Offener Brief der Akademiker: 246 Millionen Migranten benötigen schnellen Zugang zu Wohnungen, Bildung und Arbeitsmarkt

Über 500 führende Akademiker fordern in einem offenen Brief „einen radikalen Paradigmenwechsel im Umgang mit Migration und Asyl, basierend auf einem rationalen, wissenschaftlich fundierten und humanistischen Ansatz“. Sie fordern die Aufnahmeländer auf, den Migranten schnell Zugang zu Wohnungen, Bildung und zum Arbeitsmarkt zu verschaffen, um ihre Integration zu erleichtern.
Epoch Times29. Juni 2018

Rund 500 führende Akademiker werben in einem offenen Brief für eine nüchternere und auf wissenschaftlichen Erkenntnissen basierende Debatte der Migration.

„Wir fordern einen radikalen Paradigmenwechsel im Umgang mit Migration und Asyl, basierend auf einem rationalen, wissenschaftlich fundierten und humanistischen Ansatz“, heißt es in dem Brief, den die britische Zeitung „The Guardian“ am Freitag veröffentlichte. „Einheitsgrößen und Ideologie-basierte Politik funktionieren nicht“, warnten die Akademiker zahlreicher europäischer Forschungseinrichtungen.

Die derzeitige Einwanderungspolitik der reichen Länder in der Welt würde

weder Menschen davon abhalten, ihr Land zu verlassen, noch die bestimmenden Faktoren der Migration langfristig beeinflussen“.

Zu den Unterzeichnern zählen unter anderem der Leiter des Max-Planck-Instituts zur Erforschung multireligiöser und multiethnischer Gesellschaften in Göttingen, Steven Vertovec, sowie der französische Wirtschaftswissenschaftler Thomas Piketty.

Auf der südlichen Erdhalbkugel gibt es noch viel mehr Migranten und Flüchtlinge

Die Intellektuellen sprachen sich für eine „Krisensitzung“ von Experten aus, um die Politiker zu Einwanderungsfragen zu informieren. Zudem sprachen sie sich für die Schaffung eines internationalen Ausschusses zu Einwanderungsfragen aus.

Die Autoren des offenen Briefes hoben außerdem hervor, dass die südliche Halbkugel viel mehr mit Migranten und Flüchtlingen zu tun habe.

Die gegenwärtig 246 Millionen Migranten weltweit machten gerade einmal 3,4 Prozent der Weltbevölkerung aus – und ihre Zahl sei deutlich niedriger als im 19. Jahrhundert. Die Intellektuellen forderten die Aufnahmeländer auf, den Migranten schnell Zugang zu Wohnungen, Bildung und zum Arbeitsmarkt zu verschaffen, um ihre Integration zu erleichtern.

Der Offene Brief der Akademiker

„Wie der Klimawandel ist auch die Migration ein globales Problem, das sowohl lokal als auch international angegangen werden muss. Die Regulierung von Bevölkerungsbewegungen ist seit langem eine Falle der internationalen Zusammenarbeit. Die europäische Asylkrise von 2015 hat gezeigt, dass selbst in hochgradig integrierten und kooperativen Kontexten wie der EU Unvorbereitetheit, politische Verwirrung und Fehlinformation zu unzureichenden und menschlich kostspieligen politischen Reaktionen führen. Auf globaler Ebene, von der Konvention von 1990 über die Rechte der Wanderarbeitnehmer bis hin zu den derzeit diskutierten ‚Global Compacts‘, blieben die Versuche, die Politik zu koordinieren und die Global Governance zu fördern, hinter innovativen und wirkungsvollen Lösungen zurück.

Der jüngste Zustrom syrischer Asylbewerber in Europa zwang die Staats- und Regierungschefs der EU und die Bürger zu einem größeren Bewusstsein für die globale Flüchtlingskrise, die sich vor allem im Süden der Welt ausbreitet. Dieser besondere Zustrom von Flüchtlingen findet seinen Niederschlag in einer breiteren Diskussion über Einwanderung, Integration und Vielfalt in den europäischen Gesellschaften, die durch die Wirtschaftskrise von 2008 erschüttert wurde. Die gegenwärtige europäische Krise besteht in der Verwirrung von kurz- und langfristigen politischen Fragen, von Asyl- und Migrationsregulierung, von Debatten über Rechte, Politik und Wirtschaft, die nicht nur auf nationaler Ebene angegangen werden können.

Außerhalb Europas erfordert die Entstehung oder Verfestigung politischer Krisen im Zusammenhang mit Migrations- und Asylfragen eine dringende Reaktion aller Beteiligten. Wissenschaftler, zivilgesellschaftliche Organisationen, Aktivisten, besorgte Bürger und politische Entscheidungsträger müssen ihre Kräfte bündeln, um ein besseres Verständnis der erzwungenen und freiwilligen Migration und ihrer Determinanten und Folgen für die Aufnahmegesellschaften und Herkunftsländer zu erreichen. Damit schaffen wir die Grundlage für evidenzbasierte Politikgestaltung und fundierte Praktiken jenseits ideologischer Konstruktionen und Diskurse, die die Debatten in den Medien und in der Politik heute verschleiern.

Diese Forderung nach einem Umdenken ist dringend geworden.

– Die Migrations- und Asylpolitik in Europa und Nordamerika sowie in anderen Ländern (Kenia, Saudi-Arabien usw.) hat zu beispiellosen Angriffen auf die individuellen Menschenrechte der mobilen Bevölkerung und auf das Asylrecht geführt.

– Seit den 1990er Jahren sind Versuche der UNO oder regionaler Organisationen wie der EU, Migration und Asyl zu regeln, gescheitert (die Konvention von 1990, die Dubliner Abkommen in Europa, bis hin zu den globalen Abkommen) und zusammengebrochen, als sie mit dem Prozess gegen Flüchtlinge (Irak, Syrien, Südsudan, Burma) oder politischen Krisen um die Integration und Vielfalt von Migranten konfrontiert wurden.

Die von den OECD-Ländern im letzten Jahrzehnt beschlossenen politischen Optionen – Mauerbau, Externalisierung der Kontrolle zu hohen politischen und finanziellen Kosten – werden weder die Menschen daran hindern, ihr Land zu verlassen, noch werden sie langfristig die Determinanten der Migration beeinflussen, wie es die Wissenschaftler oft wiederholen und die jüngsten Erfahrungen zeigen.

Das mangelnde Verständnis für die Auswirkungen der Migration in den Aufnahme- und Aufnahmegesellschaften führt zu dauerhaftem Missmanagement. Furchterregende Diskurse durchdringen politische Agenden und ignorieren wissenschaftliche Erkenntnisse. Obwohl es wissenschaftliche Kontroversen über Migration und Asyl gibt, bleiben einige bekannte Fakten ungehört und in der Politik ungenutzt:

– Migration findet meist innerhalb von Regionen und nicht zwischen Kontinenten statt. Migranten befinden sich meist im Süden der Welt, vor allem Flüchtlinge.

– 246 Millionen Migranten stellen nur 3,4% der Weltbevölkerung dar, weit weniger als im 19. Jahrhundert.

– Visabeschränkungen erhöhen die Ansiedlung von Einwanderern, die sich bereits in einem Gastland aufhalten: Wanderarbeitnehmer bleiben, anstatt sich zwischen den Ländern hin- und herzubewegen. Das Fehlen von Visamöglichkeiten für Asylbewerber in den Herkunfts- und Transitländern erhöht auch die Kriminalität und den Schmuggel.

– Die Schließung der Grenzen schränkt nicht nur die Mobilität ein, sondern auch den Austausch und Transfer von Geldern, Know-how und Ideen über die Grenzen hinweg.

– Der rasche Zugang zu Wohnraum, Bildung sowie zum formalen Arbeitsmarkt erhöht die Qualität der Eingliederung von Migranten und Asylbewerbern in die Aufnahmegesellschaften, wodurch Ungleichheiten und Entrechtungen weiter verringert werden.

– Die Auswirkungen der Migration auf die Bevölkerungsentwicklung sind von kurzer Dauer, da das Fruchtbarkeitsverhalten die demographischen Muster in den Aufnahmeländern rasch aufholt.

– Die Finanzierung der Entwicklung kann die Auswanderung in die armen Länder erhöhen, was die Beziehungen zwischen Migration und Entwicklung wesentlich komplexer macht als die derzeitigen Politiken, die als Handlungsgrundlage dienen. Die Auswirkungen von Zuwanderungsströmen auf die Arbeitsmarktergebnisse und das nationale Wachstum sind insgesamt neutral oder positiv, je nach wirtschaftlichen Bedingungen und Dynamik, auf die Mobilität der Arbeitnehmer und die Arbeitsmarktregelungen.

Um die Auswirkungen der Einwanderung zu verstehen, sind Analysen, die sowohl kontextspezifisch als auch mit der globalen Dynamik verbunden sind, entscheidend, um die Auswirkungen der Migration zu bestimmen. In letzter Zeit wurden Bedenken hinsichtlich der mangelnden oder unzuverlässigen Qualität der Migrationsdaten geäußert. Über die Daten hinaus argumentieren wir, dass Robustheit und Klarheit in den analytischen Prämissen der Politikgestaltung der Schlüssel zu einer soliden und effizienten Regulierung der Bevölkerungsbewegung ist. One-size-fits-all und ideologiebasierte Richtlinien funktionieren nicht.

Wir fordern daher ein Ende der kurzfristigen und unzureichenden politischen Lösungen, die uns zu politischen und humanitären Krisen geführt haben. Wir fordern einen radikalen Paradigmenwechsel im Umgang mit Migration und Asyl auf der Grundlage eines rationalen, realistischen, wissenschaftlich fundierten und humanistischen Ansatzes. Wir fordern daher eine Dringlichkeitssitzung von Wissenschaftlern und Experten zur Information der Politik und die Einsetzung eines Internationalen Gremiums für Migration und Asyl.

Virginie Guiraudon CNRS Director of Research, Sciences Po, Paris, Andrew Geddes Director, Migration Policy Centre, European University Institute, Italien, Steven Vertovec Director, Max-Planck-Institut, Deutschland, Jean Jouzel Gründungsmitglied des Intergovernmental Panel on Climate Change, Thomas Piketty Co-director, World Inequality Database, Paris und mehr als 500 andere. Die vollständige Liste der Unterzeichner: iepam.eu/posts/list-of-signatures

– Manchmal werde ich gefragt, warum ich so eine teure Zeitung kaufe. Erklärungen kommen leicht, besonders in letzter Zeit. The Guardian gab uns liebevoll gearbeitete Profile mit Bildern von allen Grenfell-Opfern. Amelia Gentleman machte uns auf die grausame Behandlung vieler Windrush-Bürger durch das Innenministerium aufmerksam. Und letzte Woche am Weltflüchtlingstag, diese furchtbar traurigen und doch erstaunlichen Liste von 34.361 Menschen, die bei dem Versuch, Europa zu erreichen, starben. Danke, Guardian!

Thelma Percy

Bognor Regis, West Sussex“

(afp/ks)



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