Vom Stiefkind zur Chefsache

Bizarrer Streit um Geld hinter den Kulissen der Travemünder Woche
Titelbild
Segeln bei Windstärke 8 (Alle Fotos: Thilo Gehrke)
Von 1. August 2007

Das wechselhafte Wetter der letzten zehn Tage konnte die Stimmung unter den 2500 teilnehmenden Seglern aus weiten Teilen der Welt nicht kippen. Mit ihren 650 Booten hatten sie an den etwa 300 Regatten der 118. Travemünder Woche trotz Flauten und Sturmböen teilgenommen. Die jährlich stattfindende Travemünder Woche wurde am Sonntag nach zehn Tagen erfolgreich beendet. Sie ist nach der Kieler Woche das zweitgrößte Segelevent der Welt.

Fast 900.000 Besucher genossen ebenfalls das abwechslungsreiche Landprogramm. Dank eines Sponsors fand jeden Abend eine atemberaubende Feuerwerk-Lasershow vor dem Großsegler „Passat“ statt. Zwischen bayerischer Blasmusik, Werbeständen von Handy und Saunaverkäufern und Masseurinnen, die für ihr Wellnessprogramm an der Promenade warben, werden wohl einige der Gäste vergeblich nach einem Hinweis auf den Segelsport gesucht haben. Dieser fand vor den Toren der Stadt Travemünde auf der Ostsee statt. Mit ihren 12.000 Einwohnern ist Travemünde eigentlich ein Stadtteil der Weltkulturstadt Lübeck.

Mit Herzblut und Eigeninitiative

Über 300 ehrenamtliche Helfer sorgten vor Ort mit viel Herzblut und Eigeninitiative traditionsgemäß für ein Gelingen der Segelveranstaltungen. Deren Organisatoren beklagten sich jedoch über mangelnde Unterstützung durch die Verantwortlichen der Stadt Lübeck. Lübeck bezuschusst zwar die Travemünder Woche mit 30.000 Euro, stellt den Veranstaltern aber gleichzeitig hohe Rechnungen für Genehmigungen, Parkplatzgebühren, städtische Mitarbeiter und Nutzung einer Trafostation aus. Die Stadtoberen erhoffen sich so ein Vielfaches ihres „Einsatzes“ einzunehmen.

Wohnen in der Pfütze.
Wohnen in der Pfütze.

Tatsächlich nächtigen viele Segler auf nassen Grünflächen in ihren Zelten ohne Strom, Wasser und sanitäre Versorgung. Ein Mangel, der von vergangenen Segelveranstaltungen zwar bekannt war, die zuständigen Politiker beließen es jedoch bisher nur bei Lippenbekenntnissen.

Die ehrenamtliche Geschäftsführerin der Travemünder Woche, die 50-jährige Journalistin Karin Böge grollt: „Die Travemünder Woche ist als Werbeträger und Besuchermagnet unbezahlbar für die Stadt. Aber diesen Wert haben viele noch immer nicht erkannt, sonst würde man uns finanziell nicht so hängen lassen. Wer sich im Glanz der Veranstaltung sonnen will, muss auch bereit sein sie zu unterstützen, anstatt sich bei den Veranstaltern auch noch zu bedienen.“ Finanzielle Defizite wurden bisher zwar von der Possehl-Stiftung Lübeck aufgefangen, die Verantwortlichen der Stadt sahen dies aber anscheinend als Selbstverständlichkeit an und sahen keine Veranlassung zum Handeln.

„Verfilzte Politik“

Dr. Udo Ott ist Zahnarzt in Travemünde. Seit vielen Jahren schon schließt er zur Travemünder Woche seine Praxis, um als freiwilliger Helfer das Segelevent zu organisieren. Er spricht vielen Helfern aus der Seele, erwähnt verfilzte politische Seilschaften, einen aufgeblähten und selbstgefälligen Verwaltungsapparat und findet seine ehrenamtliche Arbeit nicht genügend gewürdigt. Eine Sichtweise, die durch die Reaktion der Stadtoberen auf diese Vorwürfe noch bestärkt wurde.

„Unverschämte Kritik“

Lübecks Wirtschaftssenator Wolfgang Halbedel (CDU) wies die Kritik der Travemünder Woche-Macher barsch als „Unverschämtheit“ zurück. SPD-Wirtschaftsexperte Jörg Hundertmark schlug vor, die Travemünder Woche privat finanzieren zu lassen, da Hotels und Restaurants ja auch von dem Großereignis profitieren würden. Der finanzpolitische Sprecher der CDU, Henning Stabe, polterte gar: „Die Travemünder Woche läuft doch gut, warum sollen wir gerade diese Veranstaltung unterstützen?“

Tatsächlich sind das Segelevent und das sich selbst tragende kommerzielle Landprogramm der Travemünder Woche zwei verschiedene Veranstaltungen. Eine wichtige Wahrnehmung, welche die Politiker scheinbar nicht erreicht hatte. Wenige von ihnen kamen weiter als bis zu dem Standort des Medienzeltes am Anfang der Festmeile. Als VIPs wurden sie dort fürstlich bewirtet und hatten keinen Sichtkontakt zu den Regattaseglern. Angesichts des eskalierenden Streits und der Bewerbung Lübecks für die Olympischen Segelspiele für das Jahr 2012 machte der eher charismatische statt hemdsärmelige Bürgermeister Bernd Saxe (SPD) diese Angelegenheit zur „Chefsache“. Bis zum Jahr 2009 sollen nun alle Mängel abgestellt und die Kommunikation zwischen den Beteiligten verbessert werden. Ob dies nun ein reinigendes Gewitter oder wieder nur Lippenbekenntnisse waren, bleibt abzuwarten.

Stiefkind Travemünde

Travemünde, Bausünde neben Bäderarchtektur.  Travemünde, Bausünde neben Bäderarchtektur.

Bis vor wenigen Jahren dümpelte das idyllische Fischerdorf Travemünde im Investitionsstau vor sich hin. Das einst prächtige Kasino verfiel, das Kurhaus und die Bahnhöfe verkamen zu Ruinen.Heute sind dort ansehnliche Luxushotels entstanden, jedoch fehlen nun Übernachtungsangebote für Familien im mittleren Preissegment. Diese zieht es vorzugsweise nach Boltenhagen an der Mecklenburger Ostseeküste. Mit außergewöhnlichen Veranstaltungen versucht man nun junges Publikum zu locken. Beim Powerboatracing, einem Event mit einer für Kritiker zweifelhaften Lebensphilosophie für Mensch und Umwelt, kam jüngst ein Teilnehmer beim Rennen mit High-Speed Booten, angetrieben durch Flugzeugmotoren, ums Leben. Ungeachtet dessen wurde das Rennen fortgesetzt.

Rendite – Urlaub – Wertsteigerung

Rendite – Urlaub – Wertsteigerung, steht verheißungsvoll auf den Bauschildern. Große Teile vom Privall, einer Landzunge gegenüber von Travemünde werden trotz Einspruch von Bürgerinitiativen an private Investoren verkauft. Die Stadt Lübeck ist pleite und braucht Geld. Bereits die Naturcampingplätze und die Jugendherberge sind für den Bau von Bungalows verkauft worden.

Der Herrentunnel, ein privat betriebenes Projekt unter der Trave, ist kostenpflichtig, will man von Lübeck auf direktem Weg nach Travemünde gelangen. Bereits nach einem Jahr Betrieb steht er kurz vor der Pleite.

Jedoch hat der Privall eine Besonderheit: Hier verlief bis 1990 der eiserne Vorhang direkt am Ostseestrand und trennte zwei Machtblöcke. Bis heute ist hier weder ein Hinweisschild noch eine Markierung zu finden. Man könnte eine Gedenkstätte oder ein Museum errichten und so den Tourismus ankurbeln, Fördergelder für solche Projekte stehen bereit. Es gibt in Lübeck nur eine Schwierigkeit: man muss tätig werden.

 



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