Merkel mahnt London: Keine Rosinenpickerei nach Brexit-Votum

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) will nach dem Brexit-Votum die Europäische Union stärken und Großbritannien keine Sonderrolle zugestehen. Am Mittwoch kommen die 27 EU-Staaten ohne Großbritannien zusammen. Merkel sagte, Cameron wolle - „anders als vermutet werden konnte“ - seinem Nachfolger die Verhandlungen über den Ausstieg aus der EU überlassen.
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Bundeskanzlerin Merkel: "Die Europäische Union ist stark genug, um den Austritt Großbritanniens zu verkraften."Foto: Kay Nietfeld/dpa
Epoch Times28. Juni 2016

„Wir werden sicherstellen, dass die Verhandlungen nicht nach dem Prinzip der Rosinenpickerei geführt werden“, sagte sie in einer Regierungserklärung im Bundestag. Merkel forderte die übrigen EU-Mitgliedsstaaten zu Geschlossenheit auf. „Die Europäische Union ist stark genug, um den Austritt Großbritanniens zu verkraften.“

Die Kanzlerin stellte klar, London könne nach dem Anti-EU-Votum nicht erwarten, dass alle Pflichten entfielen, die Privilegien aber bestehen blieben. Die Briten dürften nicht glauben, sie könnten den Ablauf der Austrittsverhandlungen bestimmen. „Es muss und es wird einen spürbaren Unterschied machen, ob ein Land Mitglied der Familie der Europäischen Union sein möchte oder nicht.“

So müssten für freien Zugang zum EU-Binnenmarkt die Grundfreiheiten wie die Freizügigkeit akzeptiert werden. „Norwegen hat beispielsweise freien Zugang zum Binnenmarkt, weil es die freie Zuwanderung aus der EU akzeptiert“, sagte Merkel. Das Brexit-Lager hatte angekündigt, die Zuwanderung selbst nach einem Punktesystem steuern zu wollen.

Deutsch-britische Beziehungen werden in aller Freundschaft weitergeführt

Die Kanzlerin betonte zugleich, dass London nach einem Austritt ein wichtiger Partner etwa in der Nato bleiben werde. Die nach dem Zweiten Weltkrieg aufgebauten deutsch-britischen Beziehungen würden in aller Freundschaft weitergeführt.

Dies stehe aber in keinem Widerspruch dazu, dass Deutschland und die EU Verhandlungen auf Grundlage ihrer eigenen Interessen führen wollten. Merkel bekräftigte, vor dem von London offiziell erklärten Austrittswunsch werde es keine Vorab-Verhandlungen geben – „weder formell noch informell“. Da dürfe es nicht „das geringste Missverständnis geben“.

Merkel rief die anderen EU-Länder zu Optimismus auf. „Es gilt jetzt nach vorne zu schauen und alles daran zu setzen, die richtigen Schlussfolgerungen zu ziehen und anschließend alle notwendigen Entscheidungen zu treffen.“ Jeder Vorschlag, der die EU der 27 als Ganzes aus dieser Krise führen könne, sei willkommen. „Jeder Vorschlag, der dagegen die Fliehkräfte stärkt, die Europa schon so sehr strapazieren, hätte unabsehbare Folgen für uns alle. Er würde Europa weiter spalten.“

Die Staats- und Regierungschefs der EU wollen beim EU-Gipfel in Brüssel über die Konsequenzen aus dem britischen Votum für einen Austritt aus der Europäischen Union beraten. Der scheidende britische Premierminister David Cameron informiert an diesem Dienstag über den Ausgang des Referendums.

Mittwoch: Treffen ohne Großbritannien geplant

Am Mittwoch kommen die verbleibenden 27 EU-Staaten ohne Großbritannien zusammen. Merkel sagte, Cameron wolle – „anders als vermutet werden konnte“ – seinem Nachfolger die Verhandlungen über den Ausstieg aus der EU überlassen.

Mit Blick auf die Vorschläge für Prioritäten der EU sagte Merkel, Ziel sollte sein, spätestens bis März 2017 – zum 60. Jahrestag der Unterzeichnung der Römischen Verträge – zu einem gemeinsamen Ergebnis zu gelangen. Sie schlug vor, die europäische Außen- und Sicherheitspolitik mit den transatlantischen Partnern zu stärken.

Opposition: Brexit als „Ausdruck tiefer Unzufriedenheit“ mit der EU

Die Opposition warf der schwarz-roten Bundesregierung vor, eine Mitschuld am Brexit-Votum zu tragen. Auch in Deutschland werde Brüssel als „Prügelknabe“ benutzt, kritisierte Linke-Fraktionschef Dietmar Bartsch. Das Referendum sei „Ausdruck tiefer Unzufriedenheit“ mit der EU. Das habe damit zu tun, dass sie ein „grundsätzliches Demokratie- und Transparenzdefizit“ habe. „Die Menschen haben das Gefühl, es mit abgehobenen Eliten und Technokraten zu tun zu haben.“

Die Grünen warnten vor einer deutschen Dominanz in der EU. Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt sagte: „Ein starkes Deutschland ist es, wenn in Deutschland europäisch gesprochen wird und nicht, wenn in Europa deutsch gesprochen wird.“

Die Bundesregierung müsse damit aufhören, mit einem „Kerneuropa“ den anderen Staaten Vorgaben zu machen: „Wir sind jetzt ein Europa der 27.“ Es könne für Europa kein „Weiter so“ geben, als wäre nichts gewesen.

SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann verlangte Härte gegenüber Großbritannien bei Verhandlungen über den EU-Austritt. „Es darf keine Belohnung für den Austritt, keine Prämie für Nationalismus und Europafeindlichkeit geben.“ Dies müsse Kanzlerin Merkel beim EU-Gipfel deutlich machen. (dpa)



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