Zwischen Kosmopoliten und Nationalpopulisten: So ticken unsere Jugendlichen

Argumente wie "Die Regierung verschweigt der Bevölkerung die Wahrheit" und "Der Staat kümmert sich mehr um Flüchtlinge als um hilfsbedürftige Deutsche", der mehr als die Hälfte der Jugendlichen zustimmen, deuten darauf hin, dass sich die Jugend nicht ernst genommen fühlt.
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Anhand ihrer Antworten wurden über 2500 Jugendliche in unterschiedliche Kategorien eingeordnet.Foto: iStock
Epoch Times19. Oktober 2019

Junge Frauen einerseits, die sich bei Friday for Futere-Demos tummeln, und andererseits Jugendliche, die als „Nationalpopulisten“ kategorisiert werden. Das Feld der  18. Shell Jugendstudie, die am 15. Oktober in Berlin vorgestellt wurde, ist groß.

„Bereits im Jahr 2015 hatten viele Jugendliche ein größeres Engagement für politische und gesellschaftliche Themen gezeigt. Dieses Engagement verstärken sie inzwischen durch ein zunehmendes Umwelt- und Klimabewusstsein. Obwohl die Jugendlichen optimistisch in ihre persönliche und die gesellschaftliche Zukunft blicken, sehen sie doch, dass es Zeit ist, zu handeln“, sagt Studienleiter Prof. Dr. Mathias Albert von der Universität Bielefeld.

Die Botschaft der Jugend an ältere Generationen sei: „Wir bleiben zuversichtlich, aber hört auf uns, und achtet jetzt auf unsere Zukunft!“

Interesse an Politik und Medien

Das seit Beginn des Jahrtausends stark gestiegene Interesse an Politik bleibt stabil. Jugendliche meinen, dass politisches Engagement eine hohe Bedeutung habe. Ein besonderer Trend zeigt sich in der Fridays for Future-Bewegung, die medial stark von jungen Frauen repräsentiert wird.

Als Informationsquellen nutzen 20 Prozent der Jugendlichen Nachrichten-Websites, 14 Prozent greifen auf Messenger Apps zu und 9 Prozent auf Youtube. Jeder zweite sieht Youtube als weniger bis nicht vertrauenswürdig an. Den Informationen auf Facebook misstrauen zwei von drei Jugendlichen. Immerhin fast ein Viertel (23 Prozent) beziehen ihre Nachrichten aus TV, 15 Prozent aus dem Radio und ebenfalls 15 Prozent aus Zeitungen.

Die große Mehrheit hält die Informationen in den ARD- oder ZDF-Fernsehnachrichten für vertrauenswürdig“, heißt es in der Studie.

Vergleichbares gelte auch für die großen überregionalen Tageszeitungen. Jugendliche in Ostdeutschland (68 %) würden diesen Medien allerdings deutlich weniger trauen als ihre Altersgenossen im Westen (83 %).

Drei von vier Jugendlichen hätten Angst vor Umweltverschmutzungen, gefolgt von der Angst vor Terroranschlägen (66 %) sowie dem Klimawandel (65 %).

Die Trends zu einer immer bunteren Gesellschaft geht bei Jugendlichen mit einem hohen Maß an Toleranz einher. Die Studie zeigt, dass Mädchen und Jungen verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen und Minderheiten mit sehr großer Mehrheit positiv gegenüberstehen. Die Ablehnungswerte liegen durchweg bei unter 20 Prozent.

57 Prozent der befragten Jugendlichen finden es gut, dass Deutschland viele Migranten aufgenommen hat. Gleichzeitig stimmen 68 Prozent der Aussage zu:

In Deutschland darf man nichts Schlechtes über Ausländer sagen, ohne gleich als Rassist beschimpft zu werden“.

Argumente wie „Die Regierung verschweigt der Bevölkerung die Wahrheit“ und „Der Staat kümmert sich mehr um Flüchtlinge als um hilfsbedürftige Deutsche“, der mehr als die Hälfte der Jugendlichen zustimmen, deuten darauf hin, dass sich die Jugend nicht ernst genommen fühlt.

Kategorien für Populismus

Die Jugendlichen wurden in der Studie in fünf „Populismuskategorien“ eingeordnet.

Etwa 12 Prozent der Jugendlichen ließen sich in als Kosmpololiten einordnen. „Sie befürworten, dass Deutschland viele Flüchtlinge aufgenommen hat, und lehnen so gut wie alle populistisch gefärbten Statements ab. 27 Prozent der Befragten gehören zu den Weltoffenen. Dass Deutschland viele Migranten aufgenommen habe, befürworten sie. Darüber hinaus distanzieren sich von explizit sozial- oder nationalpopulistischen Statements. 28 Prozent der Jugendlichen bilden die im Vergleich größte Gruppe der Nicht-ein-deutig-Positionierten. Auch sie bejahen die Aufnahme vieler Migranten in Deutschland. Sie seien oftmals auch offen für Aussagen, „die auf ein diffuses Meinungsdiktat abzielen und an ein vorhandenes Misstrauen gegenüber Regierung und sogenanntem Establishment anknüpfen.“

Fast ein Viertel der Befragten (24 Prozent) gehören zu den Populismus-Geneigten. Nur jeder dritte findet es gut, dass Deutschland viele Migranten aufgenommen habe. Zudem befürworten die meisten von Ihnen Ausserungen wie „in Deutschland darf man nichts Schlechtes über Ausländer sagen, ohne gleich als Rassist beschimpft zu werden“ und „Der Staat kümmert sich mehr um Flüchtlinge als um hilfsbedürftige Deutsche“. Das gelte auch fürdie Aussage „Die Regierung verschweigt der Bevölkerung die Wahrheit“.

Als Nationalpopulisten können neun Prozent der Jugendlichen bezeichnet werden. Sie „stimmen allen populistisch aufgeladenen Statements durchgängig zu, distanzieren sich von der Aufnahme von Flüchtlingen und betonen darüber hinaus auch ihre generell ablehnende Haltung gegenüber Vielfalt“, so die Studie.

Debatten um Flucht und Migration spiegeln sich in gestiegener Angst sowohl vor Ausländerfeindlichkeit als auch – auf niedrigerem Niveau – vor Zuwanderung wider. Angst vor Zuwanderung äußern tendenziell eher die weniger Gebildeten.

Zuversicht und Gerechtigkeit

Mehr als die Hälfte der Jugendlichen sieht die gesellschaftliche Zukunft eher positiv.

59 Prozent finden, dass es in Deutschland insgesamt gerecht zugeht. Das gilt für West- und Ostdeutschland gleichermaßen.

Europäische Union

50 Prozent der Jugendlichen stehen der EU insgesamt positiv, aber nur acht Prozent negativ gegenüber. Das Vertrauen in die Staatengemeinschaft hat eher zugenommen. Sie steht bei Jugendlichen für Freizügigkeit, kulturelle Vielfalt und Frieden, im Vergleich zu 2006 zunehmend aber auch für wirtschaftlichen Wohlstand und soziale Absicherung.

Zufriedenheit mit der Demokratie, Politikverdrossenheit und Vertrauen in Institutionen

Mehr als drei Viertel der Jugendlichen sind mit der Demokratie zufrieden. Gleichzeitig kritisieren mehr als zwei Drittel, dass die Politiker sich nicht um ihre Belange kümmern, was als Ursache für Politikverdrossenheit gesehen werden kann.

Bei der Frage nach dem Vertrauen in Institutionen kommen die Polizei, das Bundesverfassungsgericht und Umweltschutzgruppen auf deutlich überdurchschnittliche Werte. Großen Unternehmen, Kirchen, Parteien und Banken wird deutlich weniger Vertrauen entgegengebracht.

Wertorientierungen

Für die überwältigende Mehrheit der Jugendlichen bilden nach wie vor gute Freunde, eine vertrauensvolle Partnerschaft und ein gutes Familienleben die wichtigsten Werte.

Ein hoher Lebensstandard und die Durchsetzung eigener Bedürfnisse verlieren vergleichsweise stark an Bedeutung. Insgesamt stehen idealistische, eher sinnstiftende Wertorientierungen bei jungen Menschen wieder höher im Kurs.

Gegenläufig ist die Entwicklung bei tendenziell mate­rialistischen Orientierungen, die darauf abzielen, die persönliche Macht und Durchsetzungskraft zu steigern.

Eltern und Familie

Im Ergebnis zeichnet sich ein relativ familienorientiertes Bild ab. Das Verhältnis der Jugendlichen zu ihren Eltern ist überwiegend gut. Die Mehrheit sieht ihre Eltern als Erziehungsvorbilder.

Der Kinderwunsch ist stabil. Bei der Familiengründung wünschen sich vor allem westdeutsche Männer und Frauen, dass der Mann der Haupt- oder Alleinversorger der Familie ist.

Religion

Die große Mehrheit der Jugendlichen ist Mitglied einer Religionsgemeinschaft. Dabei liegt der Wert aktuell zwar niedriger als 2015, aber höher als 2002.

Während die christlichen Konfessionen seit 2002 stetig an jugendlichen Mitgliedern verloren haben (allein zwischen 2015 und 2019 um fünf Prozentpunkte), haben der Islam und andere nicht-christliche Religionen an Bedeutung gewonnen. Der Anteil der Konfessionslosen stagniert.

Der Anteil der Jugendlichen, für die der Glaube an Gott tatsächlich wichtig ist, liegt mit fast einem Drittel allerdings deutlich niedriger und hat seit 2002 sogar leicht abgenommen.

Schule und Abschluss

Der Trend zu höheren Bildungsabschlüssen hält an. Das Gymnasium ist unangefochten die populärste Schulform und unter den Mädchen sogar schon die Schule, die von einer absoluten Mehrheit besucht wird.

Entsprechend ist das Abitur der mit Abstand am häufigsten angestrebte Schulabschluss. Der Trend zur akademischen Bildung nimmt weiter zu. Integrierte Schulformen, die in fast allen Bundesländern eingeführt wurden, verzeichnen die stärksten Zuwächse seit 2015.

Der Anteil der Jugendlichen, die sie besuchen, hat sich seit 2002 verdoppelt. Entsprechend weniger Jugendliche gehen auf eine Haupt- oder Realschule.

Zusammenhang Bildung und soziale Herkunft

Nach wie vor lässt sich ein starker Zusammenhang zwischen Bildungserfolg und sozialer Herkunft feststellen. Bei Jugendlichen aus bildungsfernen Elternhäusern ist es nur halb so wahrscheinlich, dass sie das Abitur erreichen wie bei Jugendlichen aus gebildeten Elternhäusern. Allerdings ist die Bildungspolitik der letzten Jahre insofern erfolgreich, als auch Jugendliche aus bildungsfernen Schichten das Abitur mittlerweile deutlich häufiger anstreben bzw. erreichen als früher.

Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Dr. Franziska Giffey (SPD) sagte: „Junge Menschen wissen, dass Entscheidungen von heute die Zukunft beeinflussen und sie wollen daran beteiligt sein. Sie fordern zu Recht, dass ihnen nicht nur zugehört wird, sondern dass ihre Forderungen auch Folgen haben.“

Die aktuelle Shell Jugendstudie zeige, dass junge Menschen sich einbringen wollen und dass viele auf die Demokratie, eine offene Gesellschaft und ein geeintes Europa setzen würden. „Dieses Vertrauen dürfen wir nicht verspielen“, so Giffey. Es gehe nur gemeinsam mit den Jugendlichen. Beteiligung sei deshalb, „neben Schutz und Förderung, Teil unserer Wertegrundlage, um die Rechte von Kindern und jungen Menschen ins Grundgesetz zu bringen“.

Die Studie wurde von Prof. Dr. Mathias Albert (Leitung, Universität Bielefeld), Prof. Dr. Gudrun Quenzel (Universität Vorarlberg), Prof. Dr. Klaus Hurrelmann (Hertie School of Governance), sowie einem Expertenteam des Münchner Forschungsinstituts Kantar um Ulrich Schneekloth im Auftrag der Deutschen Shell verfasst. Das Unternehmen finanziert die Jugendstudie bereits seit 1953. „Mit diesem Engagement für die Jugendforschung untermauern wir nicht zuletzt unsere Bereitschaft, gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen“, sagt der Vorsitzende der Deutsche Shell Holding GmbH, Dr. Thomas Zengerly.

Die 18. Shell Jugendstudie stützt sich auf eine repräsentativ zusammengesetzte Stichprobe von 2.572 Jugendlichen im Alter von 12 bis 25 Jahren, die von Kantar-Interviewern zu ihrer Lebenssituation und ihren Einstellungen und Orientierungen persönlich befragt wurden. Die Erhebung fand auf Grundlage eines standardisierten Fragebogens im Zeitraum von Anfang Januar bis Mitte März 2019 statt. Im Rahmen der qualitativen Studie wurden zwei- bis dreistündige Interviews mit 20 Jugendlichen dieser Altersgruppe durchgeführt.  (sua)



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