Europa und Chirac die großen Verlierer

Frankreich sagt «Non» zur EU-Verfassung - Brüssel geschockt
Titelbild
Frankreich stellte sich mit Nein gegen die EU-Verfassung.Foto: Getty Images
Epoch Times29. Mai 2005

Paris/Brüssel – Frankreich hat «Non» gesagt und Europa steht vor einem Scherbenhaufen. Aus Protest gegen Staatspräsident Jacques Chirac und die Regierung Raffarin sowie aus Angst vor einem neoliberalen Europa und Sozialabbau verwarfen die Franzosen am Sonntag die EU-Verfassung mit einer deutlichen Mehrheit. Nun ist sie also da, die «Katastrophe», vor der EU-Ratspräsident Jean-Claude Juncker gewarnt hat.

Die Franzosen ließen sich von den Versuchen nicht beeindrucken, ein Scheitern der Verfassung beim Referendum am Sonntag zu dramatisieren. Nach ersten Hochrechnungen stimmten rund 55 Prozent und damit eine deutliche Mehrheit trotz aller Unkenrufe gegen den neuen EU-Vertrag. In Brüssel war nach Bekanntgabe der hohen Wahlbeteiligung zunächst noch gehofft worden. «Das ist gut für das Ja-Lager», sagte ein Vertreter der EU-Kommission optimistisch. Dann aber war der Katzenjammer groß.

Ungeachtet des klaren Neins der Franzosen gilt es in Brüssel aber als sicher, dass der Ratifizierungsprozess zunächst fortgesetzt wird. Schon am Mittwoch stimmen die Niederländer über den neuen EU-Vertrag ab. Auch dort droht laut Umfragen ein Nein. Die Ablehnung Frankreichs wiegt allerdings weit schwerer. Nicht ausgeschlossen wird, dass die Abstimmung dort womöglich im nächsten Jahr wiederholt werden könnte.

Denn in einem Zusatzprotokoll zur Verfassung heißt es, dass sich die Staats- und Regierungschefs des Themas noch einmal annehmen, wenn mindestens 20 Mitgliedstaaten den Vertrag ratifiziert haben, die übrigen aber nicht. Nachverhandlungen zu dem neuen Vertrag, auf den sich die EU-Staats- und Regierungschefs im Sommer vergangenen Jahres geeinigt hatte, werden in Brüssel zum jetzigen Zeitpunkt aber kategorisch ausgeschlossen.

Das Ergebnis war vor allem in der EU-Hauptstadt mit Spannung erwartet worden. Der Luxemburger Regierungschef und amtierende EU-Ratspräsident Juncker traf gegen 21.30 Uhr am sternförmigen Berlaymont-Gebäude der EU-Kommission ein und wurde von deren Präsident José Manuel Barroso freundschaftlich empfangen. Das Minenspiel beider Spitzenpolitiker ließ zunächst keine Prognose auf das Ergebnis zu.

Abrechnung bei der französischen Linken

In Paris heißt der große Verlierer Chirac, der geschwächt wie kaum ein Präsident vor ihm die letzten beiden Jahre seiner zweiten Amtszeit angeht. Er ist nun mit dem historischen Makel behaftet, dass ausgerechnet eins der Gründerländer der EU den europäischen Einigungsprozess in eine tiefe Krise gestürzt hat.

Eine dritte Kandidatur Chiracs für den Élysée-Palast 2007 ist mit der Klatsche vom Sonntag praktisch vom Tisch, sein schärfster Rivale Nicolas Sarkozy dürfte sich die Hände reiben. Seine beispiellose Politkarriere droht er als «lame duck» (lahme Ente) zu beenden, als Präsident, dessen Ende absehbar ist und dessen Autorität immer mehr schwindet.

Der glücklose und extrem unbeliebte Premierminister Jean-Pierre Raffarin wird aller Voraussicht nach umgehend gefeuert. Als dessen Nachfolger wird der schwungvolle Innenminister Dominique de Villepin gehandelt, der nach dem Willen Chiracs UMP-Chef Sarkozy 2007 den Weg in den Élysée versperren soll.

Im tief gespaltenen linken Lager dürfte nun eine gnadenlose Abrechnung beginnen. In der Sozialistischen Partei tobt ein Machtkampf zwischen PS-Chef François Hollande und seiner Nummer 2, dem ehemaligen Premierminister Laurent Fabius, der entgegen der Ergebnisse einer Mitgliederbefragung gegen die Verfassung Front machte. Gewinnt Fabius das Duell gegen den nunmehr angeschlagenen Hollande, hat er gute Chancen, 2007 Präsidentschaftskandidat der Linken zu werden. Nichts anderes, so meinen seine Kritiker, hat er mit seinem Kreuzzug gegen die EU-Verfassung gewollt. AP-Korrespondenten Uwe Gepp und Alexander Ratz



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