Ukraine: NGOs beklagen gescheiterte Reformen in der Exekutive

Mehr als vier Jahre nach dem Umsturz von Maidan in Kiew sprechen Anti-Korruptionsverbände von unzureichenden Anstrengungen, um den Exekutivapparat des Landes von Vetternwirtschaft und Bestechung zu befreien. Ob die NGOs jedoch die Sache wesentlich besser machen würden, bleibt offen.
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Flagge der UkraineFoto: über dts Nachrichtenagentur
Von 24. September 2018

In einem ausführlichen Beitrag für die „Kyiv Post“ klagt Oleg Sukhow darüber, dass die bisherigen Bemühungen der Ukraine, eine Reform der Exekutive durchzuführen, mehrheitlich im Sande verlaufen seien. Mehr als vier Jahre nach dem Umsturz vom Maidan seien immer noch alle früheren Spitzenbeamten auf freiem Fuß. Die „Kleptokratie der Janukowytsch-Ära“ sei immer noch nicht aufgebrochen.

Mit Ausnahme der neu geschaffenen Nationalen Anti-Korruptionsbehörde der Ukraine (NABU) seien alle Reformvorhaben auf Exekutivebene gescheitert. Verantwortlich dafür macht Sukhow – wenig überraschend für den Post-Maidan-Narrativ, der im Land Platz gegriffen hat – den „russischen Krieg gegen die Ukraine“. Dieser habe die „Kräfte der Zivilgesellschaft“ gebunden und auf diese Weise daran gehindert, das korrupte System des Gesetzesvollzug im Land zu reinigen. Zudem sei diese zu wenig in die Umsetzung der Anti-Korruptionsvorhaben eingebunden gewesen.

„Korrupte Einrichtungen säubern sich nicht selbst”, erklärt Witali Schabunin, der Vorstandschef des Aktionszentrums gegen die Korruption. „Staatsbeamte sollten nicht mitwirken dürfen in der Kommission zur Rekrutierung neuen Personals“.

Die Errichtung der NABU sei als einziges Reformvorhaben verhältnismäßig erfolgreich gewesen – auch wenn die übrigen Einrichtungen Mittel und Wege gefunden hätte, um ihre Arbeit zu unterminieren.

Sonderstaatsanwaltschaft soll NABU ausbremsen

Die Kommission zur Besetzung der Leitung hatten bei der NABU 2014 das Kabinett, der Präsident und die Werchowna Rada ausgewählt. Beamte im aktiven Staatsdienst durften der Kommission nicht angehören, den Ton gaben, wie Sukhow es formuliert, unabhängige Vertreter der Zivilgesellschaft an. Der Generaldirektor für das Anti-Betrugs-Büro der EU, Giovanni Kessler, sei als ausländisches Mitglied vertreten gewesen.

Das Auswahlverfahren für die Kommissionsmitglieder sei im Fall der NABU das möglicherweise einzig faire gewesen, meint Schabunin. Das Resultat sei gewesen, dass die NABU nicht gezögert hätte, Untersuchungen gegen namhafte amtierende und frühere Beamte einzuleiten.

Allerdings seien die Bemühungen der NABU dort auf Grenzen gestoßen, wo es um die Arbeit der Sonderstaatsanwaltschaft für Korruptionsbekämpfung (SAPO) gehe. Von deren Mithilfe sei die NABU aber abhängig, da nur die SAPO Untersuchungen einleiten und Haft- oder Durchsuchungsbefehle beantragen kann.

Diese jedoch sei Teil des Problems, schreibt die „Kyiv Post“, und dies liege an der Art der Bestellung ihrer Mitglieder. Im Jahr 2015 erfolgte diese zu einem wesentlichen Teil durch die Werchowna Rada, also das Parlament, eine Minderheit der Mitglieder wurde vom Rat der öffentlichen Ankläger entsandt. Die meisten Mitglieder seien immerhin keine Staatsbeamten gewesen und mit US-Staatsanwältin Mary Butler sei ebenfalls eine ausländische Expertin mit von der Partie gewesen. 

Dass sich anfänglich jedoch nur Staatsanwälte für die Posten bewerben konnten und erst später die Kommission auch für Außenstehende geöffnet wurde, habe dazu geführt, dass zu Beginn fast alle Anti-Korruptions-Staatsanwälte bereits vor 2014 dem Apparat angehört hätten.

Bemerkbar gemacht habe sich dies beispielsweise anhand eines Tonbandmitschnitts, aus dem hervorgeht, dass der Leiter der SAPO, Nasar Kholodnytski, Kollegen unter Druck gesetzt hatte, Fälle zu verschleppen, Zeugen zu beeinflussen oder Verdächtige vorzuwarnen. Kholodnytski betonte, die Aufnahmen seien aus dem Zusammenhang gerissen. Auch seien die Veruntreuungsverfahren gegen Oleksandr Awakow, den Sohn des Innenministers, und gegen dessen früheren Stellvertreter Serhij Chebotar trotz einer Reihe belastender Indizien niedergeschlagen worden.

NACP hat noch keine Vermögenserklärung beanstandet

Auch die Bildung der Nationalen Behörde für Korruptionsprävention (NAPC) habe nicht wie erhofft funktioniert. Diese soll die Vermögensangaben von staatlichen Amtsträgern prüfen. Die Hälfte der Kommissionsmitglieder wurde 2015 von Kabinett, Parlament und Präsident bestimmt, der Rest wieder von der sogenannten Zivilgesellschaft. Dabei seien jedoch auch wenig bekannte Gruppen dazu ermächtigt worden, Kandidaten zu stellen, was unter anderem Transparency International in Rage versetzt hat und Schabunin zu der Äußerung veranlasst, die Führung der NAPC sei von einer politisch abhängigen Kommission bestimmt worden und könne dadurch nicht aus ehrlichen Vertretern bestehen.

Ausgeschiedene Mitglieder werfen der NAPC selbst Korruption und Steuerung durch den Präsidenten vor, die Kommissionsmitglieder bestreiten dies. Allerdings ist bis dato tatsächlich noch kein Fall bekannt, in dem eine Vermögensdeklaration durch die NACP beanstandet worden wäre.

Bei der Generalstaatsanwaltschaft sei eine grundlegende Reform 2015 wiederum daran gescheitert, dass wiederum die Behörde selbst zusammen mit Delegierten der Werchowna Rada die Kommission bestimmte, deren Mitglieder künftig lokale Staatsanwälte ernennen sollen. Der damalige Generalstaatsanwalt Wiktor Schokin selbst konnte in allen drei Fällen der Wahl einer lokalen Behördenleitung aus Dreiervorschlägen wählen – mit der Folge, dass 87 Prozent der Ausgewählten bereits zuvor im Amt oder als Stellvertreter tätig waren.

Die Polizeireform bewertet Schabunin ambivalent. Da Vereinigungen außerhalb der staatlichen Bürokratie den Ton angaben, sei die Bildung der Patrouillenpolizei 2015, welche die „sowjetisch anmutende, korrupte Verkehrspolizei“ ersetzen sollte, ein verhältnismäßiger Erfolg gewesen.

Anders sehe das bei der Umstrukturierung der Polizei insgesamt im Jahr 2016 aus, die vor allem Vertretern des Innenministeriums selbst oblag. Sogenannte zivilgesellschaftliche Organisationen seien erst als Minderheit in einigen Kommissionen vertreten gewesen, hätten sich jedoch später zurückgezogen. An deren Stelle seien polizeinahe NGOs getreten. Damit, so meint die Journalistin Olga Khudetska, die selbst phasenweise in einer der Kommissionen mitgearbeitet hatte, hätte Awakow vom Mai 2016 selbst die Federführung bei der Polizeireform innegehabt.

Wegen Raubes Vorbestrafter sitzt in FBI-Kommission

Dass lediglich sechs Prozent der Polizeibeamten, immerhin 5656 Amtsträger, im Zuge der Überprüfungskampagne entlassen worden wären, sieht Antikorruptionskämpfer Schabunin als Misserfolg. Dies gelte umso mehr, als zahlreiche von ihnen später durch Gerichte wiedereingesetzt worden wären.

Die derzeit im Gang befindliche Einrichtung des ukrainischen FBI, das künftig alle Agenden der Generalstaatsanwaltschaft übernehmen soll, und die 2017 begonnene Justizreform ist nach Auffassung der Kritiker ebenfalls von einem zu großen Einfluss staatlicher Amtsträger überschattet.

Im Fall des FBI, dessen Führung eine von Parlament, Präsident und Regierung beschickte Kommission bestimmen wird, haben die Verantwortliche unter anderem den Volksfront-Abgeordneten Jewhen Deidei in das Gremium entsandt, der 2012 als „Kunde“ Erfahrung mit dem Rechtsvollzug gesammelt hatte – er war damals wegen Banditentums, bewaffneten Angriffs und Raubes zu einer Bewährungsstrafe von fünf Jahren verurteilt worden.

Oleksandr Lemenow, ein Experte einer NGO, die sich mit dem Reformprozess befasst, erklärte, der Auswahlprozess sei zugunsten von Regierungsgünstlingen verfälscht worden. Der designierte FBI-Chef Roman Truba habe im September zwar eingeräumt, dass es Unregelmäßigkeiten gegeben habe und 27 Kandidaten vorgeschlagene Kandidaten abgelehnt hätten – auch, weil diese bereits krimineller Handlungen beschuldigt worden waren. Allerdings, so Lemenow, habe er andere belastete Kandidaten unbeanstandet gelassen.

Zuletzt hat der Rat für öffentliche Integrität, das selbsternannte zivilgesellschaftliche Überwachungsorgan für die Justiz, moniert, die Wahl der Richter zum neuen Obersten Gerichtshof der Ukraine durch die Hohe Qualifikationskommission im Jahr 2017 sei geschoben worden. Auch hier seien nur regierungsloyale Kandidaten zum Zug gekommen. Die Kommission streitet die Anschuldigungen ab.

Auswahlgremium setzt sich über Veto hinweg

Es habe während des Auswahlverfahrens 210 Punkte gegeben, die die Kommission für die Ergebnisse bei anonymen Wissens- und Praxistests vergeben hätte. Die übrigen 790 von 1000 möglichen Punkten habe die Kommission hingegen nach freien Kriterien vergeben können. Um objektiv auswählen zu können, so der Rat für öffentliche Integrität, hätten die anonymen Tests mit 750 Punkten zum Gesamtergebnis beitragen müssen.

Der Rat habe ein Vetorecht im Bestellungsprozess gehabt und in 30 von 120 Fällen von Richtern, die vonseiten der Kommission bestätigt worden waren, davon Gebrauch gemacht, weil Standards für Integrität und Berufsethik nicht erfüllt worden wären. Der Rat habe diese Vetos jedoch allesamt überstimmt.

Nur noch ein ausländisches Beratungsorgan, der Öffentliche Internationale Expertenrat, könnte nun restliche Einsprüche einlegen. Aber auch das sei nicht mehr relevant, meint Witali Tytych vom Rat für öffentliche Integrität. Selbst wenn ein Veto von dort halten würde, wären die möglichen Ersatzkandidaten auch Regierungsloyalisten.

Die Anschuldigungen der Anti-Korruptions-Aktivisten bestätigen den Eindruck einer Reihe von in- und ausländischen Institutionen, die übereinstimmend zu der Auffassung gelangt sind, dass die Korruption in der Ukraine ungeachtet großer Hoffnungen aus der Ära des Maidan immer noch ein tiefgreifendes Problem darstellt. Bereits in der prowestlichen Ära nach der Orangenen Revolution von 2004 war die Situation jedoch ähnlich.

Welche Legitimation haben NGOs?

Die Rufe der Anti-Korruptions-NGOs nach mehr „zivilgesellschaftlicher Macht“ bei der Reform staatlicher Behörden mögen beim ersten Hinhören verlockend klingen. Es stellt sich dennoch die Frage, ob auch NGOs, deren „Unabhängigkeit“ sich ausschließlich auf die Politik, nicht aber auf andere Interessensträger bezieht, und die sehr schnell mit Korruptionsanschuldigungen und Infragestellung anderer NGOs bei der Hand sind, tatsächlich nur uneigennützig agieren.

Vielmehr sind Präsident, Parlament und Regierung im Unterschied zu den NGOs durch Wahlen legitimiert – und wenn die Bevölkerung untaugliche Personen in diese Ämter entsendet, muss sie eben die Konsequenzen dafür tragen. Eine andere Option wäre ja, eine direktdemokratische Teilhabe bei der Wahl von Staatsanwälten, Richtern oder Polizeichefs zu schaffen, wie dies oftmals in den USA der Fall ist. Es mag interessant erscheinen, dass aus den Reihen der NGOs eine solche Option noch nicht ins Spiel gebracht worden ist.



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