Türkei: Weitere fünf Deutsche wegen „Terrorverdachts“ in Haft – Seehofer bestreitet Datenweitergabe

Nach den jüngst bekannt gewordenen Verhaftungen angeblicher PKK-Sympathisanten aus Deutschland in der Türkei hat sich die Zahl dort wegen des Verdachts auf Staatsschutzdelikte inhaftierter Deutscher auf mehr als 60 erhöht. Im Kurdenkonflikt droht nun eine weitere Eskalation.
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Am 29. Mai 2019 verhafteten Polizisten erneut den ehemaligen türkischen Journalisten Kadri Gursel (L) in Istanbul.Foto: IBRAHIM MASE/AFP/Getty Images
Von 6. Oktober 2019

Die jüngst bekannt gewordene Verhaftung von fünf deutschen Staatsangehörigen in der Türkei hat für Spekulationen am Rande des Ankara-Besuchs von Bundesinnenminister Horst Seehofer gesorgt. Wie viele Medien berichten befinden sich seit den vergangenen Tagen fünf Deutsche in türkischer Haft. Sie wurden wegen des Verdachts möglicher Verbindungen zur terroristischen Kurdenorganisation PKK festgenommen.

Auf Anfrage teilte ein Sprecher des Bundesinnenministeriums mit, es gebe keinen Zusammenhang zwischen Seehofers Besuch und den Verhaftungen. Insbesondere habe der Minister keine Information mit im Reisegepäck geführt, die er türkischen Kollegen im Zusammenhang mit den Verhafteten übergeben hätte.

„Dann werden sie bei der Einreise abgefangen und yala – ab geht’s mit ihnen“

Es seien keinerlei Informationen ausgetauscht worden, die zur Festnahme der fünf Deutschen in der Türkei geführt hätten. Demgegenüber sei sogar eine Liste mit den Daten von Personen übergeben worden, die aus Sicht der Bundesregierung „ohne ausreichende Rechtfertigung“ in Haft säßen.

Das Auswärtige Amt erklärte am Samstag (5.10.), das Ministerium sei auch mit den aktuell bekannt gewordenen Fällen vertraut und die deutsche Botschaft in Ankara würde die Betroffenen diplomatisch betreuen.

Der „Zeit“ zufolge befänden sich derzeit mehr als 60 deutsche Staatsbürger in türkischer Haft infolge von Vorwürfen, die in die politische Sphäre reichen – etwa Präsidentenbeleidigung oder Unterstützung des Terrorismus. Dabei handelt es sich nach Angaben des Auswärtigen Amtes „insbesondere, aber nicht ausschließlich deutsche Staatsangehörige mit engen und persönlichen Bindungen in die Türkei sowie Personen, die neben der deutschen auch die türkische Staatsangehörigkeit besitzen“.

Die türkische Regierung macht auch keinen Hehl daraus, dass Personen, die sich gegenüber der türkischen Nation oder Präsident Recep Tayyip Erdoğan von wo aus auch immer abträglich äußern, im Auge behalten werden und im Fall ihrer Einreise in die Türkei Konsequenzen zu befürchten hätten.

So berichtete die „Tagesschau“ von einem Wahlkampfauftritt des amtierenden Innenministers Süleyman Soylu, der im März erklärte:

Es gibt Leute, die in Europa oder in Deutschland an Kundgebungen einer Terrororganisation teilnehmen und dann nach Antalya, Bodrum und Muğla kommen, um Urlaub zu machen. Für die haben wir jetzt Maßnahmen ergriffen. Die sollen ruhig kommen, dann werden sie bei der Einreise abgefangen und yala – ab geht’s mit ihnen.“

Per Mausklick gegen die „Vaterlandsverräter“

Auch der bereits in der Ära des Staatsgründers Mustafa Kemal Atatürk weit und scharf gefasste Paragraf über die Beleidigung des Staatspräsidenten gilt nach türkischem Gesetz auch für Tathandlungen im Ausland. Neben dem Präsidenten werden in den Paragrafen 299 und 301 des türkischen Strafgesetzbuches auch andere Staatsorgane und die türkische Nation strafrechtlich geschützt.

Dass den türkischen Staatsorganen keine Tathandlungen in diesem Sinne verborgen bleiben, dafür sorgt nicht zuletzt ein weit hinein in türkische Einwanderercommunitys in Europa reichendes Netz an Informanten. Ob in Vereinen, Moscheen, auf Facebook oder in sonstigen Einrichtungen mit Publikumsverkehr: Überall finden sich Türken oder deutsche Staatsangehörige mit türkischem Migrationshintergrund, die es für ihre patriotische Pflicht halten, gegen Erdoğan und dessen Regierung gerichtete Bestrebungen zu dokumentieren und zu melden.

Die Zentralbehörde der türkischen Polizei hat, um ihnen die Arbeit zu erleichtern, sogar eine eigene App geschaffen, „EGM-Mobile“, die bereits mehr als 100 000 Mal heruntergeladen wurde und von den Nutzern reihenweise Fünf-Sterne-Bewertungen einfährt. Die App enthält Informationen über die Arbeit der türkischen Polizei, aber auch den Button „7/24 Online Ihbar“, mittels dessen auch Verstöße gegen die Staatsschutzparagrafen des türkischen Strafgesetzes rund um die Uhr gemeldet werden können.

Die Nutzer der App freuen sich unter anderem darüber, auf diesem Wege noch schneller und unkomplizierter „Vatan Hainler“ („Vaterlandsverräter“) melden zu können, damit diese später zur Rechenschaft gezogen würden.

„Hexenjagd“ auf Gülen-Anhänger

Im Laufe der 2010er Jahre fallen zunehmend mehr Menschen unter diesen Begriff. Im Visier der türkischen Sicherheitsbehörden und Geheimdienste stehen vor allem Kurdenaktivisten, denen sehr schnell Verbindungen zur PKK nachgesagt werden, und Angehörige des „Hizmet“-Freiwilligennetzwerkes, das sich aus einer religiösen Motivation in Bereichen wie Bildung, Medien oder Rechtspflege engagiert und dessen geistiges Vorbild der in den USA lebende Prediger Fethullah Gülen ist.

Die Vorladung des mächtigen Geheimdienstchefs Hakan Fidan wegen Gesprächen mit der PKK 2012 und Korruptionsermittlungen bis hinein ins Regierungsumfeld Ende des Jahres 2013 durch die Staatsanwaltschaft, in der die Gülen-Anhänger damals stark vertreten waren, führte zum Bruch zwischen Erdoğan und der Bewegung. Fortan wurde das Netzwerk verfolgt, zehntausende Beamte wurden entlassen, Zeitungen und Unternehmen konfisziert, gegen den deutschen Sprecher des Netzwerks, Ercan Karakoyun, wurde bereits 2015 ein unbefristetes Einreiseverbot in die Türkei verhängt.

Seit dem gescheiterten Putschversuch einer Gruppe von Militärs im Juli 2016 hat Ankara sein Vorgehen gegen die Gülen-Gemeinde weltweit ausgeweitet. Obwohl seit 2014 umfangreiche „Säuberungen“ gegen das Netzwerk im Staatsapparat stattgefunden hatten, sollen die Hizmet-Anhänger ausgerechnet im Militär noch stark genug gewesen sein, um einen solchen Putschversuch organisieren zu können.

Seit dieser Zeit ist es nicht nur zur Verhängung von Einreiseverboten oder Verhaftungen mutmaßlicher Anhänger bei ihrer Einreise in die Türkei gekommen, in mehreren Ländern auf dem Balkan und in Zentralasien soll der türkische Geheimdienst sogar proaktiv mutmaßliche Gülen-Anhänger entführt und in die Türkei verschleppt haben. Die in Berlin ansässige „Stiftung Dialog und Bildung“, die als deutsches Sprachrohr des Netzwerks gilt, spricht von einer „Hexenjagd“.

Syrien-Pläne erhöhen Risiko weiterer Eskalation

Unterdessen droht mit Blick auf die Syrien-Politik der Regierung Erdoğan eine weitere Eskalation im Kurdenkonflikt. Nachdem die türkische Armee und Ankara-loyale syrische Rebellengruppen bereits Anfang des Jahres die mehrheitlich von Kurden bewohnte Region Afrin erobert hatten, will Erdoğan nun auch im Nordosten Syriens einmarschieren.

Erdoğan will auf diese Weise nach eigener Darstellung die Kontrolle der kurdischen YPG-Miliz über die Territorien beenden, die nach türkischen Erkenntnissen ungeachtet entgegenlautender Statements von der PKK gesteuert wird. Die Präsenz der YPG entlang der türkisch-syrischen Grenze erhöhe die Terrorgefahr in der Türkei.

Außerdem plant Erdoğan in den betroffenen Gebieten die Ansiedlung syrischer Binnenflüchtlinge, deren Weiterreise in die Türkei selbst oder nach Europa so verhindert werden soll. Allerdings stößt dieses Ansinnen vor allem auf Widerstand bei den Kurden. Diese befürchten, auf diese Weise in den betroffenen Regionen zur Minderheit zu werden oder gar ethnischen Säuberungen anheimzufallen.

Während die Türkei die Einnahme Afrins als „Befreiung vom Terrorismus“ lobt, berichten Angehörige der kurdischen Bevölkerungsgruppe von Schikanen, Korruption, Plünderungen und sogar wechselseitigen bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen den oft radikal-islamischen Milizen, die mit der Türkei verbündet sind und nun die Geschicke in der Stadt bestimmen.



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