Präsidialsystem in der Türkei: Neinsager werden als „Terroristen“ und „Verräter“ gebrandmarkt

Mit der Unterzeichnung der umstrittenen Verfassungsänderung durch Präsident Recep Tayyip Erdogan am Freitag geht die Kampagne für die Einführung des Präsidialsystems in der Türkei in die heiße Phase. Das Regierungslager scheint dabei entschlossen, alle Gegner der kontroversen Reform als "Terroristen" und "Verräter" zu brandmarken.
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Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan.Foto: ADEM ALTAN/AFP/Getty Images
Epoch Times11. Februar 2017

Nicht alle Neinsager seien „Terroristen“, ließ sich der türkische Justizminister Bekir Bozdag vor kurzem vernehmen – doch die Türken sollten wissen, dass alle „Terroristen“ für das Nein seien.

Mit der Unterzeichnung der umstrittenen Verfassungsänderung durch Präsident Recep Tayyip Erdogan am Freitag geht die Kampagne für die Einführung des Präsidialsystems in der Türkei in die heiße Phase. Das Regierungslager scheint dabei entschlossen, alle Gegner der kontroversen Reform als „Terroristen“ und „Verräter“ zu brandmarken.

Ministerpräsident Binali Yildirim warf der oppositionellen Republikanischen Volkspartei (CHP) diese Woche vor, sie würde sich mit ihrer Ablehnung der Reform bei den „Terroristen“ der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) und der Bewegung des islamischen Predigers Fethullah Gülen einreihen. „Sie sind Terroristen, und natürlich sagen wir Ja wozu sie Nein sagen“, sagte Yildirim.

Erdogan rief seinerseits die Türken auf, sich mit dem Präsidialsystem gegen „jene in Kandil“ zu stellen, die „unsere Flagge ablehnen“. Die Kandil-Berge sind das Hauptquartier der PKK-Guerilla. Die Brandmarkung aller Gegner der Reform als PKK-Anhänger stieß bei der CHP auf scharfe Kritik.

Die Opposition hat große Sorge, dass die Referendumskampagne nicht fair verläuft. Ein neues Notstandsdekret bestärkt diese Zweifel weiter. Denn mit der Verordnung des Präsidenten wird der Wahlbehörde YSK die Aufsicht über private Fernsehsender während der Kampagne entzogen. Wenn sie nun den Ja- und Nein-Lagern nicht den gleichen Sendeplatz einräumen, kann die Wahlbehörde nichts dagegen tun.

Die neue Regelung werde allein der Ja-Seite nutzen, kritisierte der CHP-Vorsitzende Kemal Kilicdaroglu. Offenbar fürchte die Regierung „den freien Willen des Volkes“. Der Kolumnist Murat Yetkin schrieb in der „Hürriyet Daily News“, zwar werde es nicht verboten sein, Nein zu stimmen. Doch werde es das Nein-Lager schwer haben, sich Gehör zu verschaffen. Es sei zu erwarten, dass Erdogan und Yildirim allen Platz im Fernsehen einnehmen.

Außerhalb der CHP kommt die schärfste Kritik am Präsidialsystem aus der prokurdischen Demokratischen Partei der Völker (HDP). Ihre beiden Vorsitzenden sowie weitere Abgeordnete sitzen jedoch seit Anfang November unter dem Vorwurf der Unterstützung der PKK in Haft. Zudem wurden tausende Mitglieder in den vergangenen Monaten wegen angeblicher PKK-Verbindungen festgenommen.

Der Linken-Vorsitzende Bernd Riexinger sagte bei einem Solidaritätsbesuch bei der HDP in Istanbul, offenkundig wolle die Regierung vor dem Referendum eine funktionierende Opposition ausschalten. Die HDP-Abgeordnete Filiz Kerestecioglu warnte, die Bedingungen für ein faires Referendum seien im Südosten des Landes noch weniger gegeben als im Rest des Landes.

Mit der Reform soll die Macht des türkischen Präsidenten, der bisher eine vorwiegend repräsentative Funktion hatte, deutlich ausgeweitet werden; das Amt des Ministerpräsidenten soll abgeschafft werden. Angesetzt ist die Volksabstimmung über die aus 18 Artikeln bestehende Verfassungsänderung für den 16. April.

Während Erdogans AKP die Reform für notwendig hält, um die Stabilität der Türkei zu garantieren, sieht die Opposition darin die Festschreibung einer autoritären Ein-Mann-Herrschaft. Ganz leicht fällt es ihr aber bisher nicht, ihre Botschaft auf den Punkt zu bringen und einen prägnanten Slogan zu formulieren.

Das macht der Staatschef anders: „Tek millet, tek bayrak, tek vatan, tek devlet“, ruft Erdogan bei jeder Kundgebung – eine Nation, eine Fahne, ein Vaterland, ein Staat – und hält dabei vier Finger in einer Geste hoch, die inzwischen zu seinen Markenzeichen zählt. Seit kurzem prangt der Slogan auf Plakaten in den Istanbuler Metros und Bussen, daneben ein Foto Erdogans, den Blick in die Ferne gerichtet, hinter ihm eine wehende türkische Fahne. Die Botschaft soll wohl lauten: Wer für die Türkei ist, ist für Erdogan. (afp)



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