EU erhöht im Streit über Justizreform Druck auf Polen – Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet

Die EU-Kommission leitete am Samstag ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Warschau ein. Beanstandet wird ein Gesetz, das die Befugnisse des Justizministers bei der Besetzung von Richterposten ausweitet. Ein Vertragsverletzungsverfahren kann zu einer Klage vor dem Europäischen Gerichtshof und empfindlichen Geldstrafen führen.
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EU-Flagge.Foto: JORGE GUERRERO/AFP/Getty Images
Epoch Times30. Juli 2017

Im Streit über die Justizreform in Polen erhöht die EU den Druck: Die Kommission leitete am Samstag ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Warschau ein.

Beanstandet wird ein Gesetz, das die Befugnisse des Justizministers bei der Besetzung von Richterposten ausweitet. Dies gefährdet nach Ansicht Brüssels die Unabhängigkeit der polnischen Justiz. Warschau wehrte sich gegen die Vorwürfe und verurteilte das Vorgehen der EU-Kommission.

Die nationalkonservative Regierung in Warschau sei offiziell über die Einleitung des Verfahrens informiert worden, teilte die EU-Kommission in Brüssel mit. Ein Vertragsverletzungsverfahren kann zu einer Klage vor dem Europäischen Gerichtshof und empfindlichen Geldstrafen führen.

Die EU-Kommission hatte die Maßnahme bereits angekündigt und das Verfahren nach der Veröffentlichung eines der Reformgesetze im polnischen Gesetzblatt am Freitag nun eröffnet. Das Gesetz ermöglicht es dem polnischen Justizminister, leitende Richter an den gewöhnlichen Gerichten einschließlich der Berufungsgerichte zu ernennen oder zu entlassen.

Polen müsse sich innerhalb eines Monats zu den Vorwürfen äußern, teilte die Kommission mit. Sie warnte davor, dass durch das neue Gesetz die „Unabhängigkeit der polnischen Gerichte untergraben wird“. Zudem äußerte sich die Kommission besorgt darüber, dass nun ein unterschiedliches Rentenalter für Richterinnen und Richter gilt. Dies sei eine „Diskriminierung aufgrund des Geschlechts“.

Polen verwahrte sich gegen Kritik

Der polnische Vize-Außenminister für Europäische Angelegenheiten, Konrad Szymanski, nannte die Vorwürfe laut der Nachrichtenagentur PAP „unbegründet“. Auch die polnische Präsidentschaft verwahrte sich gegen Kritik aus Brüssel. Die Organisation der Gerichte sei Sache der Mitgliedstaaten und die Kommission daher nicht zuständig, erklärte der Stabschef von Präsident Andrzej Duda, Krzysztof Szczerski.

Politiker von CDU und SPD befürworteten das Vorgehen der EU-Kommission. „Polen befindet sich auf dem national-autoritären Irrweg“, sagte SPD-Fraktionsvize Axel Schäfer der „Welt am Sonntag“. Hier müsse gegengesteuert werden.

Auch der Europaparlamentarier Elmar Brok (CDU) sieht Brüssel in der Pflicht: „Natürlich lösen auch Äußerungen aus Brüssel Abwehrreflexe aus, aber sie tun dies nicht in dem Ausmaß, als wenn sie aus Berlin kommen.“ Es sei daher „gut und geschickt“, wenn Deutschland mit seiner Kritik nicht an der Spitze stehe.

Der Vorsitzende der Deutsch-Polnischen Gesellschaft, der SPD-Abgeordnete Dietmar Nietan, plädierte ebenfalls für Zurückhaltung. Hinter den Kulissen müsse Kanzlerin Angela Merkel (CDU) aber „Tacheles reden“ mit Polens Regierungschefin Beata Szydlo und dem Chef der regierenden Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS), Jaroslaw Kaczynski.

Warschau trieb in den vergangenen Wochen seine Justizreform voran – trotz Protesten tausender Menschen und Warnungen der EU. Dazu gehört ein Gesetz, das es dem Justizminister ermöglicht, Richter des Obersten Gerichtshofs in den Ruhestand zu schicken und Nachfolger zu ernennen.

Polen droht Verfahren zum Stimmrechtsentzug auf europäischer Ebene

Gegen dieses Gesetz sowie ein weiteres zur Reform des Landesrichterrates hatte Präsident Duda am Montag überraschend sein Veto eingelegt. EU-Vizekommissionspräsident Frans Timmermans begrüßte dies am Mittwoch. Er drohte Warschau aber gleichzeitig damit, ein Verfahren zum Stimmrechtsentzug auf europäischer Ebene einzuleiten, falls die Regierung in Polen tatsächlich Richter des Gerichtshofs in den Ruhestand zwinge.

Schon die Auslösung des Verfahrens wäre ein bisher einzigartiger Schritt. Über Sanktionen müssten dann aber die anderen EU-Länder per einstimmigem Beschluss entscheiden. Ungarn kündigte aber bereits an, mögliche Strafen nicht mitzutragen.

Die Kommission liegt seit Anfang 2016 mit Warschau im Clinch, als die nationalkonservative Regierung nach Ansicht Brüssels die Unabhängigkeit des Verfassungsgerichts beschnitt. Damals leitete die EU-Kommission ein Verfahren zur Überprüfung der Rechtsstaatlichkeit in Polen ein – erstmals überhaupt in der EU-Geschichte.

Alle Versuche, daraufhin im Dialog oder mit Empfehlungen zum Ziel zu kommen, scheiterten. PiS-Chef Kaczynski bekräftigte am Donnerstag ungeachtet der Widerstände seine Forderung nach einer „radikalen“ Justizreform.

Timmermans erneuerte am Freitag seine Einladung an Außenminister Witold Waszczykowski und Justizminister Zbigniew Ziobro zu einem „konstruktiven Dialog“ über die Justizreform in Brüssel. Doch Warschau ließ den Brief zunächst unbeantwortet. (afp)



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