„Schluss mit Zwang zur Wärmepumpe“
Wirtschaftsministerin Reiche warnt vor Wohlstandsverlust – und kündigt Strukturreformen an
Deutschland stecke in einer historischen Wachstumskrise, warnt Wirtschaftsministerin Katherina Reiche. In ihrer ersten Regierungserklärung kündigt sie weitreichende Strukturreformen an – von sinkenden Stromkosten über den Bau neuer Kraftwerke bis hin zu einem pragmatischeren Umgang mit Klimaschutzvorgaben.

Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche will neue Akzente im Bundeswirtschaftsministerium setzen.
Foto: Kay Nietfeld/dpa
Ohne Wachstum wird Deutschland die Mitte der Gesellschaft verlieren, hat Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche am Freitag, 16. Mai, im Bundestag gewarnt. Anlässlich ihrer ersten Regierungserklärung hat die Ministerin von einer „historischen Wachstumskrise“ gesprochen. In einem am Montag erschienenen Interview mit dem „Handelsblatt“ hat sie noch einmal nachgelegt und „schnelle und konsequente“ Strukturreformen angekündigt.
Konfliktpotenzial mit Brüssel
Reiche hob erneut heraus, wo ihre Schwerpunkte liegen sollen. An erster Stelle stehe dabei eine sichere und bezahlbare Stromversorgung. Derzeit gehört Deutschland mit knapp 40 Cent pro Kilowattstunde zu den Ländern mit der teuersten Stromversorgung der Welt. Nur auf den Bermudas ist Strom noch etwas teurer. In Dänemark und Irland ist der Strompreis ähnlich teuer wie in Deutschland.
Unmittelbar nach ihrem Amtsantritt hatte Reiche in Aussicht gestellt, die Preise für die Kilowattstunde um mindestens fünf Cent senken zu wollen. Außerdem soll es einen „Industriestrompreis“ für einige besonders energieintensive Unternehmen geben. Zudem soll es „staatliche Anreize“ für den Bau von Back-up-Kraftwerken mit „mindestens 20 Gigawatt Leistung“ bis 2030 geben.
Dies würde in etwa 40 großen Kraftwerksblöcken entsprechen. Der „Industriestrompreis“ müsste durch Subventionen ermöglicht werden. Darüber, dass dies zu Konflikten mit dem EU-Beihilferecht führen könnte, sei sie sich im Klaren, betont die Ministerin. Deshalb will sie bereits am Montag mit EU-Wettbewerbskommissarin Teresa Ribera „genau darüber sprechen“. Gegenüber dem „Handelsblatt“ äußerte sie:
„Wir werden die Kommission mit einer ganzen Reihe von wettbewerbsrechtlich relevanten Themen beschäftigen müssen. Natürlich wird die Kommission zu all dem Fragen haben. Umgekehrt ich aber auch.“
Betreiber der Erneuerbaren in Verantwortung nehmen
Mit Blick auf den jüngsten Blackout in Spanien und Portugal versucht Reiche, Befürchtungen zu zerstreuen. Die Ursachen des Stromausfalls seien noch nicht restlos geklärt, Deutschland verfüge jedoch in jedem Fall über mehr grenzüberschreitende Stromleitungen als die betroffenen Länder in Südwesteuropa. Damit sei man besser ins europäische Stromsystem eingebettet und besser abgesichert.
Das System komme jedoch auch hier immer wieder an seine Grenzen, und dies müsse sich ändern. Man benötige Kraftwerke, die einspringen könnten, sobald ein Frequenzeinbruch im Netz drohe. Bis zum Sommer solle es ein Monitoringsystem geben. Man müsse das Verhältnis zwischen Ausbau der erneuerbaren Energien, den Stromnetzen und einer realistischen Bedarfsentwicklung im Auge behalten.
Katherina Reiche kündigte auch einen veränderten Ansatz im Umgang mit der Erneuerbaren-Branche an. Deren Betreiber müssten „ihren Teil der Verantwortung für die Systemstabilität tragen“, äußerte die Politikerin gegenüber dem „Handelsblatt“. Derzeit hätten sie hauptsächlich Nutzen, aber nähmen kaum Verantwortung wahr:
„Sie profitieren von einer staatlich garantierten Förderung, ohne sich um die Systemstabilität Gedanken machen zu müssen. Das kann so nicht bleiben.“
Wirtschaftspolitik statt Klimafokus
Die Ministerin verteidigte auch ihr Vorgehen mit Blick auf den Austausch einer Vielzahl an Staatssekretären und Abteilungsleitern in ihrem Haus. Man benötige eine „Neuausrichtung“, betonte Reiche. Das Wirtschaftsministerium habe man „in den vergangenen Jahren fast ausschließlich als Klima- und Energieministerium wahrgenommen“. Nun wolle sich das Ministerium „breiter aufstellen“.
Der Klimaschutz bleibe „eine globale Herausforderung, der wir uns stellen müssen“. Er könne aber nicht das einzige Ziel eines Wirtschaftsministeriums sein. Im Energiebereich habe eine solche Strategie nur zu hohen Preisen und einer unsicheren Versorgung geführt.
Die Förderung der Erneuerbaren, so Reiche, müsse so umgebaut werden, dass der Nutzen für das heimische Stromsystem im Vordergrund stehe. Der Strom aus den Erneuerbaren müsse „an dem Ort und zu dem Zeitpunkt, wo er gebraucht wird, zur Verfügung stehen“.
Reiche rechnet mit dreistelligen Milliardeninvestitionen
Zwar habe der Ausbau der Erneuerbaren zur Dämpfung des Strompreisniveaus beigetragen, die Systemkosten blieben jedoch eine Herausforderung. Deshalb blieben ein zeitnaher Ausbau der Netze und der Ausbau der Back-up-Kapazitäten dringliche Aufgaben. Dies werde dreistellige Milliardenbeträge in Anspruch nehmen.
Der Ausbau der Erneuerbaren und der Netze müsse synchron erfolgen. Die Reduktion der CO₂-Emissionen müsse „zu vertretbaren Kosten“ erfolgen. Reiche will, so kündigte sie im Bundestag an, mindestens 40 neue Kraftwerke mit zusammen 20 Gigawatt Leistung „ganz schnell“ ausschreiben. Dieser Wert, der auch im Koalitionsvertrag vereinbart worden war, sei „ambitioniert“, und es seien komplexe Verhandlungen mit der EU-Kommission zu erwarten.
Man brauche jedoch regelbare Leistung, und Gaskraftwerke seien dabei ein möglicher Weg, um Kohlekraftwerke abschalten zu können. Im Bundestag kritisierten die Grünen den sich abzeichnenden „Gas-Boom“. Ihr Abgeordneter Andreas Audretsch warnte davor, Klimaschutz und Wirtschaftswachstum gegeneinander auszuspielen. Allerdings hatte auch Reiches Vorgänger, Audretschs Parteikollege Robert Habeck, Gaskraftwerke als Teil einer Back-up-Lösung zur Sicherung der Stabilität der Versorgungsnetze vorgesehen.
„Zwang zur Wärmepumpe“ durch flexible Lösungen ersetzen
Reiche kündigte zudem an, zeitnah die gesetzlichen Grundlagen für die Nutzung und Speicherung von CO₂ schaffen zu wollen. Außerdem soll die Stromsteuer auf das europarechtliche Mindestniveau senken, und es soll Entlastungen bei den Netzentgelten und Umlagen geben.
Im „Handelsblatt“ erklärte die Ministerin auch, es müsse „Schluss sein mit dem Zwang zur Wärmepumpe“. Sie bekannte sich zu einer Festlegung verbindlicher CO₂-Reduktionsziele. Es müsse jedoch den Hausbesitzern selbst überlassen bleiben, wie sie diese erreichen wollten. Hybride Lösungen könnten dabei sinnvoller sein als vorgeschriebene technologische Lösungen. Man müsse einen Rahmen setzen und „erst dann nachschärfen, wenn es notwendig ist“.
Reinhard Werner schreibt für die Epoch Times zu Wirtschaft, gesellschaftlichen Dynamiken und geopolitischen Fragen. Schwerpunkte liegen dabei auf internationalen Beziehungen, Migration und den ökonomischen Folgen politischer Entscheidungen.
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