Von der „Lügenpresse“ zur AfD: Ex-Journalist Hinrich Lührssen will in die Bremische Bürgerschaft

Für Radio Bremen und Stern TV arbeitete Hinrich Lührssen als freier Journalist, dazu schrieb er Bücher über Kuriositäten. Nun will er als Spitzenkandidat der AfD in den Landtag. Neben Unterstützung schlägt ihm auch Argwohn entgegen.
Titelbild
Das Rathaus in BremenFoto: iStock
Von 19. Januar 2019

Dass Hinrich Lührssen seit August 2018 keine Aufträge mehr als freier Mitarbeiter von Radio Bremen bekommt, und auch „stern TV“ zuletzt nicht mehr an ihn herangetreten ist, nimmt er sportlich. „Ich lebe jetzt von Ersparnissen. Für eine gewisse Zeit komme ich auch so zurecht“, erklärt er gegenüber dem Branchenmagazin „meedia“.

Nachdem Lührssen in den Landesvorstand der Bremer AfD kooptiert worden war, erklärte der öffentlich-rechtliche Sender, eine herausgehobene Funktionärstätigkeit in einer politischen Partei vertrage sich nicht mit dessen „Unabhängigkeit“.

Der 60-jährige, erfahrene Journalist scheint sich unterdessen dafür entschieden zu haben, dauerhaft in der Politik zu bleiben. Wenn die AfD am Sonntag ihre Kandidatenliste zur Bürgerschaftswahl am 26. Mai für den Wahlbereich Bremen aufstellt, will Lührssen für den Spitzenplatz kandidieren. Im Stadtstaat gelten für die Stadt Bremen und für Bremerhaven getrennte Wahlbereiche.

Alexander Tassis als möglicher Gegenkandidat

Im Jahr 2015 hatte die AfD landesweit 5,5 Prozent auf sich vereinigen können. Es war das schlechteste Ergebnis auf Landesebene, das die damals erst zwei Jahre alte Partei erzielt hatte, dennoch reichte es dafür, vier Abgeordnete in die Bürgerschaft entsenden zu können. Von diesen ist noch Alexander Tassis übrig, der als Exponent des nationalkonservativen Parteiflügels gilt.

Die drei übrigen Abgeordneten haben die Partei verlassen und sich der Partei des abgewählten Parteisprechers Bernd Lucke angeschlossen, die heute unter dem Namen Liberal-Konservative Reformer (LKR) firmiert. Zwei davon haben später wieder die Partei gewechselt und gehören nun den „Bürgern in Wut“ an, die in Bremerhaven die Fünf-Prozent-Hürde überschritten und sich so das „billigste Mandat“ in einem deutschen Landtag gesichert hatten, für das es ausreicht, etwas über 2000 Stimmen zu erlangen.

Tassis gilt als einer der möglichen Gegenkandidaten, die sich ebenfalls um den ersten Platz auf der Liste bewerben könnten. Die jüngsten Umfragen geben der AfD im Stadtstaat zwischen sechs und acht Prozent, was für etwa sechs Mandate reichen könnte.

Die Chancen, dass die Mitglieder der Partei Lührssen mit der Spitzenkandidatur betrauen, stehen gut. Bereits in Mecklenburg-Vorpommern hatte die AfD gute Erfahrungen mit einem bekannten Gesicht aus den Medien gemacht, in diesem Fall mit Radiomoderator Leif-Erik Holm, der mittlerweile in den Bundestag gewechselt ist. Sich um den Spitzenplatz zu bewerben, sei, so vertraut er Meedia an, seine Idee gewesen, denn er habe von anderen Mitgliedern „viel Unterstützung und Aufforderung verspürt, das zu machen“.

Von Augstein bis Markwort: Bekannte deutsche Journalisten in der Politik

Lührssen befasste sich im Fernsehregionalmagazin „buten un binnen“ unter anderem mit den Tücken des sogenannten Amtsschimmels. Er schrieb auch Bücher über Behördenwillkür, Werbung und menschliche Missgeschicke. Politisch exponierte er sich bislang kaum. Inhaltlich steht er für eine eher moderate, bürgerliche Linie, allerdings besteht er auf eine offene Diskussion über Themen wie die Folgen der Migration oder Armut.

In Deutschland wird oft ein starker Einfluss der Politik auf die Medien beklagt oder auch eine zu geringe Distanz zwischen beiden. Journalisten, die in die Politik gehen, sind in Deutschland allerdings nicht alltäglich – und nicht immer war ihr Engagement von Erfolg gekrönt.

Einer der bekanntesten Fälle ist der des langjährigen „Spiegel“-Herausgebers Rudolf Augstein, der in der Zeit von 1972 bis 1973 für die F.D.P. im Bundestag saß. Im Jahr 1983 hatte der frühere stellvertretende Chefredakteur des Bayerischen Fernsehens und Moderator der Sendung „Jetzt red‘ i“, Franz Schönhuber, die Partei „Die Republikaner“ mitgegründet, die den Einzug in mehrere Landtage und ins Europaparlament schaffte. Zwei Jahre hatte der Bayerische Rundfunk versucht, eine Entlassung Schönhubers wegen dessen freimütiger Memoiren unter dem Titel „Ich war dabei“ über seine Zeit in der Waffen-SS zu entlassen.

Die frühere Chefredakteurin des Hessischen Rundfunks, Luc Jochimsen, saß von 2005 bis 2013 für „Die Linke“ im Bundestag und kandidierte für die Partei als Kandidatin für die Bundespräsidentschaft. Der langjährige Chefredakteur des „Focus“, Helmut Markwort, ist der jüngste Journalist, der eine zweite Karriere in der Politik startete – er wurde im Oktober 2018 für die FDP in den Bayerischen Landtag gewählt und fungiert als dessen Alterspräsident.

Nicht überall ist man sich sicher, wie dauerhaft das Engagement des zumindest in der Hansestadt bekannten Journalisten Hinrich Lührssen in der Politik und in der AfD sein wird. Neben der Kritik von links melden sich auch rechts Skeptiker zu Wort und säen Misstrauen gegen den früheren Auftragnehmer von Medien, die nicht wenige Anhänger und Mitglieder der Partei für gewöhnlich mit wenig schmeichelhaften Bezeichnungen wie „Lügenpresse“ bedenken.

„Engagement als Teil einer lang angelegten Recherche?“

Auch Berufskollegen wie der Jurist Ralf Höcker ist sich bezüglich der tatsächlichen Ambitionen Lührssens nicht sicher. Auf Facebook schreibt er:

„Bei Stern TV und in meiner eigenen RTL-Sendung ‚Einspruch‘ habe ich oft mit Hinrich Lührssen zusammengearbeitet. Alle, die ich kenne und die ihn kennen, fragen sich: Ist das Teil einer lang angelegten Recherche oder ein wirklich vollkommen ernsthaftes nicht-journalistisches Projekt? Wie auch immer: Er hat auf jeden Fall Eier, denn egal, was hier gerade passiert – er kriegt in jedem Fall auf die Fresse. Entweder von der einen oder von der anderen Seite. Ich wünsche ihm Steher-Qualitäten!“

Eine politische Karriere als Teil einer verdeckten Recherche in einer rechtskonservativen Partei? Auch das hätte in Deutschland ein Vorbild: Ende 1989 trat der 2016 verstorbene Kölner Journalist Michael Schomers als „Theodor Schomers“ in die Partei der Republikaner ein und veröffentlichte 1990 seine Ergebnisse unter dem Titel „Deutschland ganz rechts“.

Anhaltspunkte für ein solches Vorhaben gibt es jedoch nicht – und die Entschlossenheit, als Spitzenkandidat in den Landtagswahlkampf zu ziehen, lässt auch auf die Ernsthaftigkeit von Lührssens Ambitionen schließen.

Die Chancen, dass er nach dem 26. Mai als Mitglied einer dann wieder in Fraktionsstärke in der Bremischen Bürgerschaft vertretenen AfD Politik machen wird, sind durchaus seriös.



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