Brasilien: Mehrheit für Rousseff-Absetzung zeichnet sich ab

Rousseff weist die Vorwürfe zurück und spricht von einem „Putsch“. Sie sei bis zum 31. Dezember 2018 gewählt, einen Rücktritt schließt sie aus.
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Steht vor der Absetzung: Brasiliens Staatspräsidentin Dilma Rousseff.Foto: Fernando Bizerra Jr./dpa
Epoch Times12. Mai 2016
Im brasilianischen Senat zeichnet sich eine klare Mehrheit für eine Absetzung von Staatspräsidentin Dilma Rousseff ab.

Von den ersten 24 Senatoren, die jeweils 15 Minuten lang ihre Beweggründe erläutern konnten, waren 20 für eine Suspendierung Rousseffs von zunächst 180 Tagen, vier dagegen. Notwendig ist eine einfache Mehrheit der an der Marathonsitzung teilnehmenden Senatoren.

Insgesamt hat der brasilianische Senat 81 Mitglieder. Die Regierung fürchtete sogar, dass am Ende eine Zweidrittelmehrheit stehen könnte. Am Donnerstag will Vizepräsident Michel Temer das Amt übernehmen.

Der Präsidentin werden eigenmächtige Kreditvergaben und Bilanztricks zur Verschleierung der wahren Haushaltslage vorgeworfen. Rousseff weist die Vorwürfe zurück und spricht von einem „Putsch“. Sie sei bis zum 31. Dezember 2018 gewählt, einen Rücktritt schließt sie aus.

In den 180 Tagen würden die Vorwürfe unter Beteiligung des Obersten Gerichtshofs geprüft. Dann müsste der Senat – dieses Mal mit einer Zweidrittelmehrheit – über eine endgültige Amtsenthebung entscheiden. Wird das Quorum verfehlt, würde Rousseff wieder das Amt übernehmen.

Der 75-jährige Temer von der Partei der demokratischen Bewegung (PMDB), die die Koalition mit der linken Arbeiterpartei Rousseffs im März aufgekündigt hatte, traf sich während der Sitzung mit Vertrauten in seinem Amtssitz in Brasília, dem Palácio do Jaburu, um den Wechsel vorzubereiten. Auch die mögliche neue „First Lady“, seine Ehefrau Marcela (32), traf mit dem kleinen Sohn Michelzinho im Palast ein.

Kommt es zu der erwarteten Entscheidung, muss Rousseff (68) den von Architekt Oscar Niemeyer gebauten, lichtdurchfluteten Palácio do Planalto räumen und Temer überlassen. Sie bezeichnet ihn als „Verräter“, weil er ihren Sturz mit seiner Partei forciert hat.

Erstmals seit 2003 würde dann zumindest für das nächste halbe Jahr eine Regierung ohne Beteiligung der Arbeiterpartei das Land führen. Einen letzten Einspruch der Regierung gegen das Absetzungsverfahren wies der Oberste Gerichtshof des Landes am Mittwoch zurück.

Temer würde auch die Olympischen Spiele am 5. August in Rio eröffnen. Der bisherige, erst vor wenigen Wochen ernannte Sportminister Ricardo Leyser soll zur Wahrung von Kontinuität nicht abgelöst werden, ebenso wie Zentralbankchef Alexandre Tombini. Bisher gibt es 31 Ministerien, Temer will die Zahl verringern. Bisher gab es solch ein Amtsenthebungsverfahren in Brasilien erst einmal. 1992 wurde Fernando Collor de Mello nach Korruptionsvorwürfen für 180 Tage suspendiert – und trat Ende des Jahres schließlich selbst zurück.

Rousseff, seit 2011 an der Macht, war zuletzt eine Präsidentin ohne Fortune, mitunter aufbrausend, mit weniger Volksnähe und Charisma als ihr Vorgänger Luiz Inácio Lula da Silva. In dessen Amtszeit wuchs die Wirtschaft kräftig, auch dank der sprudelnden Öleinnahmen. Rund 40 Millionen Menschen seien dank Sozialprogrammen und Mindestlöhnen aus der Armut befreit worden, betont Rousseff. Nun ist das Land in einer tiefen Rezession, ein Korruptionsskandal aus Lulas Amtszeit hat Rousseff eingeholt, sie war damals Aufsichtratschefin des im Fokus stehenden Petrobras-Konzerns. Über elf Millionen sind arbeitslos.

Seit Wochen ist das Land wegen des Ringens um ihre Amtsenthebung politisch handlungsunfähig. Als sich die klare Zustimmung zu der Suspendierung Rousseffs abzeichnete, stieg der Kurs an der Börse in São Paulo und der Real gewann gegenüber dem Dollar, der Wechselkurs lag bei 1 zu 3,44 US-Dollar. Temer will mit Privatisierungen und Entlassungen im Staatsdienst das hohe Defizit in den Griff bekommen.

Mit umfassenden Reformen will er die kriselnde Wirtschaft ankurbeln, das Bruttoinlandsprodukt der bisher siebtgrößten Volkswirtschaft der Welt war 2015 um 3,8 Prozent eingebrochen, für dieses Jahr sieht es nicht besser aus. Der frühere Zentralbank-Chef Henrique Meirelles soll Finanzminister werden, zuletzt waren die Staatsanleihen von den Ratingagenturen auf Ramschniveau gesenkt worden. Umweltschützer befürchten mehr Regenwaldabholzungen. Temer will zum Beispiel den umstrittenen „Sojabaron“ Blairo Maggi zum Agrarminister machen.

(dpa)


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