Verschwörung gegen den Lockdown? Laschet und PR-Agentur wegen „Heinsberg-Protokolls“ unter Beschuss

Hat NRW-Ministerpräsident Armin Laschet die Öffentlichkeit belogen und mit der PR-Agentur „Storymachine“ konspiriert, um das Wissenschaftler-Team hinter dem „Heinsberg-Protokoll“ zur Unterstützung von Lockdown-Lockerungen zu bewegen? Ein ARD-Magazin deutet dies an.
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Die Studie fand in der 11.000-Einwohner-Gemeinde Gangelt im Kreis Heinsberg statt.Foto: Lukas Schulze/Getty Images
Von 12. Mai 2020

Politisches Interesse und finanzielle Vergünstigungen als Einflussfaktoren auf Inhalt und Veröffentlichungszeitpunkt von wissenschaftlichen Studien? Was in anderen Bereichen häufig in die Nähe von Verschwörungstheorien gerückt wird, beschäftigt im Zusammenhang mit der sogenannten Heinsberg-Studie das ARD-Magazin „Kontraste“ und die Politik in NRW. Gegen Ministerpräsident Armin Laschet wird der Vorwurf erhoben, öffentlich die Unwahrheit gesagt zu haben.

Die Ergebnisse der Studie wurden am 4. Mai veröffentlicht. Ein Forschungsteam unter der Leitung des Virologen Hendrik Streeck von der Universität Bonn hatte in der 11.000-Einwohner-Gemeinde Gangelt Befragungen unter einer großen Zahl von Einwohnern durchgeführt und Proben genommen. Gangelt liegt im Landkreis Heinsberg, der als einer der ersten Corona-Brennpunkte bekannt wurde.

Laschet forderte nach Ostern zügige Öffnung

Sinn der Studie war es, Modellrechnungen zum Ausbreitungsverhalten des Virus zu verbessern und eine Grundlage für Aussagen über eine mögliche Dunkelziffer an nicht erfassten Infizierten zu erlangen. Dass erste Ergebnisse der Studie schon vorab bekanntgegeben wurden und Ministerpräsident Armin Laschet diese nach Ostern als Argument nutzte, um Druck auf Bund und Länder hin zu einer schnelleren Lockerung zu entfalten, weckte das Missfallen von Gegnern einer zeitnahen Aufhebung von Pandemie-Maßnahmen.

Nach Auswertung und Analyse aller Daten der Studie war das Team um Dr. Streeck zu der Einschätzung gelangt, dass zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der Ergebnisse rund 1,8 Millionen Menschen in Deutschland mit SARS-CoV-2 infiziert wären, wobei insgesamt 22 Prozent von allen Infizierten gar keine Symptome zeigten.

Aus den Ergebnissen der Studie lasse sich die Sterblichkeitsrate des neuartigen Coronavirus ziemlich genau beziffern, erklärte Streeck damals, und aus dieser wiederum ließen sich auch konkretere Angaben über die Dunkelziffer machen. Immer noch zu ungenau, bemängelten Wissenschaftler, die sich im Auftrag des SWR mit den Daten und Ergebnissen befassten.

Wie genau konnten Aussagen über Dunkelziffer sein?

Sie gingen davon aus, dass man auf der Basis der Daten aus der Gemeinde Gangelt eine deutlich weitere Spanne für die Dunkelziffer angeben müsse. Die Dunkelziffer liege demnach wahrscheinlich bei mindestens knapp einer Million, sie könne aber auch bis zu fünf Millionen Menschen umfassen.

Abseits dieser statistischen Spitzfindigkeiten konnten jedoch sachlich bis dato keine Grundaussagen der Studie falsifiziert werden. Selbst das Risiko, dass man in Anbetracht der Eigentümlichkeiten der Antikörpertests Corona-Infektionen nicht sicher genug von jenen mit herkömmlicher Influenza unterscheiden könne, konnten die Verantwortlichen für die Heinsberg-Studie hinreichend neutralisieren.

Jonas Schmidt-Chanasit, Virologe der Uni Hamburg, sprach gegenüber der ARD von einer „ganz wichtigen“ Studie. Die Kernaussage des „Heinsberg-Protokolls“ lautete, dass mit 15 Prozent der Bevölkerung in Gangelt bereits ein hohes Maß an Immunität gegen das Coronavirus erreicht sei. Laschet wurde daraufhin zur treibenden Kraft des Lockerungsprozesses der Pandemie-Maßnahmen.

Land steuerte 65.000 Euro zu Studie bei, Privatwirtschaft 30.000

Dies könnte für ihn nun ein politisches Nachspiel im Landtag von NRW haben. Die SPD-Opposition nimmt zum einen Anstoß daran, dass die Landesregierung bei der Finanzierung und journalistischen Begleitung der Studie mit dem PR-Unternehmen Storymachine zusammengearbeitet hat.

Zum anderen hatte Laschet mehrfach erklärt, nichts von einer Kooperation zwischen dem Team von Prof. Streeck und der Agentur gewusst zu haben, die unter anderem von Ex-„Bild“-Chef Kai Diekmann, dem früheren „Stern“-Chef Philipp Jessen und Eventmanager Michael Mronz gegründet wurde. Zudem stellte er in Abrede, dass Geld des Landes in PR-Maßnahmen geflossen sei.

Das Gesundheitsministerium des Landes NRW erklärte auf eine Kleine Anfrage der SPD, dass die Landesregierung die Studie mit 65.315 Euro unterstützt. Diese würden jedoch nur in Corona-Tests und die Bezahlung medizinischer studentischer Hilfskräfte fließen.

Zudem hatten, wie Storymachine gegenüber dem „Handelsblatt“ einräumte, mehrere Unternehmen die Studie mit insgesamt 30.000 Euro unterstützt. Bei diesen handelte es sich um die Deutsche Glasfaser, die allerdings nicht die Studie selbst, sondern nur die damit zusammenhängende Kommunikation finanziert habe, sowie Gries Deco Company, Muttergesellschaft der Deko-Handelskette Depot.

Drosten: Heinsberg-Studienleiter mit „vorgefassten Tweets und Aussagen“ ausgestattet

Wie die „Süddeutsche Zeitung“ berichtet, will nun der Deutsche Rat für Public Relations die Zusammenarbeit zwischen Streeck und der Agentur auf mögliche Verstöße gegen das Transparenzgebot im Branchenkodex untersuchen. Gegner von Lockerungen der Pandemie-Maßnahmen mutmaßen, Streeck sei von der PR-Agentur in seiner Kommunikation gegängelt und von der Politik unter Druck gesetzt worden, rasch die gewünschten Ergebnisse zu liefern.

Der Berliner Virologe Christian Drosten findet es, wie er in der „Süddeutschen“ sagt, „alles total unglücklich“, beispielsweise dass „diese PR-Firma Geld bei Industriepartnern eingesammelt hat, um die öffentliche Meinung zu beeinflussen“. Mit „guter wissenschaftlicher Praxis“ habe das Vorgehen nichts mehr zu tun, es zerstöre vielmehr „viel von dem ursprünglichen Vertrauen der Bevölkerung in die Wissenschaft“. Drosten deutet an, der Studienleiter sei von Storymachine instrumentalisiert worden:

Da geht es auch um ein internes Dokument, demzufolge Tweets und Aussagen des Studienleiters Hendrik Streeck in Talkshows schon wörtlich vorgefasst waren. Da weiß ich einfach nicht mehr, was ich noch denken soll.“

Gesundheitsminister macht andere Angaben als Laschet

Das Magazin „Kontraste“ wiederum betont, dass Ministerpräsident Laschet am 9. April in einer Pressekonferenz gesagt habe: „Wer wie wen berät bei dieser großen Öffentlichkeitsarbeit, die da ja im Moment wohl weltweit da ist, entzieht sich der Kenntnis des Landes.“ Zehn Tage später habe er sich in ähnlicher Weise gegenüber dem „Deutschlandfunk“ geäußert.

Allerdings ging die Facebook-Seite des „Heinsbergprotokolls“ am 3. April online, der erste Eintrag kam drei Tage später. NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann erklärte gegenüber der „Rheinischen Post“, die Beratung des Streeck-Teams bei der Öffentlichkeitsarbeit sei der Öffentlichkeit und damit auch der Landesregierung bereits dadurch bekannt geworden, dass „diese zum Auftakt der entsprechenden Facebook-Seite sowie in deren Impressum öffentlich transparent angegeben wurde“.



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