Kyiv Post: „Odessa wird von Mafiabossen regiert“

Die englischsprachige ukrainische Zeitung „Kyiv Post“ erhebt schwere Anschuldigungen gegen den Bürgermeister der Schwarzmeermetropole Odessa. Er und zwei Geschäftsleute mit zwielichtiger Vergangenheit sollen die Hafenstadt nach Gutsherrenart regieren. Präsident Poroschenko dulde diese Umtriebe.
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Luftbild der Hafenstadt Odessa.Foto: istock
Von 13. September 2018

Mit schweren Geschützen fährt die „Kyiv Post“ in einem Investigativartikel gegen den Bürgermeister der ukrainischen Schwarzmeerstadt Odessa, Gennadi Truchanow auf. Als 2015 unter dem Eindruck der Eskalation in der Ostukraine und der Gewaltexzesse in der Stadt vom 2. Mai ein neues Stadtoberhaupt gewählt wurde, konnte sich der Großunternehmer bereits im ersten Wahlgang mit 52,9 Prozent durchsetzen.

Wenige Monate vor dem Superwahljahr 2019 in der Ukraine wettert die Hauptstadtzeitung über eine „Clique von Geschäftsleuten“ mit „zweifelhafter Vergangenheit und Verbindungen“. Diese herrsche in der Hafenstadt mit unkontrollierter Macht und habe dabei die Rückendeckung von Präsident Petro Poroschenko und dessen Umfeld.

Neben Truchanow seien es vor allem dessen Geschäftspartner Wladimir Galanternik und Alexander Angert, die sich in „mafiaartiger“ Weise die Einflusssphären in der Stadt aufgeteilt hätten. Oppositionspolitiker wie der Chef der lokalen Demokratischen Allianz, Pawlo Polamartschuk, oder NGOs klagen gegenüber der Kyiv Post über Lokalpolitiker und Geschäftsleute, die sich in Nobelrestaurants anstellten, um Galanterniks Segen für ihre Vorhaben zu erhalten. Galanternik selbst lebe hauptsächlich in London.

Truchanow im Februar kurzzeitig inhaftiert

Das einflussreiche Triumvirat, so erklären Anti-Korruptions-Aktivisten, werde von Angert geführt. Dieser und Truchanow wurden einem 2016 vom „Projekt für Berichterstattung über Verbrechen und Korruption“ (OCCRP) veröffentlichten Dossier zufolge im Jahr 1998 in einem italienischen Polizeidossier als Mitglieder einer Mafia-Gang benannt. Nun, so die Aktivisten, haben die drei Odessa in ihr privates Herrschaftsgebiet umgewandelt. Die lukrativsten Grundstücke und städtischen Aufträge gingen demnach an Firmen, die sie selbst kontrollieren.

Weder Truchanow noch Galanternik oder Angert zeigten sich gewillt, mit der Zeitung zu sprechen. Das Presseamt des Bürgermeisters ließ die Kyiv Post mit Blick auf die Aussagen der Anti-Korruptions-NGOs wissen, er halte es nicht für erforderlich, „persönliche Meinungen, Gerüchte oder Spekulationen“ zu kommentieren.

Im Februar 2018 war Truchanow wegen Vorwürfen der Untreue sogar kurzzeitig verhaftet worden, ein Gericht hatte zusätzlich die Beschlagnahme einiger seiner Immobilien angeordnet. Mit einer Bürgschaft erreichte der Parlamentsabgeordnete Dmytro Golubow vom „Block Poroschenko“, dass der Kommunalpolitiker vorerst wieder freigelassen wurde.

Witali Ustimenko von der örtlichen NGO AutoMaidan erklärte gegenüber der Kyiv Post, Truchanow und Galanternik hätten zwischen Herbst 2014 und Frühjahr 2015 ein Finanzkonglomerat gegründet, das alle konkurrierenden Gruppen in Odessa deren dominanter Rolle unterworfen hätte.

Sascha Borowik, unterlegener Gegenkandidat von 2015 und Vertrauter des geschassten Ex-Gouverneurs Micheil Saakaschwili, wird konkreter in seinen Vorwürfen gegen die städtische Führungselite. Truchanow, Angert und Galanternik „kontrollieren den Hafen, die Infrastruktur, den Handel und das Rathaus“. Sie beeinflussten einen großen Teil der lokalen Medien, kontrollierten die Straßen durch lokale Kampfsportklubs und hätten die lokale Wahlkommission in ihrer Tasche.

Borowik, der mit 25,7 Prozent deutlich abgeschlagen auf Platz zwei gelandet war, sieht sich als Opfer einer unfairen Wahlkampagne, für die er auch Poroschenko verantwortlich macht. „Der Präsident hatte zu Beginn faire Wahlen versprochen, politische Unterstützung und ein Vorgehen gegen jedweden Missbrauch, aber als es wirklich um etwas ging, betrogen er und sein Team mich und meine Kampagne. Sie gaben keine Unterstützung und ergriffen Partei für Truchanow.“

Hohe Zollgebühren und intransparente Auftragsvergabe

Abgesehen von NGOs und unterlegenen Gegenkandidaten, deren Aussagen stets der Beigeschmack anhaftet, zu den schlechten Verlierern zu gehören, beschweren sich jedoch auch einige lokale Unternehmer und ihre Verbände über die Stadtverwaltung. Ein erheblicher Teil der ukrainischen Wirtschaftsleistung vollzieht sich über die Häfen des Landes.

Der Warenumschlag im Schwarzmeerhafen von Odessa belief sich im Jahr 2017 auf 24 Millionen Tonnen an Waren. Das entspricht 18 Prozent der gesamten Importe und Exporte, die ukrainische Häfen passieren. Die Kyiv Post taxiert den Gesamtschaden durch Korruption im Zolldienst landesweit auf jährlich 4,8 Milliarden US-Dollar.

Der Think-Tank VoxUkraine moniert, dass die Zolltarife in den ukrainischen Häfen zwei- bis dreimal teurer sind als in vergleichbaren Häfen der Region. Zudem werde Land in Hafennähe in intransparenter und nicht marktkonformer Weise gehandelt. Die Bürger würden damit um Steuermittel und eine gesunde Entwicklung des Handels und des Immobilienmarktes betrogen.

Inna Krawtschuk, die Vorsitzende des Rats der Gewerbetreibenden von Odessa, erklärte gegenüber der Kyiv Post: „Es ist eine Mafia, die uns regiert. Bis die weg ist, bleibt es schwer, ein Geschäft zu führen. Es ist das Sizilien der Ukraine… Sie verstehen den Wert der Stadt und ihres architektonischen Erbes nicht. Odessa ist zum Kiosk geworden.“

Wahllos aus der Erde gestampfte Shopping Malls und dubiose Immobilienprojekte würden Stadtbild und Landschaft beeinträchtigen, ist sich Krawtschuk mit Michailo Kusakon von der Partei „Volksbewegung für die Ukraine“ einig. Alle davon ließen Verbindungen zum „Trio“ erkennen. Das ungesunde Geschäftsklima hemme die Entwicklung des touristischen und wirtschaftlichen Potenzials, so die Aktivisten.

Im Ranking des Instituts für ökonomische Forschung und Politikberatung liegt die Oblast im Mittelfeld bezüglich des Geschäftsklimas. Das Investmentpotenzial ist mit nur 0,07 von 1 Punkten noch weit davon entfernt, ausgeschöpft zu sein.

Mafia-Connections sollen in 1980ern und 1990ern gewachsen sein

Die notwendigen Fertigkeiten, um kommunale Wirtschaftspolitik nach Art eines Syndikats zu leiten, soll sich das Triumvirat in der Endphase der Sowjetunion und in den gesetzlosen 1990er Jahren angeeignet haben. Dem bereits erwähnten italienischen Polizeidossier zufolge sollen Truchanow und Angert zu den führenden Persönlichkeiten der in Odessa tätigen Mafia-Gang des Leonid Minin gehört haben. Truchanow habe bereits damals mehrere Sicherheitsunternehmen geleitet.

Auf das Konto der Gruppe sollen mehrere Fälle von Schutzgeld- und sonstiger Erpressung, Waffenhandel oder Mordkomplotte gegen Politiker und Oppositionelle gehen. Im Jahr 2000 verurteilte ein Gericht in Italien Minin zu zwei Jahren Haft für Drogenbesitz. Später folgten eine Anklage wegen Waffenschieberei und eine Verurteilung wegen des illegalen Besitzes von Diamanten.

Gegenüber “Slidstvo.info” distanziert sich Truchanow nicht von seinen dubiosen Geschäftsfreunden: „Alexander Angert ist mein Freund und ich habe mich nie dieser Freundschaft geschämt. Wir lernten einander kennen, als er ein größeres Unternehmen in Odessa leitete. Wie viele andere hat unsere Sicherheitsfirma auch seine Einrichtungen geschützt.“

In den 1980er Jahren wurde der 1955 in Odessa geborene Angert wegen Vergewaltigung und Mordes an der damals als Polizeiermittlerin arbeitenden Alla Korystowska zu 15 Jahren Haft verurteilt, teilte OCCRP im April mit. Er besitzt mehrere Staatsbürgerschaften und lebe nach mehreren Jahren in London nun in der Türkei.

Angerts anderer Geschäftspartner ist der 48-jährige Wladimir Galanternik. Er begann in den frühen 1990er Jahren als Kleinhändler von elektronischen Teilen. Später gründete er eine mittlerweile liquidierte Bank, die Sotskombank, mit, die von 2003 bis 2011 existierte. Galanternik scheint jedoch beachtliche organisatorische Fähigkeiten mitzubringen und eine extrovertierte Persönlichkeit zu sein. Diese Talente sind auch Angert und Truchanow nicht verborgen geblieben.

Der Bürgermeister erklärte im März gegenüber der Nachrichtenseite „Levy Bereg“:

„Was Galanternik anbelangt, ist dieser ein Geschäftsmann, der aktiv Geschäfte in Odessa macht. Warum haben wir zu ihm so ein enges Verhältnis? Nun, manche Menschen, die in Odessa Geschäfte machen, tun auch was für die Stadt selbst: Sie halten Konzerte ab, ziehen Menschen an, dekorieren Spielplätze.“

Antirussische Ressentiments hinter den Vorwürfen?

Kritiker wittern hinter der Kampagne gegen Truchanow hingegen primär den Wunsch nach politischer Abrechnung und antirussische Ressentiments. Der 1965 in Odessa geborene spätere Politiker soll die russische Staatsangehörigkeit besitzen, was er selbst bestreitet, die zentrale Steuerbehörde der Russischen Föderation jedoch bestätigt. Im Jahr 2010 wurde er im Stadtrat zum Vorsitzenden der Fraktion von Wiktor Janukowytschs Partei der Regionen gewählt, 2014 zum Bürgermeister ernannt und ein Jahr später wiedergewählt.

Dem italienischen Dossier aus dem Jahr 1998 zufolge soll das Triumvirat um Truchanow auch Verbindungen zum russischen Ölmagnaten Alexander Schukow aufweisen. Im Jahr 2011 wurde dieser in Italien unter dem Verdacht des illegalen Waffenhandels festgenommen, aber später freigesprochen, weil die italienische Justiz zu dem Schluss gelangte, dass der Fall außerhalb ihrer Jurisdiktionsgewalt liegt.

Die Kyiv Post erhebt zudem den Vorwurf, das Dreiergespann, das de facto die Geschicke der Hafenstadt bestimme, betreibe teils selbst, teils über Strohmänner ein Geflecht an Unternehmen, von denen zahlreiche auch öffentliche Ausschreibungen der Stadt für sich entschieden. Zudem würden diese bei der Baulandvergabe bevorzugt.

Arkadi Topow von der NGO „Antikorruptionsbüro Odessa“ erklärt, die Truchanow-Angert-Galanternik-Gruppe werde in den meisten Fällen mit der Reparatur und Sanierung von Straßen, Schulen und Krankenhäusern beauftragt. Bei den Ausschreibungen würden entweder die Parameter so vage formuliert oder aber so streng, dass in jedem Fall Unternehmen mit Verbindungen zum Bürgermeister mit Erfolgsaussicht daran teilnehmen könnten. Auch sei der Name Truchanow in den sogenannten Panama Papers von 2016 aufgetaucht.

Stadtrat bestreitet krumme Machenschaften

Einer der vermeintlichen Günstlinge ist der Stadtrat und Unternehmensgruppen-Chef Jurij Schumakher. Dieser soll in vielen Fällen als Strohmann fungieren, insbesondere für Galanternik. Witali Ustimenko erklärte gegenüber der Kyiv Post: „Als wir 2014 damit beschäftigt waren, die Stadt vor den Separatisten zu verteidigen und der Krieg an der Ostfront begann, traf der Stadtrat von Odessa eine Reihe von Entscheidungen zugunsten Galanterniks.“ Schumakher habe dabei eine Schlüsselrolle gespielt. Der Stadtrat und Unternehmer selbst bestreitet jedwede illegalen oder unfairen Verhaltensweisen.

Galanterniks Ziel sei es, „so viel wie möglich zu bauen und zu kommerzialisieren, und daraus maximale Profite für seine Gruppe zu schlagen“. Das allerdings dürfte das Ziel jedes Unternehmens sein, das auf dem freien Markt agiert. Inwieweit die Bürger Odessas an den Darstellungen der Kyiv Post und der örtlichen Antikorruptionsgruppen Anteil nehmen, werden künftige Wahlgänge zeigen.



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