Strache auf rechtsextremer Todesliste? Österreichs Verfassungsschutz warnt Politiker über Erwähnung auf „Judas Watch“

Die in Deutschland indizierte neonationalsozialistische Seite „Judas Watch“ präsentiert Dossiers über Politiker und Prominente, die sie zu den „Verrätern an der weißen Rasse“ und Agenten der „jüdischen Weltverschwörung“ rechnet. Im Visier ist unter anderem HC Strache.
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Der ehemalige FPÖ-Chef und Österreichs Vizekanzler Heinz-Christian StracheFoto: GEORG HOCHMUTH/AFP/Getty Images
Von 12. Mai 2020

Österreichs Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) hat an den früheren Vizekanzler Heinz-Christian Strache einen Brief gerichtet, in dem dieser darum ersucht wird, mögliche „sicherheitsrelevante Vorfälle“ zu melden.

Auch eine Reihe weiterer österreichischer Politiker und Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens erhielt, wie oe24.at berichtet, ein solches Schreiben. Hintergrund ist, dass eine neonationalsozialistische Webseite namens „Judas Watch“ sie auf einer Namensliste führt und Dossiers zu jedem der Betroffenen angelegt hat.

„Einkaufsliste“ für potenzielle Terrorakte?

Die Webseite, die derzeit nicht erreichbar ist, hatte schon vor einigen Monaten Aufmerksamkeit erregt. In Deutschland ist sie einem Bericht der „Jüdischen Allgemeinen“ zufolge Mitte Januar infolge ihrer Indizierung durch die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien abgeschaltet worden. Die Seite wurde in Panama registriert. Der „Standard“ schrieb bereits im Dezember des Vorjahres über Hinweise, wonach sich ein „Wiener Informatiker“ in neonazistischen US-Foren damit gebrüstet hätte, die Seite zu betreiben.

Eines der Foren wurde Ende des Vorjahres geleakt: Tatsächlich verwendete der Nutzer, der sich zum Betrieb der Seite bekannte, stets eine österreichische IP-Adresse. Das besagte Forum wurde auch von mehreren Personen genutzt, die später wegen rassistischer und antisemitischer Straftaten bis hin zum Mord angeklagt wurden. Diese gezielt gesuchte Nähe zu gewaltbereiten Extremisten legt den Schluss nahe, dass es der Seite, auf der sich selbst keine Gewaltaufrufe finden, nicht nur darum geht, einen Narrativ zu spinnen.

Vielmehr könnte die Auflistung eine Art „Einkaufsliste“ für potenzielle Anschläge darstellen: Der Vizepräsident der Europäischen Union jüdischer Studierender (EUJS), Ruben Gerczikow, meinte gegenüber der Jüdischen Allgemeinen: „Judas Watch erleichtert die Suche nach sogenannten Soft-Targets. Personen und Organisationen werden digital zum Abschuss frei gegeben. Rechtsextreme Täter können sich ihre Ziele schnell aussuchen.“

Betreiber nehmen Strache Einsatz gegen Antisemitismus übel

Derzeit werden auf „Judas Watch“, die sich selbst als „strikt faktenbasierte Datenbank“ bezeichnet zum „Beweis der Existenz der Aufdeckung eines international koordinierten Netzes, das gegen die weißen Menschen und deren Interessen handelt“, knapp 2.000 Personen und Organisationen aufgeführt. Die meisten Einträge betreffen US-Amerikaner, etwa ein Fünftel bezieht sich auf Deutschland.

Insgesamt gibt es Dossiers über Persönlichkeiten aus knapp 50 Ländern, genannt werden sogar Personen wie Fußballstar Thomas Hitzlsperger. Die Genannten werden zudem in drei „Einflusskategorien“ unterteilt, jüdische Persönlichkeiten werden mit Davidstern gekennzeichnet.

Aus Österreich sind unter anderem Bundespräsident Alexander van der Bellen, Bundeskanzler Sebastian Kurz, SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner, Ex-NEOS-Chef Matthias Strolz und auch HC Strache aufgeführt. Ihm wird von den Betreibern der rechtsextremistischen Webseite vor allem übel genommen, dass er in seiner Zeit als FPÖ-Chef eine klare proisraelische Ausrichtung vorantrieb und antisemitische Bestrebungen in der Partei bekämpfte, der selbst ihr langjähriger Chef Norbert Steger ein Problem mit – wie er es nannte – „Kellernazis“ attestierte.

Strache präsentierte oe24 das Schreiben und erklärte, die potenzielle Bedrohung, die von der Seite und deren Zielpublikum ausgeht, ernst zu nehmen: „Offenbar weiß die Exekutive ja sehr wenig von diesen Rechtsextremen. Wer weiß, zu welchen Taten diese Typen fähig sind?“

„Judas Watch“ eine Honigfalle?

Dass die Seite – mit mehreren Offline-Perioden – bereits seit mindestens 2018 existiert und der „Informatiker“, der von Wien aus zu operieren scheint, keine Verschlüsselungsmaßnahmen trifft, um in bekannten Foren neonazistischer Gewalttäter seine IP-Adresse zu verschleiern, ließ mancherorts Spekulationen aufkommen, dass „Judas Watch“ auch eine „Honigfalle“ von Sicherheitsbehörden sein könnte. Immerhin rief die Seite dazu auf, mögliche weiterer Personen zu nennen, die erfasst werden könnten, oder weitere Informationen zu bereits bestehenden zu übermitteln – was auch E-Mail- oder IP-Adressen von Zuarbeitern aus der militanten rechtsextremistischen Szene fassbar hätte machen können.

Die Seite steht in Österreich seit Jahr und Tag unter intensiver Beobachtung. Strukturen, die sich von Zeit zu Zeit gebildet hatten, wurden, sobald sie eine kritische Größe erreichten, zerschlagen und deren Rädelsführer zu hohen Haftstrafen verurteilt. Dies betraf in den 2010er Jahren unter anderem die Hintermänner der „Alpen-Donau“-Seite, bei denen es sich um teils jahrzehntelang aktive Neonationalsozialisten gehandelt hatte, oder den Verein „Objekt 21“, der sogar staatliche Kultur-Fördergelder für ein Anwesen abgreifen wollte, das tatsächlich für Drogenhandel, Prostitution und Verbreitung nazistischen Gedankenguts genutzt wurde.

Selbst nicht explizit neonationalsozialistisch agitierende Zusammenhänge der extremen Rechten, etwa die „Identitäre Bewegung“, wurden in den vergangenen Jahren zum Ziel von Hausdurchsuchungen, Ermittlungsverfahren und Anklagen – die Vorwürfe reichten von Verhetzung über Bildung einer kriminellen Vereinigung bis hin zum Terrorismus. Auf diese Weise gelang es den Behörden in Österreich, die Entstehung einflussreicher rechtsextremistischer Gruppierungen zu unterbinden.

Terroranschlägen vergangener Jahre ging Radikalisierung in Foren voraus

Dass das BVT nun Politiker explizit zur Vorsicht in Anbetracht der Umtriebe von „Judas Watch“ warnt, spricht jedoch dafür, dass ein sehr reales Gefahrenpotenzial hinter der Seite stehen könnte.

Mehreren rechtsextremistisch motivierten Anschlägen der vergangenen Jahre in Ländern wie den USA, Neuseeland oder Deutschland war ein Prozess der Radikalisierung der Täter in Webforen wie jenem vorangegangen, in dem sich auch die Person aufhielt, die sich als vermeintlicher Betreiber von „Judas Watch“ zu erkennen gab.



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