Renzis Verfassungsreform abgelehnt: Das könnte in Italien passieren – Neuer Stresstest für EU

Italiens Regierungschef Matteo Renzi ist mit seiner Verfassungsreform offenbar klar gescheitert. Laut Prognosen, die die Fernsehesender Rai und La7 direkt nach Schließung der Wahllokale am Sonntagabend veröffentlichten, stimmten in dem Verfassungsreferendum zwischen 54 und 58 Prozent der Bürger gegen das Vorhaben. Was wird das NEIN zum Referendum von Premier Renzi auslösen? Die wichtigsten Hintergründe.
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Befürworter des "Neins" zur Verfassungsreform (04. Dezember in Rom).Foto: AFP/Getty Images
Von 28. November 2016

Italien droht ein Sturz ins Ungewisse: Die Wähler haben der Verfassungsreform von Regierungschef Matteo Renzi ersten Hochrechnungen zufolge eine klare Absage erteilt. Knapp 60 Prozent der Wähler stimmten gegen die Reform von Ministerpräsident Matteo Renzi, etwa 40 Prozent dafür. Das geht aus Hochrechnungen von Mediaset und La7 hervor. Renzi will sich noch in der Nacht äußern. Er hatte vor der Abstimmung in Aussicht gestellt, bei einem „Nein“ zurückzutreten. Was wird das NEIN zum Referendum von Premier Renzi auslösen? Die wichtigsten Hintergründe.

Worum geht es in dem Referendum?

Italiens parlamentarisches System sollte vereinfacht werden. Um nach dem Mussolini-Regime zu verhindern, dass sich in Italien noch einmal eine Diktatur etablieren kann, wurden nach dem 2. Weltkrieg zwei Parlamentskammern eingerichtet. Beide müssen Gesetzentwürfen zustimmen, was das Regieren schwierig macht: Bislang musste jedes Gesetz in jeweils drei Lesungen im Abgeordnetenhaus und im Senat behandelt werden. Die beiden Kammern schoben die Entwürfe oft jahrelang hin und her. Oft wurden Gesetze verwässert oder ganz blockiert. In den vergangenen 70 Jahren gab es in Italien schon 63 Regierungen.

Laut Matteo Renzis Reformvorschlag sollen Senat und Abgeordnetenkammer zwar erhalten bleiben, aber unterschiedliche Kompetenzen bekommen, so dass sie einander nicht ständig in die Quere kommen. Auch soll das Wahlrecht geändert werden, um das Regieren zu erleichtern, wünscht der Premier.

Reuters beschreibt die Reform wie folgt: Kommt eine Partei auf mehr als 40 Prozent der Stimmen, erhält sie einen Bonus, der ihr 55 Prozent der Sitze im Abgeordnetenhaus sichert. Dies soll der Regierung helfen, fünf Jahre lang zu regieren (was nach dem Zweiten Weltkrieg noch nie klappte). Bekommt keine Partei im ersten Wahlgang über 40 Prozent der Stimmen, entscheidet eine Stichwahl zwischen den beiden stärksten über den Bonus.

Italian Prime minister Matteo Renzi speaks to his supporters during the demonstration "Basta un SI" in favour of the Constitutional reform Referendum 2016, at Fuksas's Cloud Convention Center, in central Rome, on November 26, 2016. / AFP / ANDREAS SOLARO (Photo credit should read ANDREAS SOLARO/AFP/Getty Images)

Italiens Premier Matteo Renzi kämpft hart, um die Bevölkerung zum „Ja“ für seine Verfassungsreform zu gewinnen (hier am 26. November 2016 in Rom). Foto: AFP / ANDREAS SOLARO /Getty Images

Die Kritik an dem Reformvorschlag entzündet sich an mehreren Punkten, vor allem aber am Siegerbonus. Der Wahlgewinner könnte dadurch zu viel Macht bekommen, so Kritiker. Hinzu komme, dass die siegreiche Partei durch die Bonussitze viele Abgeordnete selbst aussuchen könnte, wodurch diese mehr als willfährige Abnicker, denn als Kontrollorgan fungieren werden, so Kritiker.

Protestwahl gegen Renzi droht

Matteo Renzi regiert Italien seit immerhin rund 1000 Tagen. Er hat jedoch angekündigt, zurücktreten zu wollen, falls seine Reformvorschläge abgelehnt werden. Nun ist die Frage, was dann passieren wird.

Laut Meinungsumfragen liegt das „Nein“-Lager eindeutig vorne, wobei der Anteil der Unentschlossenen noch sehr hoch ist – von jedem Fünften war zuletzt die Rede. Umfragen sind mittlerweile nicht mehr erlaubt. Da viele Italiener wegen der schlechten wirtschaftlichen Lage und der hohen Arbeitslosigkeit unzufrieden mit der Regierung sind, könnten sie das Referendum als Chance betrachten, Renzi aus Protest abzuwählen.

Italienische Medien nannten das Referendum deshalb bereits einen „Bumerang“, oder ein „Eigentor“, berichtete die „Bild“. Zwar halte eine Mehrzahl der Italiener und auch oppositioneller Politiker eine Reform des übermächtigen Senats für überfällig. Da Renzi aber weitaus mehr Reformen versprochen hatte, als er in seiner Regierungszeit bisher einlösen konnte, steht er einer Masse an frustrierten Wählern gegenüber.

Wie geht es weiter nach einem „No“?

Falls Renzi zurücktritt, wird dies nicht automatisch zu Neuwahlen führen, schreibt Reuters. Beobachter erwarten, dass eine Übergangsregierung aus Technokraten bis zur nächsten Wahl 2018 regieren wird. Dies war schon einmal vor einigen Jahren Fall unter Mario Monti.

Kommt der „Italexit“?

Im Fall von sofortigen Neuwahlen fürchten etablierte Parteien einen Sieg der EU-kritischen „Fünf Sterne-Bewegung“ von Beppe Grillo. Diese liegen aktuell in Umfragen vorn. Die Bewegung hatte bereits im Sommer ein Referendum über den Verbleib Italiens im Euro gefordert und bei den Kommunalwahlen die Bürgermeisterämter von Rom und Turin gewonnen. Zwar sind laut Verfassung Volksbefragungen zu internationalen Verträge verboten. Sollten aber Italiens EU-Kritiker in die Regierung gelangen, würden sie den Weg für ein Ausstiegs-Referendum vermutlich irgendwie finden, so die „Neue Züricher Zeitung“.

Wirtschaftslage desaströs

Investoren bewerten das Gefahrenpotenzial der kommenden Abstimmung unterschiedlich – Weltuntergangs-Prognosen stehen der Einschätzung „Viel Lärm um wenig“ gegenüber. Einig ist man sich jedoch bezüglich Italiens desaströser Wirtschafts- und Finanzlage: Die Staatsschulden gehören mit mehr als 2,2 Billionen Euro – 133 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) – zu den höchsten der Welt. Die Auslandsverschuldung des Landes steigt immer weiter; netto (also abzüglich Auslandsvermögen) liegt sie inzwischen bei 60 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung, berichtet „Spiegel Online“. Hinzukommt der Berg an faulen Krediten, auf denen die italienischen Banken sitzen: Laut „Bild“ rund 350 Milliarden Euro.

Wegen dieser prekären Lage gilt Italien als Gefahr für die gesamte Euro-Zone und EU, zumal das Land die drittgrößte Volkswirtschaft im Euroraum ist. Beobachter verweisen auf die stagnierende, teilweise sogar rückläufige wirtschaftliche Entwicklung des Landes seit der Euro-Einführung. Nächstes Jahr wird lediglich ein Wachstum von 0,9 Prozent erwartet. Auch die Produktivität entwickelt sich schlecht.

Eine Studie des McKinsey Global Institute rechnete kürzlich vor, dass die Italiener quer durch alle Einkommensgruppen zwischen 2005 und 2014 stagnierende oder fallende Einkommen hinnehmen mussten. Hinzu kommt eine hohe Jugendarbeitslosigkeit. Die Beschäftigungsquote ist im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung im arbeitsfähigen Alter eine der niedrigsten in ganz Europa. Besonders Italiens Süden fällt dabei immer weiter zurück, schreibt „Spiegel Online“.

Ein Ausstieg aus dem Euro würde zunächst keine Verbesserung der Situation für die Bevölkerung bringen, sondern diese noch dramatisch zuspitzen, so das Medium.

Prognose: Italien wird sich „weiter durchwursteln“

Spiegel Online schätzt: „Selbst wenn Renzi mit dem Referendum scheitert, wonach es derzeit aussieht, könnte Italien sich noch eine ganze Weile weiter durchwursteln, wie in der Vergangenheit auch. Ein Technokratenkabinett könnte erst mal die Regierungsgeschäfte übernehmen.“ Die Wahlen könnten dann möglichst lange hinausgeschoben werden, in der Hoffnung, dass sich die Wirtschaft doch noch stabilisiert. Das würde die EU-Kritiker wie „Fünf Sterne“, „Forza Italia“ und „Lega Nord“ dann noch eine Weile am Aufstieg hindern.

Finanzwelt rechnet mit Chaos-Phase

Italienische Anleger fürchten die Chaos-Phase nach einem möglichen „Nein“. Die „WirtschaftsWoche“ berichtete, dass Italiener momentan verstärkt Gold in der Schweiz horten. Auch die EZB warnte bereits vor Marktturbulenzen. An Italiens Börsen ist die Stimmung seit Wochen nervös, der Index der italienischen Finanztitel verlor in den vergangenen sechs Monaten bereits ein Fünftel an Wert, berichtet die „Bild“. Auch italienische Staatsanleihen stehen unter Druck: „Der Markt sieht dieses Referendum als Wendepunkt zwischen Himmel und Hölle an“, so ein Analyst der Bank Intesa Sanpaolo. „Wenn Renzi das Referendum verliert, fängt das Gebilde Europa an zu bröckeln“, sagte außerdem ein Volkswirt der Nationalbank laut „Bild“.

Siehe auch:

Italiener horten Gold in der Schweiz



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