50 Prozent der Franzosen haben nicht gewählt – zweite Chance am kommenden Sonntag

„50 Prozent wollten nicht oder haben nicht Front National gewählt, die haben nicht sozialistisch gewählt, die haben nicht Grüne gewählt, die haben nicht Linke gewählt, die haben gar nicht gewählt, und die muss man mobilisieren“ sagt Daniel Cohn-Bendit
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Der deutsch-französische Grünen-Politiker Daniel Cohn-Bendit sagte: "Wenn ich in Frankreich Politik machen würde, wer auch immer, würde ich sagen, mein Ziel muss sein, wenn ich zehn Prozent der Nichtwähler auf meine Seite gewinne, habe ich die Region gewonnen. Das muss das Ziel sein."Foto: PHILIPPE HUGUEN/AFP/Getty Images
Epoch Times7. Dezember 2015

Ob es wirklich eine Überraschung war, wie die Franzosen am Sonntag abgestimmt haben, ob der „Schock“, mit dem „Le Figaro“ titelte, echt war oder nur eine geschickte Schlagzeile, wissen die Franzosen selbst am besten. Wir haben einige Meinungen aus der Presse zusammengestellt.

Daniel Cohn-Bendit im Deutschlandfunk

50 Prozent haben nicht gewählt, die muss man holen

„50 Prozent der Franzosen sind nicht zur Wahl gegangen. Wenn ich in Frankreich Politik machen würde, wer auch immer, würde ich sagen, mein Ziel muss sein, wenn ich zehn Prozent der Nichtwähler auf meine Seite gewinne, habe ich die Region gewonnen. Das muss das Ziel sein. Die Front National Wählerinnen und Wähler sind entschieden. Die wird man nicht mit einer Argumentation, die der von Front National ähnelt, zurückgewinnen.

Aber 50 Prozent wollten nicht oder haben nicht Front National gewählt, die haben nicht sozialistisch gewählt, die haben nicht Grüne gewählt, die haben nicht Linke gewählt, die haben gar nicht gewählt, und die muss man mobilisieren. Die muss man holen, an die muss man sich wenden.“

In der zweiten Runde der Regionalwahl am 13. Dezember dürfen alle Kandidaten antreten, die die Zehn-Prozent-Hürde überschritten haben. Die Wahl findet genau einen Monat nach den Anschlägen von Paris statt, bei denen IS-Anhänger 130 Menschen töteten. Der rechte FN profitiert vom Klima der Angst nach den Angriffen wie auch der Wut über die Rekord-Arbeitslosigkeit im Lande, sowie von den Sorgen der Franzosen über die hohe Zahl von Flüchtlingen in Europa.

Darüber hinaus stehen zwar erst 2017 die Präsidentenwahlen in Frankreich an, aber bisher Undenkbares rückt nun in den Bereich möglicher Realitäten.

Süddeutsche Zeitung: „Die rote Dominanz ist gebrochen

Das Ergebnis bedeutet einen Erdrutsch. Seit 2010 hatten die Sozialisten 21 der bisher 22 Regionen im französischen Mutterland (Festland und Korsika) kontrolliert. Diese „rote Dominanz“ ist definitiv gebrochen: Von den nunmehr 13 Regionen, die nach einer Territorialreform am Sonntag erstmals ihre Regionalräte wählten, dürften die Sozialisten künftig kaum mehr als drei Regionen regieren. Den Republikanern winkt die Macht in fünf Regionen, weit weniger als noch vor Wochen erhofft. Als Trost winkt ihnen, dass sie den Sozialisten die Hauptstadtregion Île-de-France abjagen können.“

Spiegel: „Ende des eingespielten Machtwechsels

Mit dem Vormarsch des FN ist Frankreichs Zweiparteienherrschaft ein für alle Mal beendet – jener eingespielte Machtwechsel, mit dem sich Sozialisten und Konservative über Jahrzehnte in der V. Republik eingerichtet hatten.

Mehr noch: Frankreich beschreibt auch ideologisch eine Wende nach rechts – eine  Zweidrittelmehrheit aller Wähler hat sich für Konservative, Rechte und den Front entschieden.“

„Libération" wünscht einen Bund zwischen Sozialisten und Konservativen

„Ein Drittel der Franzosen hat die Front National gewählt, aber zwei Drittel lehnen ihre Politik ab. Unter diesen Voraussetzungen muss sich die klassische Logik des wichtigsten Feindes durchsetzen. Jeder wirkliche Republikaner muss einsehen, dass ihm das Schlimmste noch bevorsteht. Deshalb muss er alles tun, um das zu verhindern."

„Le Figaro“ schreibt vom „Schock“ und Grauen vor einer rechts-geprägten Zukunft

"Für Frankreich ist es ein Sprung ins Unbekannte. Die politischen Folgen werden weit über die Ergebnisse des zweiten Wahlgangs hinaus ihre Spuren hinterlassen. Das politische Frankreich besteht jetzt aus drei Teilen. Das wird auf Dauer die traditionellen Parteien schwächen, die jetzt schon völlig ratlos erscheinen." 

Spanische Tageszeitung „El Mundo“ spricht von einer „Sintflut“

"In dem in Frankreich herrschenden Klima der Angst ist die extreme Rechte unaufhaltsam auf dem Vormarsch. Ihr Erfolg bedeutet eine politische Sintflut im Land der Gleichheit und Brüderlichkeit. Staatspräsident François Hollande hatte nach den Terroranschlägen in Paris zwar an Ansehen gewonnen, aber dies konnte den Absturz seiner Sozialistischen Partei nicht verhindern, die für die in Frankreich herrschenden Krisen keine Lösung weiß."

„Mannheimer Morgen“

„Aus der Protest- und Randströmung, gegründet vom bekennenden Antisemiten Jean-Marie Le Pen, ist unter seiner Tochter eine Partei der Mitte geworden. Das bedeutet eine neue Etappe für Marine Le Pen, die langfristig anvisiert, Präsidentin Frankreichs zu werden. Ist das wirklich noch undenkbar, wie früher bei ihrem Vater?"

„Kölner Stadt-Anzeiger"

„Mehr als Feindbilder hat der Front National nicht zu bieten. Terroristen werden sich von Schlagbäumen an Frankreichs Grenzen nicht aufhalten lassen. Wenn die propagierte Abschottung etwas bewirkt, dann allenfalls den Ruin der zu 50 Prozent international verflochtenen französischen Wirtschaft."

„Die Rheinpfalz"

„Das Familienunternehmen Le Pen mit Parteichefin Marine und der aufstrebenden Nichte Marion Maréchal als Leitfiguren konnte es für die Regionalwahlen dabei belassen, die üblichen Beruhigungsmittel zu reichen – Feindbilder, bei deren Anblick Angst in Zorn umschlägt. Auch sie sind hinlänglich bekannt: Einwanderer, Muslime, Europa. Mehr hat es nicht gebraucht – und mehr hat der Front National ja auch nicht zu bieten."

Der deutsch-französische Publizist und Grünen-Politiker Daniel Cohn-Bendit im Deutschlandfunk

„Wir haben in Frankreich eine lange Krise, Arbeitslosigkeit steigt und steigt und steigt, die Wirtschaft stagniert, und dann gibt es natürlich eine Angst, eine Angst vor den Anschlägen. Und in dieser Situation driftet ein Teil der französischen Gesellschaft nach rechts, sucht nach Lösungen, die im Grunde sich zusammenfassen lassen wie Frankreich, nur Frankreich, allein Frankreich, nichts mehr als Frankreich.

Und die Etablierten, vor allem die Konservativen und die Sozialisten versuchen, genau auf diesem Feld im Grunde genommen mit Marine Le Pen zu konkurrieren. Das geht aber nicht, weil sie das so nicht können. Dann wählen die verängstigten Wählerinnen und Wähler das Original, und das ist die extreme Rechte.“  (rls)



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