Werner Patzelt im Gespräch mit EPOCH TIMES: „Wenn CDU noch regieren will, muss sie sich ändern“

Vor dem Hintergrund der Führungsdebatte in der Union hat die Redaktion mit dem bekannten Politikwissenschaftler Prof. Dr. Werner Patzelt gesprochen. Er hält es vor dem Hintergrund der EU-Ratspräsidentschaft für möglich, dass diese erst Ende des Jahres entschieden wird.
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Der Reichstag in Berlin.Foto: iStock
Von 13. Februar 2020

Der Dresdner Politik-Experte Werner Patzelt hat im Vorjahr die CDU Sachsen im Landtagswahlkampf beraten. Er gehört der WerteUnion an und sieht die Ursache des politischen Niedergangs der Union im Verlust ihrer Fähigkeit, Wähler rechts der Mitte zu binden. Er hatte sich bereits Mitte der 2010er Jahre einen Namen als Wissenschaftler gemacht, als er Expertisen über das Phänomen „Pegida“ erarbeitet hatte, die auf einem selbst gewonnenen und authentischen Bild der Bewegung basierten.

Mit der Epoch Times hat Patzelt am Donnerstag in Berlin (13.2.) über die Situation der CDU nach den Vorfällen von Thüringen und nach der Rücktrittsankündigung von Parteichefin Annegret Kramp-Karrenbauer gesprochen.

Dabei ging es unter anderem um die Frage, ob sich Friedrich Merz mit seinem Vorpreschen am gestrigen Mittwoch in der Führungsfrage einen entscheidenden Startvorteil gesichert habe oder ihm wie schon 2018 ein Deal zwischen den übrigen Kandidaten sein Vorhaben vereiteln werde.

CDU muss begreifen, dass sie an einer Wegscheide steht

Werner Patzelt machte dazu deutlich, dass die CDU „begreifen muss, dass sie eine Entscheidung zu treffen hat“. Sie müsse entscheiden, ob sie eine – allenfalls leicht modifizierte – Politik des „Weiter so“ praktizieren wolle, auch auf die Gefahr hin, weiter Verluste zu erleiden. In diesem Fall wäre Armin Laschet die passendere Wahl, denn jede andere wäre in diesem Fall widersinnig. Wolle die Partei hingegen Wähler ansprechen, die zur AfD abgewandert seien oder im Begriff wären, dies zu tun, komme sie an Merz nicht vorbei.

Mit einer Entscheidung in der anstehenden Personaldebatte vor Jahresende rechnet der Politologe jedoch nicht. Es sei nicht davon auszugehen, dass die Union riskieren wolle, dass die eigene parteiinterne Führungsdebatte die deutsche EU-Ratspräsidentschaft überschatte. Deshalb könne noch viel geschehen – „sei es an Einsicht der CDU, sei es an Bockigkeit“.

Zudem fragte die Epoch Times, wie es um die Reformfähigkeit der CDU grundsätzlich bestellt sei, nachdem 14 Jahre der Führung Angela Merkels auch einen Funktionärstypus geschaffen hätten, der Reformen oft schon im Keim erstickt habe.

Werner Patzelt machte deutlich, dass sich die Antwort auf die Frage der Reformfähigkeit in jenem Moment weisen werde, da tatsächlich Reformen anstehen würden. „Diesbezüglich kann man durchaus skeptisch sein“, erklärte er,

da in der Ära Merkel ein Funktionärstypus hochgekommen ist, der davon ausgeht, dass ein Kurs, der über ein paar Jahre hinweg erfolgreich gewesen war, auch dauerhaft erfolgreich sein muss – was eine sehr merkwürdige Weise von unaufgeklärtem Konservatismus darstellt.“

Fehlende Regierungsoptionen könnten Union zum Umdenken zwingen

Gänzlich solle man die Hoffnung auf Veränderungen auch in der CDU nicht aufgeben. Die normative Kraft des Faktischen könne dabei durchaus zu einem Faktor werden:

Die CDU ist ein Partei, deren Hauptpläsir im Regieren besteht. Und wenn die Wahlergebnisse sie davon fernhalten und ihr nicht einmal mehr zusammen mit SPD, Grünen oder beiden Regierungsposten bescheren, dann ist die CDU an jener Stelle getroffen, an der sie durchaus zum Lernen bereit ist.“

Unklar ist, ob, wenn dieser Lerneffekt eintrete, nicht bereits die AfD so weit gefestigt und die Union so weit zu einer Splitterpartei der Mitte zusammengeschrumpft sei, dass sich gar keine Regierungsoption mehr finde.

Eine weitere Frage, die Epoch Times mit dem Dresdner Politikwissenschaftler erörterte, war, wie Merz mit der Situation umgehen könnte, dass er in den Medien nicht annähernd jenen Rückhalt zu erwarten hätte, wie ihn Merkel genieße.

Es treffe zu, so Werner Patzelt, dass Merkel ihre langjährige Popularität und ihre politische Macht nicht zuletzt darauf aufgebaut habe, dass sie stets im Einklang mit der veröffentlichen Meinung agiert habe.

„Sie veränderte ihre Politik, wenn der mediale Druck zu groß gewesen ist, und da sie stets gewillt war, sich dem medialen Druck zu beugen, musste sie auch nicht befürchten, dass sie infolge dessen für ihre Politik kritisiert werden würde – selbst wenn diese nicht erfolgreich war“, erklärt der Politik-Experte. Eher sei die Rede davon gewesen, dass Merkel allenfalls noch zu wenig des aus medialer Sicht Richtigen umsetzen würde.

„Man kann gegen die Medien regieren – braucht aber loyale Funktionäre“

Es sei schwer, gegen die Meinung der Medien zu regieren. Es sei jedoch nicht unmöglich und sogar in Deutschland selbst habe ein Kanzler der CDU diese Kunst sogar über Jahre hinweg perfektionieren können:

Helmut Kohl etwa verbündete sich dagegen mit den einfachen Leuten im Lande. Dabei konnte er sich jedoch auch auf die mit ihm verbundene Funktionsträgergruppe in der CDU stützen.“

Es sei jedoch noch nicht abzusehen, ob Friedrich Merz in der Lage wäre, sich ein Funktionärskorps in der CDU aufzubauen, auf das er sich in der Weise verlassen könne wie dies bei Helmut Kohl der Fall gewesen sei. Patzelt dazu:

„Ich bin diesbezüglich skeptisch. Allerdings ist die öffentliche Meinung im Lande auch nicht mehr unbedingt die Resonanzfläche dessen, was die Medien verkünden. Es gibt eher einen Zerfall der Öffentlichkeit in die vielschichtigen Resonanzräume und Echokammern im Internet. Dies schafft auch neue Möglichkeiten, die etablierten Medien zu umgehen und gleichsam in einen direkten Kontakt mit jenen Teilen der Bevölkerung zu treten, die überwiegend nicht die Sozialdemokraten, die Grünen und die Linken wählen, die aber keinen adäquaten Ausdruck mehr im deutschen Parteiensystem im früheren Umfang gefunden haben.“

Es gebe eine nichtlinke Mehrheit im Land, betont Patzelt zudem, dies merke man allein schon, wenn man die Stimmenanteile von Union, FDP und AfD miteinander addiere. Diese Mehrheit sei nicht einmal eine schweigende. Was auch eine Hypothek darstelle, denn sie „artikuliert sich im Internet auf das Schrillste und auch oft auf eine sehr abstoßende Weise“.

Werner Patzelt: Nichtlinke Mehrheit keine schweigende – und das wird oft zur Belastung

Das Problem der nichtlinken Mehrheit sei also nicht, dass es eine schweigende Mehrheit wäre, sondern eher, dass sich ihre Wortführer in einer Weise äußerten, dass die vernünftigen Teile der nichtlinken Mehrheit Bedenken hätten, mit dem schrillen Teil der nichtlinken Mehrheit zusammenzuarbeiten.

Dieses Gebaren mache es auf absehbare Zeit unmöglich, dass man rechte Parlamentsmehrheiten gegen die Linke in Stellung bringe:

„Das ungeschriebene Gebot der Politik in Deutschland lautet ja, dass niemals eine nichtlinke parlamentarische Mehrheit gegen die Linke in Stellung gebracht werden darf, wenn die AfD Teil dieser Mehrheit ist. Aber es gibt nun mal zwei nichtlinke Parteien in Deutschland mit einigem politischen Gewicht, nämlich die CDU und die AfD, und im Osten ist die AfD vielfach sogar schon stärker als die CDU.“

Obwohl der Weg vom linken Lager oder auch von der AfD zu einer CDU unter einem Bundesvorsitzenden Friedrich Merz inhaltlich deutlich weiter wäre als von der FDP, glaubt Patzelt dennoch nicht, dass Merz den Liberalen schaden würde:

Die FDP ist dadurch geschwächt, dass liberales Denken in der Öffentlichkeit de facto nicht mehr vorkommt und weil niemand mehr erklärt, warum Liberalismus, warum vernünftige Rahmenbedingungen im Land setzende Ordnungspolitik für das Land gut ist.“

Merz könnte auch der FDP wieder Leben einhauchen

Inwieweit ein CDU-Vorsitzender oder Bundeskanzler Merz die Grundgedanken des Liberalismus popularisieren könnte, sei nicht abzusehen, gelänge es ihm, würde das jedoch auch die FDP eher stärken, als sie in ihrem derzeitigen beklagenswerten Zustand zu belassen.

Auf die Frage, inwieweit ein CDU-Chef oder Bundeskanzler Friedrich Merz in der Europapolitik andere Akzente setzen würde, antwortete Patzelt:

„Das bleibt abzuwarten. Deutschland kann in der EU nicht allein Politik machen. Die Politik gegenüber Ungarn oder Fragen wie der Green Deal hängen auch in hohem Maße davon ab, was andere Mitgliedstaaten in der EU wollen. Es könnte allerdings sein, dass ein Kanzler Merz in der Tradition eines Helmut Kohl eher bereit wäre, auch die Stimmen der kleineren Staaten in der Europäischen Union, etwa der mittel- oder osteuropäischen, ernst zu nehmen als das bei Angela Merkel der Fall war oder ist.“

Es könnte auch sein, dass in Bereichen wie Green Economy oder Green Deal Merz „weniger überzeugungsgetrieben ist als Merkel“ und folglich eher pragmatisch auftrete.

Wenn Deutschland in der Europapolitik nicht willens oder fähig sei, zu handeln, wirke sich das auf die Europäische Union aus, weil diese ganz stark von Deutschlands sich integrierender Führungsrolle lebe. „Unsicherheiten über Deutschlands Kurs und Deutschlands europäische Visionen sind immer schlecht für die EU“, meint Werner Patzelt.

Deutsche Vision von Europa „aus der Zeit gefallen“

Dies müsse in der derzeitigen Situation aber nicht unbedingt von Nachteil sein, da die traditionellen deutschen Visionen, die in die Richtung der Schaffung Vereinigter Staaten von Europa gegangen seien, wie aus der Zeit gefallen wirkten. Die Zeichen stünden eher auf Intergouvernementalismus.

Demgegenüber würde die deutsche Politik immer noch an Konzepten festhalten, die in zahlreichen anderen europäischen Ländern nicht mehr als erstrebenswert angesehen würden. Oft liege die fehlende Akzeptanz deutscher Ansätze in der Europapolitik auch darin begründet, dass diese den anderen Ländern nicht als ausreichend rational erschienen:

„Es liegt vor Augen, dass deutsche Gestaltungsansprüche nicht immer vernünftig sind, von ihren Ansätzen her schon unvernünftig sein können wie die deutsche Migrationspolitik oder von ihren Ergebnissen her voraussichtlich unvernünftig wie die deutsche Energiepolitik. Insofern könnte es für Europa sogar hilfreich sein, wenn Deutschland von einer lahmen Ente statt von einem jungen Hirsch geführt wird.“

Das Risiko einer schwachen Führung in Europa sei es jedoch, dass an ihre Stelle ein Wettbewerb der Ellenbogen treten könnte, der sich auf das Projekt ebenfalls nachteilig auswirken könne.



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