Rekordeinnahmen beim Staat - keine Entlastung für die Bürger
Die neue Steuerschätzung der Bundesregierung zeigt Rekordeinnahmen, doch der Schein trügt. Der Staat profitiert von Inflation und kalter Progression, nicht von wirtschaftlicher Stärke. Während die Einnahmen steigen, schrumpft die reale Kaufkraft und die arbeitende Mitte trägt die Hauptlast. Eine Analyse.
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Lars Klingbeil verkündet Rekordsteuereinnahmen von insgesamt 33,6 Milliarden Euro Mehreinnahmen bis 2029 im Vergleich zur Prognose vom Mai.
Steuerschätzung mit Rekordeinnahmen: Bund, Länder und Kommunen erwarten 2025 rund 990,7 Milliarden Euro – über 10 Milliarden mehr als noch im Mai prognostiziert.
Kein echtes Wachstum: Das Plus beruht nicht auf wirtschaftlicher Stärke, sondern auf Inflation, steigenden Löhnen und kalter Progression; reales BIP-Wachstum bleibt minimal.
Belastung der Mitte: Hauptträger der Mehreinnahmen sind Beschäftigte mit mittleren Einkommen, deren reale Kaufkraft stagniert, während deren Steuer- und Abgabenquote weiter steigt.
Politische Konsequenz: Trotz Rekordsteuern plant die Regierung zurzeit keine Entlastung für die arbeitende Bevölkerung.
Die am Donnerstag, 23. Oktober, vorgestellte 169. Steuerschätzung bringt auf den ersten Blick erfreuliche Nachrichten. Bund, Länder und Kommunen dürfen mit mehr Geld rechnen als noch im Frühjahr angenommen. Für das Jahr 2025 erwartet der Arbeitskreis „Steuerschätzungen“ Einnahmen in Höhe von 990,7 Milliarden Euro. Das sind mehrere Milliarden Euro mehr als in der Prognose vom Mai, als der Schätzerkreis noch von 979,7 Milliarden Euro ausging. Auch in den Folgejahren, so die heutige Botschaft, soll das Aufkommen stabil und leicht steigend bleiben.
Foto: Bundesministerium der Finanzen
Doch der Optimismus trügt. Das Plus resultiert nicht aus stärkerer Wirtschaftsdynamik oder wachsender Produktivität, sondern vorwiegend aus höheren Löhnen und der kalten Progression. Die Steuerquellen sprudeln, weil die arbeitende Mitte mehr zahlt. Nicht, weil das Land wirtschaftlich aufblüht.
Wachstum auf dem Papier, Belastung in der Realität
Die Herbstprojektion der Bundesregierung, Grundlage der aktuellen Schätzung, zeigt nur ein zartes konjunkturelles Signal: Das preisbereinigte Bruttoinlandsprodukt (BIP) soll 2025 um 0,2 Prozent wachsen, 2026 um 1,3 Prozent, 2027 um 1,4 Prozent. Reales Wachstum bleibt damit marginal.
Trotzdem steigen die Steuereinnahmen deutlich. Das ist vor allem eine Folge der nominalen Lohnentwicklung. Wenn von nominaler Lohnentwicklung die Rede ist, ist damit der reine Anstieg der Gehälter gemeint, also das, was auf dem Lohnzettel steht. Dieser Zuwachs berücksichtigt jedoch nicht, wie stark gleichzeitig die Preise steigen. Steigen Löhne und Preise in gleichem Maß, haben Beschäftigte zwar nominal mehr Geld, können sich real aber nicht mehr leisten als zuvor. Die Kaufkraft bleibt gleich, auch wenn das Einkommen auf dem Papier höher aussieht. Die Bruttolöhne und -gehälter legen laut Finanzministerium in diesem Jahr um 3,7 Prozent zu.
Die Löhne steigen zwar auf dem Papier, doch weil die Preise ebenfalls gestiegen sind, bleibt real kaum mehr im Geldbeutel. Gleichzeitig sorgt das deutsche Steuersystem dafür, dass schon kleine Lohnerhöhungen zu höheren Steuersätzen führen, auch wenn die Kaufkraft nicht zunimmt. So fließen durch die sogenannte kalte Progression mehr Steuern an den Staat, während Beschäftigte real nicht mehr verdienen.
Laut der OECD stieg die Steuer- und Abgabenbelastung für den durchschnittlichen alleinstehenden Arbeitnehmer in Deutschland von 47,7 Prozent im Jahr 2023 auf 47,9 Prozent im Jahr 2024. Das ist ein Plus von 0,2 Prozentpunkten. Der OECD-Durchschnitt lag 2024 bei 34,9 Prozent. Damit hatte Deutschland im Jahr 2024 die zweithöchste Steuer- und Abgabenquote unter den 38 OECD-Mitgliedsländern.
Das Steuerplus trägt die arbeitende Mitte
Die positive Steuerschätzung beruht im Kern auf der Lohnsteuer. Das meiste zusätzliche Geld würde dann also aus der Gruppe jener kommen, die schon jetzt die größte Steuerlast schultern – den Beschäftigten mit mittleren Einkommen.
Eine Studie des ifo Instituts von 2023 mit dem Titel „Income and Tax Burden of the Middle Class in Europe“ (etwa: Einkommen und Steuerbelastung der Mittelschicht in Europa) zeigt, dass in Deutschland die Steuer- und Beitragsbelastung der mittleren Einkommensgruppen im europäischen Vergleich am höchsten ist.
Während die Reallöhne also stagnieren, wächst die nominale Steuerleistung. Die kalte Progression wirkt wie ein stiller Automatismus. Jede Lohnerhöhung, die nur die Preissteigerungen kompensiert, treibt den Steueranteil nach oben.
Das bestätigt auch das Bundesfinanzministerium. In der Pressemitteilung heißt es dazu nüchtern:
„Die Aufwärtsanpassung beim nominalen BIP spiegelt sich auch in höheren Erwartungen der nominalen Zuwachsraten bei den Bruttolöhnen und -gehältern, die vor allem für die Lohnsteuer relevant sind, […], wider.“
Übersetzt kann man das so interpretieren: Der Staat profitiert von der Inflation, nicht von realem Wachstum.
Bundesfinanzminister Lars Klingbeil (SPD) präsentierte die Zahlen am Donnerstag selbstbewusst. „Was wir tun, wirkt“, erklärte er. Die wirtschafts- und finanzpolitischen Maßnahmen der Regierung seien ein „starker Impuls für neues Wirtschaftswachstum“.
Zugleich mahnte Klingbeil zur Vorsicht. Die verbesserten Einnahmen seien kein Grund für neue Ausgaben. „Der Konsolidierungsdruck im Bundeshaushalt bleibt hoch“, sagte er. Der Finanzminister kündigte an, ab 2027 einen strikten Sparkurs einzuhalten. Alle Ressorts müssten weiterhin Einsparungen vorlegen, um die Haushaltslücken zu schließen.
Auf der Pressekonferenz zur Vorstellung der Zahlen der Steuerschätzung wurde Klingbeil von Epoch Times konkret auf die Verwendung der zusätzlichen Mittel angesprochen. Dabei machte er deutlich, dass er keinen finanziellen Spielraum für neue Projekte sieht. Der Finanzminister machte deutlich, dass er keine neuen Verhandlungen mit den Ressorts über zusätzliche Mittel führen werde. „Die Lücke ist jetzt kleiner geworden, aber die Aufgabe, sie zu schließen, bleibt“, so Klingbeil. Alle Ministerien müssten ihre Einsparvorschläge vorlegen und sich weiter anstrengen, den Haushalt zu konsolidieren.
Klingbeil warnte davor, den verbesserten Zahlen mit Selbstzufriedenheit zu begegnen: „Das ist die falsche Mentalität. In der Vergangenheit hat man sich zurückgelehnt, sobald sich die Lage verbessert hat – und versäumt, strukturelle Reformen voranzutreiben.“ Mit ihm solle es dieses Mal anders laufen.
Trotz des erfreulichen Ergebnisses gebe es „an keiner Stelle Entwarnung“. Stattdessen bleibe es bei Konzentration, Tempo und dem Willen, das Land zu modernisieren. Seine Botschaft: Die Zahlen seien positiv, aber sie dürften nicht zum Anlass genommen werden, den Sparkurs oder die Reformanstrengungen zu verlangsamen.
Rekordeinnahmen, aber keine Entlastung
Die Ankündigungen des Finanzministers bedeuten trotz Bekenntnissen zum Reformwillen auch: Für die Steuerzahler scheint keine spürbare Entlastung in Sicht. Denn die Einkommensteuerreform, mit der die arbeitende Mitte eigentlich gestärkt werden sollte, scheint auf unbestimmte Zeit verschoben.
Im Wahlprogramm der CDU vor der Bundestagswahl im Februar konnte man noch lesen:
„Wir werden die arbeitende Mitte entlasten. Dazu reduzieren wir die Einkommensteuer spürbar.“
Die im Koalitionsvertrag versprochene Absenkung der Einkommensteuer „für kleine und mittlere Einkommen zur Mitte der Legislatur“ ist im politischen Alltag nun offenbar nach hinten gerückt. Der Fokus scheint auf der Haushaltskonsolidierung zu liegen, nicht auf Strukturreformen. Damit wird das bestehende System zementiert, in dem der Staat automatisch von steigenden Löhnen profitiert, während reale Entlastungen ausbleiben.
Laut „Datensammlung zur Steuerpolitik 2025“, veröffentlicht vom Bundesministerium der Finanzen, stammen rund 44 Prozent des gesamten Lohnsteueraufkommens von Beschäftigten mit Einkommen zwischen 30.000 und 70.000 Euro brutto im Jahr. Es ist diese Gruppe, die den fiskalischen Spielraum ermöglicht, aber kaum vom Staat entlastet wird.
Länder und Kommunen gewinnen – der Bund bleibt im Defizitmodus
Die neue Schätzung zeigt auch eine Umverteilung der Einnahmen innerhalb des föderalen Systems. Länder und Gemeinden dürfen mit deutlich höheren Steuereinnahmen rechnen, vor allem durch steigende Anteile an Lohn- und Umsatzsteuern.
Für den Bund hingegen bleibt die Lage angespannt. Zwar verbessert sich das Steueraufkommen kurzfristig, doch ab 2028 werden die Einnahmen laut Prognose wieder unter den Werten der Mai-Schätzung liegen. Der Grund: wachsende Zinskosten, Ausgaben für das Investitionspaket und die Umsetzung bereits beschlossener Entlastungen.
Quelle: Bundesministerium der Finanzen
Klingbeil sieht in dieser Entwicklung kein Problem, sondern eine bewusste Prioritätensetzung. „Der Bund trägt ganz überwiegend die Kosten des Wachstumsboosters, mit dem wir die Wirtschaft ankurbeln“, sagte er. „Deshalb profitiert der Bund selbst nur begrenzt. Aber der Weg ist richtig.“
Faktisch bedeutet das: Die zentralen Investitionsprogramme werden vom Bund bezahlt, während die Steuermehreinnahmen überwiegend bei Ländern und Kommunen ankommen. Die Schätzung offenbart eine paradoxe Situation. Der Staat stabilisiert sich finanziell in einem Umfeld wirtschaftlicher Stagnation – dank nominaler Effekte, nicht dank realer Leistung.
Inflation und Lohnsteigerungen generieren steigende Steuereinnahmen, die kurzfristig das Haushaltsdefizit abfedern. Politisch wirkt das wie ein Erfolg. Doch ökonomisch offenbart es eine trügerische Stabilität. Denn die Steuerprogression belastet gerade jene, deren Konsumausgaben für die Binnenkonjunktur entscheidend wären.
Strukturelle Schieflage bleibt
Die 169. Steuerschätzung liefert kein Zeichen ökonomischer Stärke, sondern eines fiskalischen Automatismus. Der Staat nimmt mehr ein, weil die Preise steigen und die Löhne nominell wachsen.
Minister Klingbeil betont, die Politik seiner Regierung „wirke“. Tatsächlich wirkt sie allerdings vor allem für die Einnahmenseite des Staates. Die strukturelle Schieflage bleibt: Während Einkünfte aus Kapital wie Zinsen, Dividenden oder Unternehmensgewinne mit pauschal 25 Prozent vergleichsweise moderat besteuert werden, lastet der größte Teil der Abgaben auf Arbeitseinkommen.
Nach Angaben der OECD stammten 2022 in Deutschland fast zwei Drittel der Staatseinnahmen direkt aus der Arbeit. Rund 27 Prozent entfallen auf Einkommensteuern, weitere 37 Prozent auf Sozialbeiträge, die von Arbeitnehmern und Arbeitgebern gemeinsam getragen werden. Damit werden etwa 64 Prozent aller öffentlichen Einnahmen über Arbeitseinkommen finanziert. Diese Zahlen sind ein deutliches Zeichen dafür, dass die Steuer- und Abgabenlast in Deutschland vor allem auf den Schultern der Beschäftigten ruht.
Patrick Langendorf schreibt seit drei Jahren für Epoch Times zu den Themen Politik, Wirtschaft und Finanzen.