Genua-Brücke: Ursachensuche und Schuldzuweisungen – Konzern Benetton und „Autostrade per l’Italia“

Der Einsturz der Autobahnbrücke in Genua wurde möglicherweise durch den Riss eines Tragseils verursacht. Italiens Regierungsparteien untersuchen die private Betreibergesellschaft "Autostrade per l'Italia" näher.
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Die eingestürzte Brücke von Genua, 15. August 2018.Foto: VALERY HACHE/AFP/Getty Images
Epoch Times17. August 2018

Der Einsturz der Autobahnbrücke in Genua mit mindestens 38 Toten wurde möglicherweise durch den Riss eines Tragseils verursacht. Darauf deuten erste, vorsichtige Experteneinschätzungen und Zeugenaussagen hin. In Krankenhäusern liegen noch zehn Verletzte, sechs von ihnen sind nach Angaben der Präfektur in kritischem Zustand. Fünf Menschen werden noch unter den Trümmern vermutet, wie die Nachrichtenagentur Ansa unter Berufung auf den Zivilschutz berichtete.

Ein Seilriss als Unglücksursache sei „eine ernste Arbeitshypothese“, auch wenn es nach drei Tagen erstmal nur eine Hypothese sei, sagte der Professor für Stahlbetonbau an der Universität Genua, Antonio Brencich, am Freitag. Brencich gehört einer vom Verkehrsministerium eingesetzten Unfallkommission an. Die Zeitung „La Repubblica“ zitierte Augenzeugen, die gesehen hätten, wie die Spannseile nachgaben. Das in Rom erscheinende Blatt berichtete außerdem, dass eine Studie des Polytechnikums Mailand schon 2017 Schwächen an den Seilen entdeckt habe.

Der vierspurige, etwa 1200 Meter lange Polcevera-Viadukt setzt sich aus drei Einzelbrücken zusammen, von denen eine am Dienstag einstürzte. Die von den Pylonen zum Fahrbahnträger reichenden Stahlseile sind in eine Betonummantelung eingeschlossen. Diese soll vor Korrosion schützen.

Der Benetton-Clan

Italiens Regierungsparteien untersuchen die private Betreibergesellschaft „Autostrade per l’Italia“ näher – und damit auch deren wichtigsten Anteilseigner, den Benetton-Clan. Die Familie, die mit ihrer Modefirma zu Reichtum gelangte, hält 30,25 Prozent der Anteile den Autostrade-Mutterkonzern Atlantia, der im vergangenen Jahr einen Nettogewinn von mehr als einer Milliarde Euro und einen Umsatz von knapp sechs Milliarden Euro verbuchte.

Die Fünf-Sterne-Bewegung warf zudem vor allem der Demokratischen Partei vor, in der Vergangenheit von der Finanzkraft des Clans profitiert zu haben.

Statt die Mauteinnahmen in die Wartung zu investieren, seien diese als Gewinne verteilt worden „und die Brücken brechen zusammen“, lautet der Vorwurf von Vize-Regierungschef Luigi di Maio. Nun gebe es „zum ersten Mal eine Regierung, die kein Geld von Benetton genommen hat“.

Binnen 15 Tagen Nachweis gefordert

Das italienische Verkehrsministerium leitete eine Untersuchung von „Autostrade per l’Italia“ ein. Sie forderte sie am Donnerstagabend auf, binnen 15 Tagen nachzuweisen, dass sie all ihren Instandhaltungspflichten nachgekommen sei. Die Gesellschaft müsse außerdem bestätigen, dass sie den Viadukt auf eigene Kosten vollständig wiederaufbauen werde.

Der Präsident der Region Ligurien, Giovanni Toti, und Verkehrsstaatssekretär Edoardo Rixi erklärten laut Ansa, Genua werde schon nächstes Jahr eine neue Autobahnbrücke haben. „Die Gesellschaft Autostrade wird sie bezahlen. Wer sie baut, werden wir abwägen“, sagte Rixi.

Italiens Arbeitsminister und Vize-Premier Lugi di Maio drohte am Freitag der Autobahngesellschaft zum wiederholten Male mit Lizenzentzug. Es gebe einen „sicheren politischen Willen“ dazu. „Diese Leute machen so weiter, Maut zahlen zu lassen, ohne eine ordentliche und außerordentliche Instandhaltung zu leisten, und jetzt ist es Zeit, basta zu sagen“, polterte der Chef der Fünf-Sterne-Bewegung.

Di Maios Koalitionspartner, der Chef der Lega-Partei und Innenminister Matteo Salvini zeigte sich gemäßigter. „Über Konzessionen, Strafen und Spitzfindigkeiten reden wir von kommende Woche an“, zitierte ihn Ansa.

Hintergrund: Der Konzern Benetton

Geschaffen wurde die Firma Benetton in den 60er Jahren von den Geschwistern Luciano, Gilberto, Giuliana und dem im Juli gestorbenen jüngsten Benetton-Bruder Carlo. Vor allem ab den 80er Jahren ging es mit dem Textil-Imperium „United Colors of Benetton“ dann steil bergauf – nicht zuletzt wegen der oft provokanten Werbefotos des Starfotografen Oliviero Toscani.

2017 verbuchte das Unternehmen einen Rekordverlust von 180 Millionen Euro. Von da an weitete der Clan sein Portfolio aber zugleich massiv aus und profitierte dabei auch von der Privatisierung in Italien. Ein großer Teil des Gesamtumsatzes der Familienholding Edizione von 12,1 Milliarden Euro im vergangenen Jahr stammt aus den Bereichen Infrastruktur und Verkehr – insgesamt 5,2 Milliarden Euro.

Über die Atlantia-Gruppe ist die Familie unter anderem an den beiden größten Flughäfen in Rom, im französischen Nizza und an Getlink, der früheren Eurotunnel-Gruppe, die den Tunnel unter dem Ärmelkanal betreibt, beteiligt.

Außerdem hält Benetton 29,9 Prozent am spanischen Unternehmen Cellnex, einem Spezialisten für Telekommunikationsinfrastruktur. 1995 kaufte Edizione zudem 50,1 Prozent des Restaurantbetreibers Autogrill. Außerdem besitzt die Holding eine Reihe von Grundstücken und Immobilien, die in Rom ansässige Molkereifirma Maccarese und ist auch in Argentinien im Agrargeschäft aktiv. Am Versicherer Generali hält Benetton 3,1 Prozent; an der Mediobanca 2,2 Prozent.

Im Internet, wo nach dem Unglück in Genua zahlreiche Bildmontagen mit Aufnahmen der Brücke und dem Benetton-Logo gepostet wurden, stießen die Vorwürfe der Regierung auch auf Zustimmung. So schrieb etwa ein Nutzer, Benetton betreibe „Einwanderungspropaganda“.

Das sind die selben, die unsere Brücken einstürzen und unsere Leute sterben lassen.“

Eingeschaltet in die Debatte hat sich indes inzwischen auch Fotograf Toscani. Es sei „ungerecht, Benetton die Schuld zu geben, als ob sie mit den Leben von anderen spekulieren wollten“, sagte er der Zeitung „Corriere della Sera“. Es handle sich um „sehr ernsthafte“ Menschen.  (dpa/afp)



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