Würdigung von Arbeitsmigranten: Michelle Müntefering fordert Denkmal für Gastarbeiter

Die Staatsministerin für Internationale Kulturpolitik, Michelle Müntefering, hat in einer Adresse an den Kongress „KulturInvest“ in Essen ein Denkmal für Arbeitsmigranten gefordert, die zwischen den 1950er und 1970er Jahren nach Deutschland gekommen waren.
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Geht es nach Michelle Müntefering, dann soll Deutschland ein Denkmal für Gastarbeiter bekommen. Symbolbild.Foto: istock
Von 9. November 2019

Wie das „Deutsch-Türkische Journal“ (dtj) berichtet, hat die deutsche Staatsministerin für Internationale Kulturpolitik, Michelle Müntefering, in einer Adresse zum Kongress „KulturInvest“ in Essen am Donnerstagabend (7.11.) ein Denkmal für Arbeitsmigranten gefordert, die seit den 1950er Jahren aufgrund von Anwerbeabkommen nach Deutschland gekommen waren.

Die Bundestagsabgeordnete und Ehefrau des früheren SPD-Spitzenpolitikers Franz Müntefering hält ein solches Denkmal für angebracht, um die Leistungen der damals sogenannten Gastarbeiter für das Wirtschaftswachstum und den steigenden Wohlstand der damals noch jungen Bundesrepublik zu würdigen.

„Eine Demokratie braucht Gesetze, aber sie braucht auch eine Erzählung“, begründete Müntefering ihren Vorstoß und fügte hinzu: „Zu unserer Demokratiegeschichte gehört auch die der ehemaligen Gastarbeiter. […] Ihre Geschichte ist längst die unseres Landes geworden.“

Bereits Anfang der 2000er in Frankfurt/Main geplant

Wie das dtj schreibt, habe es bereits 2001 Überlegungen gegeben, in der Nähe des Hauptbahnhofes von Frankfurt am Main ein solches Denkmal zu errichten. Dies erschien allein schon deshalb als stimmig, da der Großteil der Arbeitsmigranten damals in überfüllten Zügen anreisen musste. Im Jahr 2004 wurden auch drei Entwürfe für ein solches Denkmal präsentiert. Umgesetzt wurde das Vorhaben jedoch bis heute nicht, was auch an Unstimmigkeiten zwischen der Deutschen Bahn und der Stadt Frankfurt sowie an Umbaumaßnahmen gelegen habe.

Dass Michelle Müntefering das Thema nun wieder aufs Tapet bringt, dürfte mehrere Gründe haben. Zum einen verbindet sie ihre politische Arbeit stark mit der Türkei, aus der über die Jahre hinweg gerechnet die meisten Einwanderer im Zuge der Arbeitsmigration gekommen waren. So ist die Staatsministerin auch Vorsitzende der Parlamentariergruppe Deutschland-Türkei im Deutschen Bundestag und seit 2015 Vizepräsidentin der Deutsch-Türkischen Gesellschaft e. V. Berlin.

Zudem hatte die SPD, die einst auf mehr als 70 Prozent der Stimmen von Wählern mit türkischem Migrationshintergrund zählen konnte, zuletzt gerade in dieser Wählergruppe massive Stimmenverluste zu beklagen. Die von Müntefering vorgeschlagene Geste der Würdigung der ersten Generation türkischer Einwanderer könnte hier eine vertrauensbildende Maßnahme darstellen.

Anwerbeabkommen sollten kommunistische Wühlarbeit erschweren

Grundlage für die Arbeitsmigration waren mehrere Anwerbeabkommen mit deren Herkunftsstaaten. Den Anfang machte 1955 Italien, in den Jahren von 1960 bis 1968 kamen weitere Abkommen mit Spanien, Griechenland, der Türkei, Marokko, Südkorea, Portugal, Tunesien und dem damaligen Jugoslawien dazu. Neben Deutschland schlossen auch Frankreich und Österreich in dieser Zeit mehrere bilaterale Anwerbeabkommen ab. Angesichts der Ölkrise beschloss das Kabinett Helmut Schmidt I 1973 jedoch einen Anwerbestopp.

Hintergrund der Bemühungen war es, dem Arbeitskräftemangel in Westeuropa gegenzusteuern, wo der Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg und insbesondere das Wirtschaftswunder in Deutschland zu einer dynamischen Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt geführt hatten. Vor allem schlecht bezahlte und physisch schwer belastende Arbeitsplätze konnten vielfach nicht mehr aus eigener Kraft besetzt werden. Demgegenüber litten südeuropäische Länder und die Türkei unter Wirtschaftskrisen mit zum Teil hoher Arbeitslosigkeit. Menschen die Möglichkeit zu eröffnen, im reichen Ausland Arbeit zu finden, sollte helfen, die Lage zu stabilisieren und zu verhindern, dass Kommunisten die Krise erfolgreich zur Unterminierung der betroffenen Staatswesen nutzen konnten.

Die angeworbenen Arbeitskräfte sollten nach dem Willen der Vertragsparteien – deshalb auch die anfängliche Bezeichnung als „Gastarbeiter“ – befristete Arbeitsverträge erhalten und nach deren Ablauf in ihre Herkunftsländer zurückkehren. Tatsächlich war die Fluktuation in den intensivsten Phasen der Arbeitsmigration von den 1950ern bis hinein in die 1970er Jahre hoch und von den 14 Millionen eingereisten Gastarbeitern kehrten etwa 12 Millionen wieder in ihre Heimat zurück.

Heute etwa drei Millionen Menschen mit türkischen Wurzeln in Deutschland

Andererseits wurden in vielen Fällen die Verträge individuell verlängert und der Aufenthaltsstatus vieler früherer Gastarbeiter, insbesondere aus der Türkei, verfestigte sich. Seit den 1970er Jahren erhielten viele von ihnen auch die Möglichkeit, ihre Familien nachzuholen.

Die größte Gruppe an Einwanderern, die im Wege der Arbeitsmigration nach Deutschland gekommen waren, stellen heute die Türken. Im Jahr 2018 lebten in Deutschland etwa drei Millionen Menschen mit Migrationshintergrund, die ihre familiären oder religiösen Wurzeln in der Türkei haben, etwa die Hälfte davon besitzt die deutsche Staatsangehörigkeit.

Die größte Gruppe unter den Ausländern machen hierzulande die Türken aus, von denen knapp 1,6 Millionen in Deutschland leben. Von der ehemals größten Gruppe an Arbeitsmigranten, den Italienern, leben derzeit noch etwa 550 000 in Deutschland. Seit 2006 hat sich der Wanderungssaldo zwischen der Türkei und Deutschland umgekehrt: Mittlerweile wandern mehr Menschen jährlich von Deutschland in die Türkei aus als in der Gegenrichtung einwandern.

(Mit Material der dpa)



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