Russischer Stalin-Forscher zu Haftstrafe verurteilt – Kritiker sehen darin Ablenkungsversuch der Behörden

Ein russisches Gericht hat den russischen Historiker Juri Dmitrijew wegen "sexueller Gewalt" an seiner Adoptivtochter für schuldig befunden und verurteilt. Menschenrechtsaktivisten sehen den Prozess gegen Dimitrijew als einen Versuch der russischen Behörden, den Gulag-Forscher, der die Aufmerksamkeit auf eines der dunkelsten Kapitel der Geschichte des Landes gelenkt hatte, mundtot zu machen.
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Der Menschenrechtler und Historiker aus Russland Juri Dmitrijew spricht zu Journalisten vor einem Gerichtsraum.Foto: Vladimir Larionov/AP/dpa/dpa
Epoch Times22. Juli 2020

Der für seine Forschungen zu den Verbrechen während der Stalin-Zeit bekannte russische Historiker Juri Dmitrijew ist am Mittwoch in einem umstrittenen Prozess wegen sexuellen Missbrauchs zu dreieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt worden. Das Gericht habe seinen Mandanten wegen „sexueller Gewalt“ an seiner Adoptivtochter für schuldig befunden, sagte Dmitrijews Anwalt Viktor Anufrijew in der Stadt Petrosawodsk. Die Staatsanwaltschaft hatte 15 Jahre Haft für den 64-jährigen Chef der Menschenrechtsorganisation Memorial in der Teilrepublik Karelien gefordert.

Dmitrijew habe „sehr positiv auf dieses Urteil reagiert“, sagte Anufrijew. Der Anwalt stellte eine mögliche Freilassung im November in Aussicht, nachdem sein Mandant bereits mehrere Jahre in Untersuchungshaft verbracht hat.

Menschenrechtsaktivisten sehen den Prozess gegen Dimitrijew als einen Versuch der russischen Behörden, den Gulag-Forscher, der die Aufmerksamkeit auf eines der dunkelsten Kapitel der Geschichte des Landes gelenkt hatte, mundtot zu machen.

Dmitrijew war 2016 festgenommen worden. Ermittler hatten in der Wohnung des Historikers Nacktbilder seiner Tochter gefunden. Im April 2018 wurde er in einem ersten Prozess vom Vorwurf der Kinderpornografie freigesprochen. Nach Angaben seines Anwalts hatte Dmitrijew seine behinderte Adoptivtochter nackt fotografiert, um über die Jahre ihre Wachstumsentwicklung zu dokumentieren.

Zwei Monate später hob ein Berufungsgericht den Freispruch jedoch wieder auf und ordnete einen neuen Prozess an, diesmal wegen sexueller Gewalt. Die Ermittler beschuldigten Dmitrijew nun, seine minderjährige Adoptivtochter sexuell missbraucht zu haben. Dmitrijew, der die Vorwürfe entschieden zurückweist, wurde erneut festgenommen und sitzt seitdem in Untersuchungshaft.

Die Nichtregierungsorganisation Memorial widmet sich unter anderem der historischen Aufarbeitung der Repression in der Sowjetzeit. Dmitrijew hat in fast 30-jähriger Arbeit unter anderem eine Liste mit den Namen von 40.000 Menschen erstellt, die in Karelien an der Grenze zu Finnland unter Diktator Josef Stalin ermordet oder dorthin deportiert wurden. Die Untersuchungen des Gulag-Forschers führten auch zur Entdeckung eines Massengrabes mit den Überresten von rund 9.000 Menschen, die zur Sowjetzeit erschossen worden waren.

„Es steht außer Zweifel, dass Juri Dmitrijew unschuldig ist“, erklärte Memorial vor der Urteilsverkündung. Ihrer Einschätzung nach wird der Historiker dafür bestraft, dass die „Wahrheit über die Vergangenheit“ nicht mit der offiziellen Darstellung der russischen Regierung übereinstimmt. Menschenrechtsorganisationen werfen dem russischen Präsidenten Wladimir Putin vor, die Verbrechen der Stalin-Ära weitgehend unter den Teppich kehren zu wollen. (afp)



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