„Der Tourismus in Antalya ist am Boden“: Weit weg vom türkischen Traumurlaub

Eine Umfrage unter Deutschen spricht Bände: Die wenigsten geben an, dass sie die Türkei für ein sehr sicheres Reiseland halten. Jeder dritte Befragte sagt sogar: Die Türkei sei „sehr gefährlich“. Der Tourismus in die Türkei bricht ein, viele Hotels machen gar nicht erst auf.
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Nur wenige Touristen an einem Badestrand in Kemer.Foto: Marius Becker/dpa
Epoch Times13. März 2017

Die Leere hat sich manch ein Tourist vielleicht schon mal gewünscht, der sich bei 32 Grad mitten in der Hochsaison ein Plätzchen auf der Liege neben Hunderten anderen sichern musste.

Verlassene Strände sind in diesem Jahr traurige Wirklichkeit in der Türkei. Das Land kommt nicht zur Ruhe: Auf Terroranschläge folgte ein Putschversuch – und nun auch noch der Ausnahmezustand. Pralle Sonne, stahlblauer Himmel, funkelndes Meer und gewaltige Berge: Weder die perfekte Urlaubskulisse noch die günstigen Preise oder der gute Service in den Hotels am Mittelmeer können so viele Touristen nach Antalya locken wie in den vergangenen Jahren.

„Der Tourismus in Antalya ist am Boden“, sagt Basak Yilmaz. An ihrer Bar am eigentlich so beliebten Lara Beach wartet alles auf die Besucher: Der Rasen wird gesprenkelt, die hölzernen Wege über dem heißen Sand sind gefegt. Während in Ankara der Nationale Sicherheitsrat und das Kabinett unter Leitung von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan in einer Sondersitzung die Verhängung des Ausnahmezustandes für drei Monate vorbereiten, stehen in Antalya die Liegen bereit, mit Handtuch reserviert ist keine. Auch die Sonnenschirme bleiben zusammengefaltet.

„Schade“, sagt Celal Kaya. Er wiederholt es immer wieder. Jedes Jahr kommt er mit seiner Frau Hafise her. Auch dieses Jahr sei das keine Frage gewesen, obwohl er am vergangenen Samstag beim Kofferpacken die Nachrichten sah und hörte: Teile der Streitkräfte in der Türkei haben geputscht. „In Antalya ist alles okay, alles ruhig“, sagt er mit fester Stimme und blickt aufs Meer. „Wenn man europäisches Fernsehen sieht, sieht man nur Krieg, nur Militär. Hier ist kein Krieg!“

Hafise mischt sich ins Gespräch. „Wir warten hier mit offenen Händen und Armen.“ Die Familie wohnt seit Jahren in der Schweiz, kommt aber aus der Türkei. Hier wird sie von Kellnern am Strand umgarnt: Es gibt „Tost“, Erdnüsse und Bier unterm Sonnenschirm. Die wenigen Kunden sind Könige.

Familienvater Celal weiß, wie hart die Katastrophen-Nachrichten aus der Türkei die Branche getroffen haben. Seine Brüder leben wie viele Menschen an der Riviera im Süden des Landes vom Tourismus. Wie es weitergeht, wüssten sie nicht.

Für Birol Baykal bedeutet das Wegbleiben der Menschen: „30 Prozent weniger Lohn in diesem Monat.“ Wenn er nicht gerade mit Touristen spricht, hat er Sorgenfalten im Gesicht. Er wirbt wie der 27-jährige Halil für Wassersport. Für Halil ist es der Job für die heiße Jahreszeit, im Sommer hält er es in Istanbul nicht aus. Jetzt schlägt er mit seinen zwei Kollegen am Stand die Zeit tot. „Die Situation ist echt schlecht.“

Der junge Mann mit seinen Tattoos am Arm und den bunten Klamotten fällt auch Vanja und Gert Wöllhaf auf. Sie faulenzen in ihren Liegestühlen. Ihnen täten die Leute leid, die den Touristen alles böten, was das Herz begehre. „Das ist eine Katastrophe für das Land, eine Katastrophe für die Leute“, sagt Gert Wöllhaf.

Die Baden-Württemberger lassen es sich gutgehen. Verunsichert seien sie nicht – irritiert habe lediglich, als in der Nacht von Freitag auf Samstag plötzlich das Internet weg war. „Einfach stillgelegt“, sagt Wöllhaf. Dann kamen die SMS aus Deutschland. „Wie geht’s euch?“ „Wir haben unseren Freunden geantwortet: Uns geht es gut, Panzer sind auch noch keine durchgefahren.“ Wöllhaf lacht, als er das sagt.

Die, die am Strand relaxen, sind entspannt. Doch viele sind gar nicht erst gekommen: Die staatliche Flughafenbehörde meldete für die erste Hälfte des laufenden Jahres einen Rekordrückgang der Zahl der Passagiere in Antalya von 47 Prozent im Vergleich zu 2015. Und auch eine Umfrage unter Deutschen spricht Bände: Die wenigsten geben an, dass sie die Türkei für ein sehr sicheres Reiseland halten. Jeder dritte Befragte sagt sogar: Die Türkei sei „sehr gefährlich“.

Dabei ist in Antalya eigentlich alles wie vor dem Putschversuch. „Hier ist alles ruhig, Sie brauchen keine Angst haben“, sagt auch Taxifahrer Mehmet auf dem Weg vom Flughafen in die Stadt. Er vertraue Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan, der von so vielen Seiten kritisiert werde. Und schließlich seien Ankara, Istanbul oder der unruhige Südosten der Türkei Hunderte Kilometer entfernt. Thema sind die Ereignisse dennoch überall.

„Antalya ist sexy – aber nicht nach einem versuchten Putsch oder Bombenanschlägen“, sagt Sefa Altinay. Er koordiniert Projekte auf der diesjährigen Weltausstellung in Antalya und ist Vorsitzender des Verbands der türkischen Reiseveranstalter. Der Rückgang an Gästen betreffe vor allem die großen Anbieter. „Aber uns macht Sorgen, dass die Leute sich nicht trauen rauszugehen, Touren zu machen. Das ist für das Kleingewerbe tödlich.“

Auch die Expo sollte Besucher locken. Doch nun haben die Veranstalter ihre Erwartungen heruntergeschraubt, sagt Altinay. Acht Millionen Besucher bis Ende Oktober werden wohl nicht erreicht: In drei Monaten kam erst rund eine Million.

Dass Touristen fehlen, hat nicht nur mit der Angst zu tun: In einem normalen Jahr reisen auch Millionen Russen in die Region – etwa nach Kemer südlich von Antalya. Auf einer ausgebauten Küstenstraße erreicht man nach rund 40 Kilometern das Städtchen mit Hafen und Bergpanorama. Die Gemeinde zählt 12 000 Einwohner. Auch hier leben viele vom Tourismus: Sei es der Juwelier auf der Haupteinkaufsstraße Liman Caddesi, die Hotel-Inhaberin Erendiz Hamamcioglu oder der Restaurant-Betreiber Cemal Sahin Iyicil.

Nach dem Abschuss eines russischen Kampfjets durch die Türkei hatte Russlands Präsident Wladimir Putin Ende vergangenen Jahres Sanktionen gegen Ankara verhängt. Vor allem das Charterflugverbot war ein harter Schlag für die Branche. Die Zahl der Türkeibesucher aus Russland ging bis Mai im Jahresvergleich um mehr als 90 Prozent zurück. Das Verbot wurde Ende Juni aufgehoben, der Streit beigelegt.

Doch in Kemer machten viele Hotels gar nicht erst auf: Im Türkiz-Hotel laufen Fernseher und Ventilator. Ein Sicherheitsmann hat es sich in der Lobby gemütlich gemacht – neben Wasserkocher und Teekanne mit Blick auf Park, Hafen und Meer. Gäste gibt es keine. An anderen Häusern steht „Kiralik“ oder „Satilik“ – zu vermieten, zu verkaufen.

In der leergefegten Einkaufsstraße warten die Geschäfte auf Kunden. Oft vergebens. „Ich habe seit 20 Tagen nichts mehr verkauft. Wir können unseren Strom nicht bezahlen, unsere Miete nicht bezahlen, unsere Mitarbeiter nicht bezahlen“, klagt Juwelier Adem Batu. Dass im Winter Geschäfte verrammelt und die Straßen leer sind, ist nicht ungewöhnlich in Kemer. Aber in der Hochsaison?

Um die Ecke im Rathaus der Gemeinde will der Zweite Bürgermeister Ahmet Can beschwichtigen: Die Region lebe nicht nur vom Tourismus, sondern auch von der Landwirtschaft. Die Arbeitslosigkeit sei nicht so hoch. Die, die keinen Job in einem Hotel fänden, könnten auf den Feldern arbeiten. Auf Messen versuche man, mehr türkische Touristen in die Ferienorte zu locken. Und er sagt: „Die Türkei ist ein großes Land. Gerade die Touristenregionen sind sehr sicher. Wir erwarten Sie wieder in unserer Gemeinde.“

Es habe auch schon wieder Buchungen von russischen Touristen gegeben – für August. Doch die dürften den Ausfall nicht wettmachen, meint Helena Schönbaum. Sie ist Vorsitzende des Antalya Business Networks, eines Wirtschaftsnetzwerks deutschsprachiger Geschäftsleute in Antalya. Sie hat einen guten Überblick, wie es der Branche geht: Die Hoffnung auf Last-Minute-Buchungen sei groß. „Aber es war ja immer irgendwas. Wir hangeln uns von Monat zu Monat.“

Erendiz Hamamcioglu hat sich in ihrem alternativen, aufwändig bepflanzten Hotel einen anderen Schwerpunkt gesetzt als viele andere in dem Städtchen: ein Kontrast zum All-Inclusive-Programm. Aber auch sie verzeichnet einen Rückgang an Buchungen. Letztes Jahr hatte sie noch 16 Angestellte, in diesem Jahr sind es nur noch vier. „Und jeden Tag kommt jemand ans Tor und fragt nach Arbeit.“ Dabei rechnet Hamamcioglu damit, im Winter selbst das erste Mal arbeiten zu müssen – außerhalb ihrer eigenen kleinen Oase.

Spricht man mit den Menschen in Antalya und Kemer, hört man eines immer wieder: Dass sie erwartet hätten, dass sich Deutschland solidarischer zeigt. „Einen Freund lässt man nicht im Stich“, sagt etwa Hamamcioglu. Viele fühlen sich im Stich gelassen – von der deutschen Politik, aber auch von den einstigen Touristen.

Aber nur wenige leugnen, dass die Probleme auch im eigenen Land zu suchen sind. Dass es die angespannten Umstände und die politische Lage ist, die die Menschen in diesem Sommer eher nach Griechenland oder Spanien treiben. Offen wollen aber die meisten nicht darüber sprechen. (dpa)



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