Ali ante portas – oder weshalb die Türkei niemals Vollmitglied der EU sein kann

Die Sehnsucht der zwischen Bosporus und dem biblischen Berge Ararat in Kleinasien beheimateten Muslime nach dem von den Ungläubigen bewohnten „goldenen“ Westen scheint noch lange nicht gestillt. Eine Hintergrundanalyse von Gerd Fischbacher.
Titelbild
Die Türkei ist in keinerlei Hinsicht ein europäisches Land. Am 18. Oktober 2015 besuchte Bundeskanzlerin Merkel den türkischen Präsidenten Erdogan im Yildiz-Palast in Istanbul/Türkei.Foto: Guido Bergmann/Bundesregierung via Getty Images
Von 23. September 2018

Der letzte Versuch der Türken, in Europa Fuß zu fassen, liegt schon lange zurück. Ende des 17. Jahrhunderts drangen ihre Truppen bis Wien vor, ehe es dem österreichischen Feldherrn Prinz Eugen gelang, sie vernichtend zu schlagen. Das war der Anfang vom Ende des Osmanischen Großreiches, das mehr als vier Jahrhunderte über weite Teile des Balkans, Vorderasiens und Arabiens geherrscht hatte.

Seit dieser Zeit haben sich die Nachfahren Osmans I., hervorgegangen aus dem Turkvolk der Ogusen, zumeist friedlich verhalten, sieht man einmal von dem Völkermord an über einer Million Armeniern während des Ersten Weltkriegs (dessen bloße Erwähnung bis heute in der Türkei unter Strafe gestellt ist) und der gewaltsamen Unterdrückung der kurdischen Minderheit im eigenen Lande ab.

Doch die Sehnsucht der zwischen Bosporus und dem biblischen Berge Ararat in Kleinasien beheimateten Muslime nach dem von den Ungläubigen bewohnten „goldenen“ Westen scheint noch lange nicht gestillt. Millionen von ihnen sind in den letzten Jahrzehnten nach Europa eingewandert und haben z.B. das ehemals preußische Berlin zur größten türkischen Stadt außerhalb der Türkei gemacht. Glaubt man den amtlichen Statistiken, so leben z.Z. ca. 3 Millionen Menschen mit türkischen Wurzeln in Deutschland. Tatsächlich ist deren Zahl aber wohl deutlich höher, da z.B. den nach dem Jahre 2000 hier geborenen Kindern türkischer Eltern gleich bei ihrer Geburt die deutsche Staatsbürgerschaft verliehen wird und sie somit offiziell nicht als Türken gelten.

Über fünf Milliarden Euro „Heranführungshilfe“ hat die EU bisher an Ankara gezahlt

Damit ist zwar die in den 1980er Jahren vom damaligen türkischen Ministerpräsidenten Demirel gegenüber dem deutschen Bundeskanzler Helmut Schmidt geäußerte Wunschvorstellung, bis zum Ende des Jahrhunderts (gemeint war das 20. Jahrhundert, also das Jahr 1999) müssten noch 10 Millionen Menschen nach Deutschland exportiert werden (sic!), weil die Türkei zu viele Menschen habe, Gott sei Dank bisher nicht in Erfüllung gegangen, dennoch steigt die Zahl der in Deutschland lebenden Türken kontinuierlich.

Das hängt zum einen mit der nach wie vor vergleichsweise wesentlich höheren Geburtenrate türkisch-stämmiger Frauen zusammen (Verhältnis der Geburtenrate türkischstämmiger zu deutschen Frauen statistisch gesehen ca. 2,8: 1,4 Kinder), zum anderen ist aber vor allem in den letzten beiden Jahren auch die Zahl der von Türken in Deutschland gestellten und aufgrund der antidemokratischen Entwicklung in der Türkei auch genehmigten Asylanträge deutlich gestiegen.

Aber der türkischen Regierung reicht diese schleichende Eroberung des christlichen Europas durch die Migration ihrer muslimischen Landsleute nicht. Seit vielen Jahren werden die jeweiligen Machthaber in Ankara nicht müde, laut und vernehmlich an die Tore Brüssels zu klopfen und Einlass zu begehren, denn die Türkei möchte schon lange auch institutionell zu Europa gehören und die vielen Vorteile, die die Europäische Union ihren Mitgliedern bietet, genießen.

Wurde noch 1989 der türkische Antrag auf Vollmitgliedschaft in der damaligen Europäischen Gemeinschaft von den westlichen Staatschefs aufgrund ihrer Zweifel an der wirtschaftlichen und politischen Stabilität der Türkei abgelehnt, entschieden ihre Nachfolger in der EU nicht einmal zehn Jahre später, dass ein Beitritt jetzt in Frage käme und verliehen der Türkei 1999 offiziell den Status eines Beitrittskandidaten.

Es dauerte dann aber doch noch einmal fast sechs Jahre, bis auch die einem türkischen EU-Beitritt skeptisch gegenüberstehenden Staats- und Regierungschefs der Gemeinschaft von den Befürwortern überzeugt werden konnten, dass aufgrund der von Ankara inzwischen eingeleiteten Reformen nunmehr die Zeit zur Aufnahme der den Türken lange versprochenen Beitrittsverhandlungen gekommen sei. So wurden schließlich im Oktober 2005 zunächst einmal 16 von den insgesamt 35 Verhandlungskapiteln zwischen der Türkei und der EU eröffnet und damit flossen endlich auch die von Ankara heiß ersehnten sogenannten Heranführungshilfen, bis heute immerhin über fünf Milliarden Euro.

Die autokratische Politik Erdogans hat die Beitrittsverhandlungen zum Erliegen gebracht

Seitdem ist sowohl politisch als auch wirtschaftlich in Europa und in der Türkei viel geschehen. Die Beitrittsverhandlungen kamen eigentlich von Beginn an nie so recht vom Fleck. Von den vor 13 Jahren aufgeschlagenen 16 Verhandlungskapiteln konnte z.B. bis heute erst eines abgeschlossen werden (Wissenschaft und Forschung). Das lag zum einen daran, dass sich viele der von türkischer Seite angekündigten und von der EU als unverzichtbare Voraussetzung für einen Beitritt geforderten Reformen bei der Überprüfung vor Ort als Luftnummern herausgestellt haben, d.h. in der Praxis nicht umgesetzt wurden und dass sich die andauernde Weigerung Ankaras, das EU-Mitglied Zypern völkerrechtlich anzuerkennen, bisher als unlösbares, die Verhandlungen blockierendes Problem erwiesen hat.

Zum anderen hatte die EU aufgrund ihrer inzwischen erfolgten, mit erheblichen Schwierigkeiten verbundenen Osterweiterung sowie der noch nicht überwundenen massiven Wirtschafts- und Finanzkrise im Euroraum zeitweise genug mit sich selbst zu tun.

Im November 2016 wurden die Beitrittsgespräche dann aufgrund eines Votums des EU-Parlaments (an das die EU-Kommission allerdings nicht gebunden ist) gänzlich eingefroren, weil der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan einen dilettantisch geplanten und deshalb gescheiterten Militärputsch dazu benutzte, in seinem Land ein autokratisches Präsidialsystem unter seiner Führung zu etablieren. Der von ihm ausgerufene Staatsnotstand, eine seine Machtbefugnisse erheblich erweiternde Verfassungsreform und die damit verbundene Einschränkung wesentlicher Menschenrechte (u.a. Einschränkung der Presse- und Meinungsfreiheit) für die Bürger seines Landes sowie die willkürliche Verhaftung und/oder Entlassung Tausender Journalisten, Lehrer und anderer Staatsbediensteter als angebliche Sympathisanten oder Mitglieder der Gülen Bewegung (der in den USA im Exil lebende islamische Geistliche Gülen soll laut offizieller Regierungsangaben der eigentliche Initiator und Drahtzieher des Putsches sein) waren zumindest für die europäischen Parlamentarier Grund genug, die ohnehin schleppend verlaufenden Gespräche vorläufig auf Eis zu legen. Natürlich ließ eine Reaktion Ankaras auf die Unterbrechung der Beitrittsgespräche nicht lange auf sich warten. Begleitet von den inzwischen üblich gewordenen Beschimpfungen europäischer und vor allem deutscher Politiker erklärte Präsident Erdogan mit Blick auf seine Brüsseler Verhandlungspartner vollmundig, die Türkei habe die EU inzwischen gar nicht mehr nötig.

Präsident Erdogan weiß die wankelmütige Haltung der Europäer auszunutzen

Wer jetzt geglaubt hatte, das leidige Problem eines türkischen EU-Beitritts habe sich damit erledigt, sieht sich in jüngster Zeit wieder getäuscht. Seit die Türkei einmal mehr in eine tiefe wirtschaftliche Krise gestürzt ist und sich die Landeswährung nicht zuletzt wegen der amerikanischen Sanktionen auf Einfuhren aus der Türkei (als Reaktion auf die Verhaftung eines amerikanischen Staatsbürgers wegen angeblicher Terrorunterstützung) im freien Fall befindet, erinnern sich türkische Spitzenpolitiker wieder ihrer „europäischen Freunde“ und fordern – wie jüngst Außenminister Cavusoglu bei seiner Stippvisite in Wien – eine Wiederbelebung der Beitrittsverhandlungen unter dem Hinweis, die Türkei sei nunmehr bereit, über alle strittigen Fragen zu verhandeln.

Die Brüsseler Hausherren haben das erneute Klopfen vernommen und die trotz aller Schmähungen und Verleumdungen seitens der türkischen Führung nie ganz geschlossene Tür schon wieder einen Spalt breiter geöffnet. Über Erfolg oder Misserfolg des türkischen Eintrittsbegehrens entscheiden also nicht wie vor gut 300 Jahren Kanonen, sondern einmal mehr Diplomaten und Beamte, die ja bekanntlich häufig viel verheerendere Schäden anrichten, als die gefährlichsten militärischen Waffen.

Ein moderner Prinz Eugen, der den scheinbar unaufhaltsamen Vormarsch der Söhne Allahs im letzten Moment noch stoppen könnte, ist weit und breit nicht in Sicht und nach wie vor wohl von vielen politischen Führern Europas auch nicht gewollt.

(Der Wille der europäischen Völker – die mehrheitlich schon immer gegen einen türkischen EU-Beitritt waren – ist heute ebenso wie vor 300 Jahren offenbar nicht von Bedeutung.)

Im Gegenteil. Selbst Politprotagonisten wie Angela Merkel, die früher eine Mitgliedschaft der Türkei in der EU kategorisch abgelehnt und statt dessen für andere Formen der Zusammen-arbeit geworben haben (privilegierte Partnerschaft), sind angesichts der vermeintlich unverzichtbaren türkischen Unterstützung bei der Eindämmung der nach den Fleischtöpfen der Ungläubigen in Europa lechzenden vornehmlich moslemischen Migrantenströme inzwischen von ihrer strikten Haltung abgewichen und plädieren für einen flexibleren Umgang mit dem schwierigen Partner vom Bosporus.

Dass Präsident Erdogan diese wankelmütige Haltung der Europäer weidlich zu Gunsten seines Landes auszunutzen versteht und unter Hinweis auf die geostrategische Bedeutung der Türkei und ihre Rolle in der sogenannten „Flüchtlingskrise“ weitere Wirtschafts- und Finanzhilfen fordern (und auch erhalten wird), werden wir schon in Kürze bei seinem Staatsbesuch in Deutschland erleben.

Was Not tut, ist eine sachliche Diskussion ohne Lügen und demagogische Verzerrungen

Wie kann dieser scheinbar unaufhaltsam fortschreitende Wahnsinn noch gestoppt werden? Was ist zu tun? – Nun, vordringlich ist zunächst einmal, die Diskussion über Sinn oder Unsinn des türkischen EU-Beitritts bzw. der Verhandlungen darüber von der emotionalen auf die rationale Ebene zu verlagern. Dies ist besonders wichtig bei Gesprächen mit einem Volk, bei dem Gefühle und Emotionen in vielen Situationen von je her eine größere Rolle spielen als kühle Überlegung und nüchterner Verstand.

Gerade auch, weil sich die Führer der Türkei – und insbesondere ihr derzeitiger Präsident Erdogan – nicht scheuen, diese problematische Charaktereigenschaft ihrer Landsleute bei der Durchsetzung politischer Absichten in die Waagschale zu werfen, müssen die Verantwortlichen der EU unseren Verbündeten vom Bosporus freundlich, aber unmissverständlich klarmachen: Ob die Türkei der EU beitreten kann oder nicht, ist keine Frage der Ehre!

Eine ablehnende Haltung in dieser Sache ist keine Beleidigung des türkischen Volkes. Wir weisen damit nicht die ausgestreckte Freundeshand zurück. Im Gegenteil. Auch die Beitrittsgegner sind weiterhin für ein gut nachbarschaftliches, ja partnerschaftliches Verhältnis zur Türkei, für einen Ausbau der Handels- und Wirtschaftsbeziehungen, für einen regen Kulturaustausch und für eine enge Zusammenarbeit in Zweckbündnissen wie z.B. der NATO.

Doch eine Aufnahme in die EU, die mittel- bzw. langfristig zu einem Staatenbund zusammenwachsen will und muss, wäre mehr. Hier geht es ums Grundsätzliche, um eine Richtungsentscheidung. Maßgebend dafür dürfen allein historische Fakten und rationale Überlegungen sein. Diese einzig vernünftige Sicht der Dinge muss – verbindlich im Ton, aber kompromisslos in der Sache – nicht nur unseren türkischen Partnern vermittelt, sondern auch den Beitrittsbefürwortern im eigenen Lande und in Europa unermüdlich klargemacht werden.

Das kann natürlich nur gelingen, wenn wir den Mut aufbringen, das Gespinst aus Lügen, Halbwahrheiten und demagogischen Verzerrungen, das die Türkeilobbyisten fein gewebt haben, zu zerreißen. Nur so ist eine sachliche, rationale Auseinandersetzung mit ihren Scheinargumenten möglich, nur so werden die wahren Gründe, die gegen eine Mitgliedschaft der Türkei in der EU sprechen, für jedermann einsichtig und leicht erkennbar.

Die Zahl türkischer Asylbewerber aus politischen Gründen ist stark angestiegen

Bei einer solch grundsätzlichen Betrachtungsweise des Problems wird schnell deutlich, dass es kaum Sinn macht, ökonomische, soziale oder gesellschaftliche Aspekte eines möglichen türkischen EU-Beitritts in den Vordergrund der Diskussion zu rücken bzw. in detaillierte Verhandlungen über notwendige Veränderungen auf diesen Gebieten einzutreten, wie das leider seit Jahren erfolglos geschieht, denn derartige Parameter können sich innerhalb weniger Jahre deutlich in die eine oder andere Richtung verändern.

Sicher, wer eine Mitgliedschaft der Türkei im europäischen Club ernsthaft in Erwägung zieht, der muss sich schon die zu erwartenden Kosten genau anschauen. Für den sind natürlich der wieder einmal ziemlich desolate Zustand der türkischen Wirtschaft und vor allem deren Entwicklungsmöglichkeiten interessant. Der wird sicher zweifelnd auf die rückständige türkische Landwirtschaft, die in weiten Landesteilen bis heute rein patriarchalisch geprägten Familienstrukturen und das archaische, noch aus einer feudalistischen Epoche stammende Gesellschaftssystem schauen und sich fragen, ob dies wirklich EU-kompatibel ist.

Er wird auch nicht übersehen können, dass im gerade neu etablierten Präsidialsystem die türkische Rechtsordnung einschließlich der Verfassung und die darauf fußende Organisation des Staatswesens sowie die innerstaatliche Machtverteilung westlichen Ansprüchen und Vorstellungen von Demokratie und Rechtstaatlichkeit bei weitem nicht genügt.

Und er wird mit Besorgnis registrieren, dass trotz aller Beteuerungen der derzeitigen Machthaber die Menschenrechte in der Türkei nicht annähernd den Stellenwert haben, der ihnen wegen ihrer überragenden Bedeutung im Wertekanon westlicher Gesellschaften zukommt. Bester Beweis dafür ist die Tatsache, dass – wie bereits erwähnt – die Zahl der türkischen Asylbewerber, die aus politischen Gründen ihr Land verlassen müssen, in den letzten beiden Jahren wieder stark angestiegen ist.

Scheinheilige Beruhigungspille für alle Skeptiker

Alle diejenigen, die sich kritisch mit den genannten und anderen ähnlichen Themen befassen, darüber aber dennoch mit der türkischen Seite weiter diskutieren und verhandeln wollen, obwohl sie hinsichtlich eines positiven Ausgangs solcher Gespräche eher skeptisch sind, müssen sich mit einem Argument der Befürworter eines EU-Beitritts der Türkei auseinandersetzen, das nicht von der Hand zu weisen und nur schwer zu widerlegen ist.

Die Beitrittsgespräche laufen bereits seit 13 Jahren, ohne dass bis jetzt nennenswerte Fortschritte erzielt worden wären. Diplomaten rechnen deshalb mit einer weiteren langjährigen Verhandlungsdauer, wenn die derzeit eingefrorenen Gespräche wieder aufgenommen werden sollten und natürlich kann niemand voraussehen, wie sich die Türkei mittel- und langfristig entwickeln wird. Wer daher heute behauptet, das kleinasiatische Land sei nicht nur unter seinem derzeitigen Präsidenten reformunwillig, sondern auf Dauer reformunfähig und somit sei selbst eine langsame Annäherung an europäische Standards von vorn herein unmöglich, der betreibt Kaffeesatzleserei und macht es den Türkeifürsprechern zu einfach.

Denn die haben schon 2005 vor Beginn der Beitrittsgespräche die Falle klug gestellt und einen Köder ausgelegt, der bequem zu schlucken war. Die Verhandlungen würden selbstverständlich „ergebnisoffen“ geführt, lautete damals die Beruhigungspille für alle Skeptiker und man muss kein Prophet sein um vorauszusehen, dass die Befürworter eines türkischen EU-Beitritts nicht zögern werden, diese scheinheilige Behauptung vor der Entscheidung über eine erneute Aufnahme der Gespräche zu wiederholen. Doch die tatsächlichen Absichten der Beitrittsbefürworter sind damals wie heute leicht durchschaubar.

Der ehemalige deutsche Außenminister Joschka Fischer konterte seinerzeit nämlich die ablehnende Haltung der Opposition zu den gerade beschlossenen Beitrittsverhandlungen mit dem theatralischen Hinweis auf die verheerende Wirkung, die eine Ablehnung des türkischen Wunsches nach baldigem Gesprächsbeginn bei unseren Verbündeten haben werde, nachdem diese schon so viele Vorleistungen erbracht hätten. Ein erbärmliches Argument.

Wer so denkt, kann keine ergebnisoffenen Verhandlungen führen wollen, denn wenn sich schon ein „Nein“ zur Wiederaufnahme der Beitrittsgespräche angeblich so katastrophal auf die türkische Befindlichkeit auswirkt, wie enttäuscht und verbittert würden unsere östlichsten NATO-Verbündeten erst sein, wenn ihnen tatsächlich nach 15 oder gar 20 Jahren zähen Ringens und einer Reihe von Zugeständnissen ihrerseits wirklich gesagt werden müsste, ein Beitritt käme mangels ausreichender Fortschritte nicht in Betracht? Welcher europäische Staatsmann brächte in einer solchen Situation den Mut auf, die Verhandlungen scheitern zu lassen? Wer wollte für den dann unweigerlich entstandenen immensen politischen Schaden die Verantwortung übernehmen?

Die Türkei ist in keinerlei Hinsicht ein europäisches Land

Nein, man muss befürchten, dass in den Führungszirkeln der Europäischen Gemeinschaft trotz aller gegenteiligen öffentlichen Beteuerungen die Vollmitgliedschaft der Türkei spätestens in der Nach-Erdogan-Zeit längst beschlossene Sache ist. Gerade deshalb muss jetzt – quasi in zwölfter Stunde – der vielleicht letzte Versuch unternommen werden, auf nationaler und europäischer Ebene eine Mehrheit für eine Abkehr von dieser verhängnisvollen Politik zu organisieren. Dazu ist es notwendig, offen und öffentlich über den entscheidenden Grund zu diskutieren, der heute ebenso wie in ferner Zukunft gegen eine Aufnahme der Türkei in die EU spricht.

Wie sooft in der Politik ist dieser Grund simpel und für jedermann leicht verständlich. Er lautet: Die Türkei ist kein europäisches Land! Weder geografisch oder kulturell, weder ethnisch, noch in religiöser Hinsicht konnten oder können sich die südlich des Schwarzen Meeres beheimateten Menschen zu Europa rechnen. Nicht einmal 3 % des türkischen Staatsgebietes liegen auf europäischem Boden, der riesige Rest von über 97 % gehört zu Kleinasien.

Die kulturellen Wurzeln der heutigen Türkei finden sich seit Gründung des osmanischen Reiches vor über 600 Jahren im islamisch orientalischen Raum, nicht im christlich abendländisch geprägten Europa.

Die unsere westlichen Wertvorstellungen, unsere Denk- und Lebensweise wesentlich bestimmenden Einflüsse der Renaissance, der Aufklärung und des Humanismus sind den Nachkommen der Osmanen bis heute weitgehend fremd geblieben. Daran konnte auch Kemal Atatürk trotz seiner intensiven Bemühungen, die Türkei zu säkularisieren und näher an Europa heranzuführen, nur wenig ändern.

Auch ethnisch betrachtet gehören die Türken nicht zu den europäischen Völkern, wie etwa die Gallier, die Germanen oder Slawen. Sie stammen von den Ogusen ab, einem Turkvolk, das ursprünglich in Zentralasien beheimatet war und im 6. Jahrhundert n.Chr. zusammen mit anderen Turkvölkern langsam nach Westen zog und sich schließlich in Kleinasien niederließ. Im späteren Verlauf ihrer Geschichte, vor allem während der Osmanenherrschaft, gelang es ihnen dann, große Teile Europas und Arabiens zu erobern und ihr Reich beträchtlich zu vergrößern. Aus dieser zeitweiligen Unterwerfung einiger europäischer Länder kann aber heute sicher keine die Aufnahme in die EU rechtfertigende Bindung an Europa abgeleitet werden.

Die Türkei kann niemals Mittler zwischen Orient und Okzident sein

Schließlich, und auch das ist enorm wichtig: Über 98 % der Türken sind Moslems. Viele von ihnen – nicht nur islamische Fundamentalisten – sehen auch heute noch in Christen nichts als Ungläubige, die es zu bekämpfen gilt bzw. die man als guter Moslem zumindest mit Verachtung straft. Mit dieser Einstellung blieben die Türken auch in religiöser Hinsicht auf Dauer ein Fremdkörper im christlichen Europa und ein Störfaktor, an dem sich leicht größere Konflikte entzünden könnten.

Und wenn schon moslemische Staaten in die europäische Familie aufgenommen werden sollen, warum dann nicht Marokko, Algerien oder Tunesien? Diese Völker könnten zu Recht darauf verweisen, dass ihre Vorfahren – die Mauren – fast 700 Jahre lang große Teile Spaniens beherrscht und von dort aus die Kultur und das Geistesleben Europas maßgeblich beeinflusst und bereichert haben. Derart Positives kann man von den Osmanen – bezogen auf ihre Herrschaft über den Nahen Osten bzw. den arabischen Raum – nicht berichten.

In diesem Zusammenhang müssen sich die Türkeilobbyisten natürlich auch fragen lassen, wie weit sie die Europäische Union denn überhaupt noch ausdehnen wollen?

Ein politisches Gebilde, das Außengrenzen mit Syrien, dem Iran und dem Irak hat, könnte sich doch kaum noch europäische Union nennen. Wäre dann nicht eurasische Union viel treffender?

Ist es vielleicht das, was den Verfechtern eines türkischen EU-Beitritts mittel- bzw. langfristig vorschwebt? Ein „Reich“ in dem die Sonne niemals untergeht? Vor derartigen Supermacht-fantasien kann man nur nachdrücklich warnen. Alle Vielvölkerstaaten in der Geschichte, die nicht auf gemeinsamen Werten und Überzeugungen ihrer heterogenen Bevölkerung gründeten, hatten häufig mehr unter Streitigkeiten zwischen den verschiedenen Ethnien und unter inneren Unruhen zu leiden als unter äußeren Feinden, und sie hinterließen bei ihrem Zusammenbruch meist nichts als ein großes Trümmerfeld. Die Politiker von heute sollten auch insoweit von ihren gescheiterten Vorgängern lernen. Abschreckende Beispiele gibt es von der Antike bis ins 20. Jahrhundert hinein genug.

Letztlich würden sich wohl auch die Vorstellungen derjenigen, die da glauben, die Türkei könne als EU-Mitglied eine Mittlerrolle zwischen Orient und Okzident übernehmen und in der Auseinandersetzung zwischen Islam und Christentum ausgleichend und mäßigend wirken, als unerfüllbare Wunschträume entpuppen.

Hätten diese Utopisten nämlich ihre historischen Hausaufgaben gemacht, dann wüssten sie, dass gerade die Türken, deren teilweise bis zum Ende des Ersten Weltkriegs dauernde Herrschaft über weite Teile des Nahen Ostens bei ihren dort lebenden Glaubensbrüdern bis heute in unguter Erinnerung geblieben ist, als Vermittler zwischen der islamischen Welt und dem christlichen Europa denkbar ungeeignet sind.

Aus all dem folgt zwingend: Es gibt aus europäischer Sicht keinen vernünftigen Grund, die Türkei als Vollmitglied in die EU aufzunehmen. Es gibt aber eine Reihe guter Gründe, dies nicht zu tun. Die Enkel Atatürks müssen in einer sich nach dem Ende des kalten Krieges zwischen Ost und West neu ordnenden Welt ihren eigenen Weg finden und konsequent gehen. An dem dazu nötigen Selbstbewusstsein mangelt es ihnen nicht.

Dass wir unsere NATO-Verbündeten dabei politisch und wirtschaftlich unterstützen, sollte ebenso selbstverständlich sein, wie unser striktes „Nein“ zur türkischen Vollmitgliedschaft in der EU. Ob man diese zukünftige Form der Zusammenarbeit privilegierte Partnerschaft nennt oder eine andere Bezeichnung dafür findet, ist dann nicht mehr so wichtig.

Zuerst erschienen bei Anderweltonline.com

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