliche Regelungen über lauteres Verhalten innerhalb der Lieferkette. Die bisherigen Regelungen reichten nach Meinung der Verbände HDE und BVLH aus, heißt es dem Bericht der LZ. Dies hätten sie auch in einem Bezug habenden Schreiben betont.

Die Handelsketten sehen sich als Sündenböcke für strukturelle Probleme der Landwirtschaft, an denen sie kein Verschulden treffe. Das Problem der Landwirte, so heißt es in dem Schreiben, seien nicht die Handelsunternehmen, die für hohe Abnahmemengen zu angemessenen Preisen sorgten, sondern die Folgen von „Überkapazitäten und Entwicklungen auf den Weltmärkten“. Lebensmittel seien in Deutschland noch nie so sicher und qualitativ hochwertig gewesen wie heute, heißt es aus den Verbänden. Zusätzliche Gesetze seien nicht erforderlich.



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