Politisches Erdbeben in Tunesien: Jura-Professor und inhaftierter Medienmogul treten zu Stichwahl an

Vertreter der etablierten Parteien äußerten sich mit Blick auf die bevorstehende Parlamentswahl besorgt: Als Sieger aus der ersten Runde am Sonntag gingen Teilergebnissen zufolge zwei Außenseiter hervor.
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Als Sieger aus der ersten Runde am Sonntag gingen Teilergebnissen zufolge zwei Außenseiter hervor: der unabhängige Jura-Professor Kaïs Saïed und der im Gefängnis sitzende Medienmogul Nabil Karoui.Foto: FETHI BELAID/AFP/Getty Images
Epoch Times16. September 2019

Die Präsidentenwahl in Tunesien hat dem nordafrikanischen Land ein politisches Erdbeben beschert: Als Sieger aus der ersten Runde am Sonntag gingen Teilergebnissen zufolge zwei Außenseiter hervor: der unabhängige Jura-Professor Kaïs Saïed und der im Gefängnis sitzende Medienmogul Nabil Karoui. Sie werden sich nun den Teilergebnissen zufolge in einer Stichwahl gegenüberstehen. Vertreter der etablierten Parteien äußerten sich mit Blick auf die bevorstehende Parlamentswahl besorgt.

Saïed kam nach Auszählung von gut der Hälfte der Stimmen auf 18,7 Prozent, wie die Wahlkommission am Montagabend mitteilte. Der 61-jährige Jura-Professor hatte sich im Wahlkampf bewusst von allen Parteien distanziert und auf einen Tür-zu-Tür-Wahlkampf gesetzt.

Karoui erreichte laut den am Montagabend veröffentlichten Teilergebnissen 15,5 Prozent der Stimmen. Gegen den 56-Jährigen, der nur wenige Tage vor Wahlkampfbeginn in Untersuchungshaft genommen worden war, wird wegen des Verdachts der Geldwäsche und der Steuerhinterziehung ermittelt. Der Medienmogul hatte sich in den vergangenen Jahren einen Ruf als Wohltäter aufgebaut, indem er vor den Kameras seines Senders Nessma TV Elektrogeräte oder Nahrungsmittel an Arme verteilte.

Karouis Inhaftierung hatte Umfragen zufolge seine Beliebtheitswerte steigen lassen. Seine Anwälte kündigten am Montag an, dass sie einen neuen Antrag auf Haftentlassung stellen wollen. Dieser solle innerhalb von 24 Stunden bei der Justiz eingereicht werden. Die bisherigen drei Anträge auf Entlassung aus der U-Haft waren alle abgelehnt worden.

Angesichts des Ergebnisses des Urnengangs rief Regierungschef Youssef Chahed, der sich ebenfalls um die Präsidentschaft beworben hatte, Parteien der Mitte und Liberale auf, für die Parlamentswahl am 6. Oktober einen Block zu bilden. Die Popularität des Ministerpräsidenten hatte angesichts der schwächelnden Wirtschaft und steigenden Lebenshaltungskosten im Land gelitten. Ihm wurde zudem vorgeworfen, Karouis Verhaftung Ende August sei politisch motiviert gewesen.

Auf Platz drei landete den Teilergebnissen zufolge der kommissarische Parlamentspräsident Abdelfattah Mourou von der moderat islamistischen Partei Ennahda mit 13,1 Prozent. Weitere prominente Kandidaten waren der langjährige Oppositionelle und spätere Übergangspräsident Moncef Marzouki, der ehemalige Regierungschef Mehdi Jomaa sowie Verteidigungsminister Abdelkarim Zbidi. Unter den mehr als 20 Kandidaten waren lediglich zwei Frauen.

Die Wahlbeteiligung lag nach Behördenangaben bei 45 Prozent und damit deutlich niedriger als 2014, als noch 64 Prozent der Wahlberechtigten in der ersten Runde der Präsidentenwahl an die Urnen gegangen waren.

Die ursprünglich für November angesetzte Wahl war nach dem Tod des 92-jährigen Präsidenten Béji Caïd Essebsi Ende Juli auf den 15. September vorgezogen worden. Essebsi war 2011 nach dem Sturz des damaligen Diktators Zine El Abidine Ben Ali gewählt worden.

Am Wahltag waren 70.000 Sicherheitskräfte im Einsatz. In Tunesien hatte es 2015 und 2016 mehrere islamistische Anschläge gegeben, seitdem hat sich die Situation deutlich verbessert. Im Land gilt aber immer noch der Ausnahmezustand.

Tunesien nimmt für sich in Anspruch, als einziges Land des Arabischen Frühlings eine funktionierende Demokratie zu sein. Überschattet werden die demokratischen Errungenschaften jedoch von schweren wirtschaftlichen und sozialen Problemen und der allgegenwärtigen Vetternwirtschaft. Die Arbeitslosenrate liegt bei 15 Prozent, die Lebenshaltungskosten stiegen um mehr als 30 Prozent seit 2016.

Das Datum der Stichwahl steht noch nicht fest. Sie muss aber vor dem 23. Oktober stattfinden und könnte möglicherweise mit der Parlamentswahl am 6. Oktober zusammengelegt werden. (afp)



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