Umstrittene Robbenjagd

Die einen bezeichnen es als die brutalste Massenabschlachtung, die anderen als normale Jagd.
Titelbild
Das Bild der grossäugigen Babyrobbe in Gefahr löste vor Jahren einen weitgehenden Boykott der Robbenfelle aus und ein Einfuhrverbot von Babyrobben in der EU.Foto: Copyright (c) IFAW/Stewart Cook
Von 23. März 2005

Eine absolute Wahrheit ist nicht herauszufinden. Jagd ist nun mal das Töten von Tieren. Die Tierschützer kritisieren und die Pelzbranche lobt Kanada für seinen Umgang mit der Robbenjagd. „Das finden sie sonst nirgends auf der Welt“ heißt es aus beiden Lagern. Die Robbenjagd wird wohl immer zwischen massiven Fronten stehen.

 

Das Naturschauspiel der Robbengeburten

 

Eines der größten und schönsten Naturschauspiele auf unserem Planeten ereignet sich zurzeit auf den Eisschollen vor der kanadischen Atlantikküste: die Geburt hunderttausender Sattelrobben-Babys. Jedes Jahr zu Beginn des Winters wandert die sonst weiter nördlich lebende, etwa fünf Millionen Tiere umfassende Sattelrobben-Population nach Süden, bis nach Neufundland und in den St. Lorenz-Golf. Im Frühjahr, nach Geburt und Paarung, tritt sie den Rückweg an. „Die alljährliche Wanderung der Sattelrobben ist ein einmaliges Ereignis auf unserer Erde“, kommentiert Dr. Ralf Sonntag, Meeresbiologe vom IFAW (International Fund for Animal Welfare) Deutschland. „Es ist eine Kostbarkeit in der Koexistenz von Mensch und Natur weltweit und hätte es verdient, als eine solche geachtet zu werden – statt die Tiere umzubringen, um Dinge von zweifelhaftem Wert zu gewinnen.“

Zwischen Ende Februar und Mitte März versammeln sich die Weibchen auf dem atlantischen Packeis und bringen ihre Jungen zur Welt – jeweils eines. Zehn bis zwölf Tage säugen sie die weißes Fell tragenden Jungtiere. In den folgenden Tagen verlieren sie das Geburtskleid und ersetzen es durch ein graues – und danach färbt sich das Eis rot. Denn dann erlaubt das Gesetz ihre Tötung.

In diesem Jahr sind 319.500 Tiere freigegeben. Laut IFAW lässt die kanadische Regierung auch die Überschreitung der von ihrer selbst gesetzten Quote zu, so im Jahr 2002, als 312.367 statt 275.00 Tiere getötet wurden.

Die Zahlen und die Quoteneinhaltung werden durch neueste Technologien überwacht. Hubschrauber der kanadische Behörden fliegen tief über dem Packeis, nachdem die Jungen Robben das Licht der Welt erblickten. Die ausgewachsenen Robben fliehen vor dem Lärm ins Wasser. Zurück bleiben, durch ihr schneeweißes Fell im Eis perfekt getarnt, die neugeborenen Robbenbabys. Auf Infrarotfilmen werden die Babys als dunkle Punkte sichtbar und gezählt. Die Quoten werden nach diesen Resultaten festgelegt. Die ganze Jagdsaison werde streng überwacht von der Regierung. Dass auf Muttertiere geschossen werde, hört man aus Kanada, sei eine falsche Anschuldigung, die Jagd werde erst nach den Geburten freigegeben.

Eine Aktion von Greenpeace liess den Robbenfellmarkt in Europa fast versiegen

Greenpeace und andere Umweltorganisationen starteten in den frühen 80-ziger Jahren eine Kampagne gegen die Massenabschlachtung von Roben vor der kanadischen Ostküste. Die Aktivisten hatten jedoch nicht damit gerechtet, dass das Bild der grossäugigen Babyrobbe in Gefahr einen weitgehenden Boykott der Robbenfelle auslöste, der Fellmarkt erlitt fast einen vollständigen Zusammenbruch in Europa. Obschon die traditionelle Jagd in Grönland nicht das primäre Angriffsziel war, traf es sie massiv. Grönlands Wirtschaft leidet noch heute besonders stark an den Folgen, denn der Verkauf von Fellen zählte zu den wenigen Möglichkeiten, auf der Insel Geld zu verdienen. Es wurde kaum unterschieden zwischen den Gräueltaten im Auftrag der internationalen Pelzindustrie in Neufundland und der vergleichsweise moderaten und überschaubaren Jagdwirtschaft in Grönland. Einzig die skandinavischen Länder konnten zwischen den Methoden in Grönland und Neufundland unterscheiden, durch ihr Wissen um die Situation der Robbenjagd in Grönland und Neufundland unterbanden sie den Fellhandel nicht. Nachdem Grönland eine Rechnung bezahlen musste, die ihnen eigentlich gar nicht so bestimmt war, hatte Greenpeace in Grönland nicht gerade den besten Ruf, bis sie sich für «die unvorhersehbaren Konsequenzen der Kampagne» an die Medien entschuldigten. Das änderte trotzdem nichts an der Haltung der Europäer gegenüber den Robbenfellen – der Markt in Europa versiegte.

Ironie der Geschichte

Daraufhin hat 1983 die Deutsche Pelzbranche auf etwas verzichtet, das nie verwendetet worden war. – das Babyrobbenfell – „Die weissen Babyrobbenfelle können und konnten noch nie verwendet werden. Das Babyrobbenfellhaar ist inwendig hohl, es nimmt Wasser auf und ist nicht zur Verwertung geeignet.“ So eine Vertreterin des Deutschen Pelzverbandes. Erst wenn die weissen Babyhaare nach ca. 4 Wochen beginnen auszufallen, bekommt die junge Robbe ihr graues wassertaugliches Fell. Verwendet werden die Felle mit den Ölflecken, wie die schwarze Zeichnung im ausgewachsenen Fell genannt wird. Trotzdem bewirkte die Aktion gegen die Robbenabschlachtung ein bis heute währendes Verbot, Felle von Robbenbabys in die Länder der Europäischen Union einzuführen.

Der einst sichere Süden wird zum Ort des Terrors

Fast drei Millionen Sattelrobben nehmen jedes Jahr eine 3000 Kilometer weite Wanderung auf sich, um in Kanada am Sankt Lorenz-Golf und vor der Küste Neufundlands ihre Babys zu gebären. Die Geburt weit außerhalb der arktischen Lebensräume – ein genialer Trick der Natur, der lange Zeit Sinn machte: Hier im „Süden“ gibt es die größte Gefahr für die Babys, die Eisbären, nämlich nicht mehr. Das ist der Grund für die Zutraulichkeit: Sie lassen alles an sich heran, weil sie hier draußen eigentlich niemanden zu fürchten haben… Von Natur aus nicht. Doch jetzt bedrohen zwei neue Gefahren die weltgrößte Kinderstube.

Einerseits die Klima-Erwärmung: Die Eisbedeckung erreicht jedes Jahr neue Minusrekorde. Wenn die Kleinen vor dem Fellwechsel von brechenden Schollen ins Wasser rutschen, sind sie zum Ertrinken verdammt. Und zweitens erlaubt Kanada jetzt wieder die Robbenjagd, nachdem dank weltweiter Proteste in den vergangenen zwei Jahrzehnten weitgehend Ruhe herrschte.

Es gab keine nennenswerten Abnehmer für das tranig schmeckende Robbenfleisch oder die in den USA und Europa verpönten Felle. Die skurrilen Vermarktungsversuche der Canadian Sealers Association im Internet für Autositzbezüge, Salami und Robbenpizza ändern daran nichts, und dank der Potenzpille Viagra bricht derzeit auch der Markt für Pülverchen aus Robbenpenissen in Ostasien zusammen. Trotzdem wird das blutige Halali auf dem Eis großenteils durch staatliche Zuschüsse finanziert. Die Behörden zahlen den Robbenschlächtern insgesamt über drei Millionen kanadische Dollar pro Saison. Offizielle Begründung: Die Tiere dezimieren den Fischern die Kabeljau-Bestände. Quatsch, sagt Prof. Lavigne: „Robben ernähren sich viel mehr von den natürlichen Feinden des Kabeljaus. Je mehr Robben, desto mehr Fisch.“ Doch nun scheint der Fisch wirklich knapp zu werden.

Robben jagen nun Lachs in den Flüssen auf den Magdaleneninseln

Östlich von Kanada kann man seit Neuestem in den Flüssen auf Robben treffen, die sich über die Lachse hermachen. Das Fressverhalten der Robbe ist das eines Jägers. Sie frisst den Fisch nicht ganz, sondern mal nur den Kopf, mal etwas von der Mitte oder den Schwanz. So benötigt eine einzelne Robbe 8-10 kg Fisch an einem Tag. Das sind bei den 6 Millionen Robben in einem Fischgebiet gerade mal 60 Millionen kg Fisch pro Tag, die für die Fischer nutzlos geworden sind. Der Bestand der Robbenleibspeise – der Codfisch – hat sich stark dezimiert – einerseits durch den beachtlichen Bedarf der Robben und andererseits durch die kommerzielle Fischerei. Die Robben suchen nun landeinwärts in den Flüssen ihre Nahrung – und finden Lachs.

Für die Fischer ist die Robbe auch ein Fisch, und sie leben nun einmal von der Fischjagd; für sie ist Robbe oder Fisch das gleiche, es gehört zu ihrer Arbeit sie zu fangen. So ist es verständlich, dass die Fischer nicht gerne zusehen, wie die Fische von den Robben angebissen werden. Die Jagdmethoden werden von den Tierschützern stark kritisiert, aber von der Pelzindustrie als fortschrittlich bezeichnet. Die Jagd gehe sehr schnell, meinen die einen, die anderen sagen sie sei unvertretbar.

Von den 975.000 Robben, die innerhalb von 3 Jahren gefangen werden dürfen, sind für dieses Jahr etwa 300.000 übrig. Der Preis für das Robbenfell hat sich in den letzten 6 Jahren verdoppelt und ist im letzten Jahr um 25% gestiegen. 20 USD kostet ein Sqf ca. 30×30 cm Rohware. Nach der aufwendigen und der immer besseren Veredelung der Felle soll das Robbenfell so verfeinert werden können, dass es so weich und geschmeidig wie ein Lammfell ist. Kein Wunder, dass das Fell in Russland und Dänemark gefragt ist, auch in Frankreich wird es von dänischen Designern verwendet.

Robbenfelle in Deutschland

In Deutschland werden seit dem Verzicht auf Robbenfell keine Felle mehr verarbeitet. Gesichtet soll ein einziges Mal ein Robbenprodukt auf einer Surfmesse worden sein, des weiteren Stiefelaufsätze in Italien. Der Robbenfellmarkt ist in Europa gestorben. Wohin werden die Felle denn verkauft? Viele Robbenpelze gehen nach Russland, war die Antwort. Vermutlich weil die Russen die Eigenschaft des Felles – einmal gekauft und hält ewig warm – schätzen. Vor allem Mäntel werden gefertigt, Schuhe und Mützen, anderes kaum noch.

Dieses Beispiel des gut gemeinten Einsatzes für den Tierschutz gibt doch zu denken. Nicht dass die Aktion unbegründet gewesen wäre, das sicher nicht, bloß hat der Eifer nicht nur jene getroffen, die hätten getroffen werden sollen. Die Folge war soziale Armut und Subventionen für eine Saison, die in keinem Verhältnis zu den Robbenfellen und dem schwerverkäuflichen Fleisch stehen.




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