Von Anden-Erlen, Nachtfaltern und Meerschweinchen

Dass der tropische Regenwald ein riesiger CO2-Speicher ist und damit entscheidend zur Stabilität des Weltklimas beiträgt, lernt man hierzulande schon in der Schule. Trotzdem schrumpft er gegenwärtig jede Minute weltweit um eine Fläche von 30 Fußballfeldern. Am schlimmsten von Brandrodung betroffen ist Ecuador, dessen Kleinbauern sich teilweise mit Meerschweinchenzucht über Wasser halten. Die Technische Universität München unterstützt vor Ort.
Titelbild
Im Süden des Tales „Rio San Francisco“, wo sich eine gleichnamige Forschungsstation befindet, erstreckt sich Naturwald. Im Norden wird intensiv Land- und Forstwirtschaft betrieben. Optimale Bedingungen also zur Erforschung des Bergregenwaldes in seinem Ursprungszustand und nach Eingreifen des Menschen in das Ökosystem. (M.Weber/TUM)
Von 11. Juni 2009

Im Bergregenwald von Ecuador trifft man auf eine schier unglaubliche Artenfülle. Allein auf einem einzigen seiner Berge zählten Ökologen 2.100 verschiedene Nachtfalter – mehr als in ganz Europa zusammengenommen. Doch von dem einstigen Naturwaldbestand sind dem Land heute gerade mal sechs Prozent geblieben, und davon werden Jahr für Jahr weitere 1,21 Prozent abgeholzt.

Die ecuadorianische Bevölkerung ist in der Mehrheit arm, nach Kaufkraftparität die zweitärmste in Südamerika. Die Menschen in der Hochlandregion, der Sierra, leben hauptsächlich von Viehhaltung. Die Haupt-Einnahmequelle der Finqueros, zu deutsch Kleinbauern, wenn man sie überhaupt so nennen darf ob der reinen Selbstversorger-Wirtschaft, die sie betreiben, ist der Erlös durch die Milch ihrer Rinder. Die verkaufen sie entweder direkt, wenn sie das Glück haben, an einer Landstraße zu wohnen, ansonsten wird sie zu Käse und anderen Milchprodukten verarbeitet. In den kleinen Gärten der Fincas wachsen Bananen, Papayas und Baumtomaten für den Eigenbedarf, und beständig ist man auf der Suche nach zusätzlichen Einkommensquellen, um den Launen des schwankenden Milchpreises weniger stark ausgesetzt zu sein. Manche versuchen sich gar in der Meerschweinchenzucht, weil das Fleisch dieser Tiere in Ecuador als Delikatesse gilt.

Die Finqueros brauchen neues Land

Alle paar Jahre, wenn auf den ausgelaugten Böden der Viehweiden anstelle von Gras nur noch Unkraut wächst, vor allem der Meter hohe Adlerfarn, der mit seinen unterirdischen Ausläufern bald die gesamte Fläche überwuchert, müssen die Finqueros wieder ein Stück Regenwald roden. Ein Landnutzungsrecht gibt es in Ecuador bisher nur in Ansätzen, und die Brandrodung ist die traditionelle Betriebsweise der dortigen Bewohner seit jeher.

Außerdem ist der Urwaldboden schon von Haus aus wenig fruchtbar. Fehlt erst einmal die schützende Waldflora, spült der Regen die dünne Humusschicht, die auf dem darunter liegenden Gestein nur locker aufliegt, im Nu den Hang hinunter. Die Kühe mit ihren harten Klauen beschleunigen den Vorgang weiter.

Ein Teufelskreis, würden da nicht neuerdings im Rahmen des Kyoto-Protokolls Gelder für die Wiederaufforstung gerodeten Landes zur Verfügung gestellt. Nach acht Jahren Feldforschung im Bergland von Südecuador und umfangreichen Computersimulationen haben Wissenschaftler der Technischen Universität München (TUM) für die effektive Durchführung der Aufforstung ein Landnutzungskonzept entwickelt. Es soll den Bauern ein nachhaltiges und gleichzeitig gewinnbringendes Wirtschaften ermöglichen, die Unternehmensrisiken – weg von der ausschließlichen Konzentration auf die Milchviehhaltung – auf mehrere Standbeine verteilten.

Das Konzept sieht vor, brachliegende Viehweiden mit der Anden-Erle „Aliso“ zu bepflanzen. „Dass wir das mit einheimischen Arten versuchen, ist ganz neu“, sagt Michael Weber vom Lehrstuhl für Waldbau der TUM. Auch wenn der Baum selber „überhaupt nichts Neues“, sondern in den Hochlagen der Anden als natürlicher Bewohner des Bergregenwaldes weit verbreitet ist. Tatsächlich erwähnte der Botaniker Hieronymus den Baum bereits im Jahre 1874 bei seinen Untersuchungen der Vegetation in der argentinischen Provinz Tucumán.

Das Besondere an der Anden-Erle, einer Verwandten der über 30 auf der Nordhalbkugel beheimateten Erlenarten, ist ihre Fähigkeit, als „Stickstoffbinder“ schlechte Standorte zu verbessern. Mit Hilfe von Bakterien, die sich auf natürliche Art an den Wurzeln ansiedeln, wird Stickstoff aus der Luft gebunden und reichert sich nach und nach im Boden an. Dadurch wachsen die Bäume schneller. Unter den Bäumen schafft es außer der Erle nur noch die Gattung der Leguminosen, zu der die Akazie zählt, eine derartige Symbiose mit Bakterien einzugehen.

„Unter dem Schutz der Anden-Erle siedelt sich auch die natürliche Flora viel leichter wieder an, da Sonneneinstrahlung und Windbelastung nicht so intensiv sind“, sagt Weber. Über viele Jahrzehnte gesehen könnte so, wenn man die unterschiedlichen Büsche und Bäume durchwachsen ließe, sogar wieder der ursprüngliche, hochdiverse Naturwald entstehen.

Das vom Münchner Forscherteam vorgeschlagene Landnutzungsportfolio: Der helle Waldbestand (rechts) zeigt Weideaufforstung mit der Anden-Erle, links genutzte Weidefläche. Der dunklere Waldbestand im Hintergrund ist Naturwald. (M.Weber/TUM)
Das vom Münchner Forscherteam vorgeschlagene Landnutzungsportfolio: Der helle Waldbestand (rechts) zeigt Weideaufforstung mit der Anden-Erle, links genutzte Weidefläche. Der dunklere Waldbestand im Hintergrund ist Naturwald. (M.Weber/TUM)

Anden-Erle: Verbesserter Standort und gutes Holz für den Verkauf

Solche Fragen dürften die Anden-Bauern weniger beschäftigen. Entscheidend für sie ist das schnelle Wachstum von Aliso und eine gute Holzqualität für den Verkauf. Die ersten Erträge könnten mit dem Modell der TUM bereits im siebten oder achten Jahr nach Anpflanzung eingefahren werden. Voraussetzung für die wirtschaftliche Tragfähigkeit des Konzeptes ist ein Kredit für die ersten Aufforstungen, dessen Zinssatz sechs Prozent nicht übersteigen darf. „Hier kommt der Klimaschutz-Deal mit den Industrieländern ins Spiel. Die zu erwartenden Transferzahlungen für Öko-Dienstleistungen sind so hoch, dass dieser niedrige Zins gewährleistet ist“, sagt Weber.

Ist nach etwa 20 Jahren, wenn schließlich der ganze Baum gefällt wird, ein Rotationszyklus beendet, „wäre dieser Standort wieder frei, um für einige Jahre etwas Landwirtschaftliches anzubauen, beziehungsweise auch wieder Weide mit Viehhaltung zu betreiben“, erklärt Weber. Wie lange der Finquero die Weide dann nutzen kann, hängt von den erwirtschafteten Erträgen ab. Sobald diese wegen erneuter Degradierung zu stark zurückgehen, beziehungsweise der Aufwand für das Zurückdrängen der „Weideunkräuter“ zu groß wird, muss er wieder Erlen pflanzen. Das könne, so Weber, bereits nach 10 Jahren der Fall sein. Entscheidend ist laut Aussage des Waldbauexperten, dass es keine unproduktiven Flächen gibt und der Finquero mehrere Nutzungsoptionen wahrnimmt, um sein „Betriebsrisiko“ zu senken. In einer Modell-Farm, anhand realer Daten simuliert, konnte so die Zerstörung des Tropenwaldes nach einer Übergangszeit von zehn Jahren gestoppt und der erwirtschaftete Reingewinn gleichzeitig um 65 Prozent gesteigert werden.

Grundlagenforschung mitten im Regenwald in der Station „San Francisco“

Im steilen Kerbtal des Rio San Francisco, zwischen den Provinzhauptstädten Loja (2.380 Meter hoch gelegen) und Zamora, befindet sich die Forschungsstation „Estación Científica San Francisco“ (ECSF) der Deutschen Forschungsgesellschaft (DFG). Hier wird Grundlagenforschung betrieben. Die Unmenge an Daten, die dort von Biologen, Geografen, Genetikern, Klimaforschern und gar Völkerkundlern zusammengetragen werden, steht der gesamten Wissenschaftswelt in einem netzbasierten Informations- und Datenbanksystem der Universität Marburg zur Verfügung.

Auch das Anden-Erlen-Konzept entstand auf „San Francisco“. Und viele der darin eingebundenen Doktoranden sind Ecuadorianer. Sie kommen aus Loja und der umliegenden Region. „Der erste Doktorand, der aus unserem Projekt hervorging „, erzählt Weber, „ist jetzt Professor an der dortigen Universität“. Die ganze Forschergruppe ist so aufgebaut, dass immer mit einheimischen Counterparts zusammengearbeitet wird, etwa mit den zwei Universitäten in Loja. Außerdem werden zusammen mit einer Nichtregierungsorganisation (NGO) Demonstrationsobjekte und Ausbildungsprogramme für die einheimische Bevölkerung realisiert. Ein Ansatz auf „Farmebene“ also, unabhängig von staatlichen Programmen. Zwar muss der Finquero zur Finanzierung des Konzepts ein Darlehen mit niedrigem Zins aufnehmen können, dazu braucht es den Staat oder interessierte Investoren, ansonsten wäre er relativ unabhängig von Institutionen. Dass das Konzept bei der Bevölkerung ankommt, zeigen Anfragen einzelner Farmer oder ganzer Dorfgemeinschaften. Es entstehen bereits Baumschulen in den Gemeinden. „Und wenn es erst einmal ein paar Finqueros gemacht haben“, so Weber, „dann spricht sich das sehr schnell herum und trägt zur Verbreitung bei.“

ZUR INFO
Homepage der Forschergruppe: http://www.tropicalmountainforest.org/

Homepage der DFG mit Filmen zum Thema http://dfg-science-tv.de/projekte/bedrohter-bergwald.html

Erschienen in The Epoch Times Deutschland Nr. 21/09

Im Süden des Tales „Rio San Francisco“, wo sich eine gleichnamige Forschungsstation befindet, erstreckt sich Naturwald. Im Norden wird intensiv Land- und Forstwirtschaft betrieben. Optimale Bedingungen also zur Erforschung des Bergregenwaldes in seinem Ursprungszustand und nach Eingreifen des Menschen in das Ökosystem. (M.Weber/TUM)
Im Süden des Tales „Rio San Francisco“, wo sich eine gleichnamige Forschungsstation befindet, erstreckt sich Naturwald. Im Norden wird intensiv Land- und Forstwirtschaft betrieben. Optimale Bedingungen also zur Erforschung des Bergregenwaldes in seinem Ursprungszustand und nach Eingreifen des Menschen in das Ökosystem. (M.Weber/TUM)


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