Vor dem NATO-Gipfel: Europäer wollen mit Erdogan über Offensive in Nordsyrien sprechen

Am Dienstag wollen die Staatschefs Deutschlands, Frankreichs und Großbritanniens mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan über den umstrittenen Einsatz in Nordsyrien sprechen. Das frostige Verhältnis zwischen der Türkei und ihren NATO-Partnern wird die Gespräche nicht einfacher machen.
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Die türkische Offensive in Nordsyrien sorgt für frostige Verhältnisse zwischen der Türkei und ihren europäischen NATO-Partnern.Foto: ILYAS AKENGIN/AFP/Getty Images
Epoch Times30. November 2019

Das Verhältnis zwischen der Türkei und ihren NATO-Partnern ist schon lange angespannt, doch so frostig wie seit der türkischen Offensive in Nordsyrien war es noch nie.

Im Vorfeld des NATO-Gipfels in London wollen Deutschland, Frankreich und Großbritannien am Dienstag nun eine Aussprache suchen mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan über den umstrittenen Einsatz gegen die kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG). Es werden schwierige Gespräche erwartet.

Merkel und Johnson kritisieren türkischen Einsatz

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat den türkischen Einsatz scharf kritisiert und gewarnt, er könne „zur Vertreibung größerer Teile der lokalen Bevölkerung, zur Destabilisierung der Region und zur Wiedererstarkung“ der Terrororganisation Islamischer Staat (IS) führen.

Auch der britische Premier Boris Johnson zeigte sich „zutiefst beunruhigt“ darüber und schränkte ebenso wie Berlin und Paris die Waffenexporte in die Türkei ein.

Erdogan nennt Macron „hirntot“ – Frankreich bestellt türkischen Botschafter ein

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron wertete die türkische Offensive sogar als Zeichen für den „Hirntod“ der NATO, da Ankara sie nicht mit den Partnern abgestimmt habe.

Erdogan warf Macron daraufhin am Freitag in einer wütenden Rede vor, selber „im Zustand des Hirntods“ zu sein. Frankreich reagierte empört auf die „Beleidigung“ des türkischen Staatschefs und bestellte Ankaras Botschafter in Paris ein.

Türkei: Einsatz ist keine „Besatzung“, sondern eine Anti-Terror-Operation

Schon vor diesem Streit hatte sich Erdogan dagegen verwahrt, dass der Einsatz von den Europäern als „Besatzung“ bezeichnet wird. Aus Sicht der Türkei handelt es sich um eine notwendige Anti-Terror-Operation zum Schutz ihres Territoriums. Sie betrachtet die YPG als Bedrohung, da sie eng verbunden ist mit der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), die seit Jahrzehnten gegen den türkischen Staat kämpft.

Die Europäer äußerten zwar Verständnis für die „Sicherheitsinteressen“ der Türkei, doch rechtfertigen diese aus ihrer Sicht nicht die Offensive. Sie fürchten, dass der Einsatz den gemeinsamen Kampf gegen die IS-Terroristen schwächt, in dem die YPG eine zentrale Rolle spielte. Die USA lieferten der Kurdenmiliz dafür über Jahre Waffen, und auch französische Spezialkräfte unterstützten sie gegen die Islamisten.

Unübersichtliche Situation: Vier Parteien in Gefechten

Die Türkei hat zwar ihre Offensive Mitte Oktober eingestellt, nachdem die USA und Russland zusagten, für den Abzug der YPG-Kämpfer aus dem Grenzgebiet zu sorgen. Doch die Situation bleibt unruhig und unübersichtlich.

Teile der Grenzregion sind nun unter Kontrolle der türkischen Armee und verbündeter syrischer Rebellenmilizen. In anderen sind die syrischen Regierungstruppen und die russische Militärpolizei eingerückt.

Die Russen haben etliche US-Stützpunkte übernommen, nachdem Präsident Donald Trump Anfang Oktober den Abzug der Truppen angeordnet hatte. In Teilen der Grenzregion sind aber noch immer US-Spezialkräfte präsent.

Immer wieder gibt es Gefechte zwischen der türkischen Armee und verbündeten syrischen Milizen einerseits und den kurdischen Kräften und den Truppen von Machthaber Baschar al-Assad andererseits.

Vertreibungen und Anschläge

Von den 190.000 Flüchtlingen sind nach Angaben der UNO die meisten in ihre Häuser zurückgekehrt, doch bleiben 74.000 vertrieben. Human Rights Watch warf den protürkischen Milizen vor, kurdische Einwohner an der Rückkehr zu hindern. Dies könne ebenso wie willkürliche Hinrichtungen, Plünderungen und die illegale Beschlagnahme von Eigentum ein Kriegsverbrechen darstellen, warnte die Menschenrechtsgruppe.

In der türkischen Besatzungszone mehren sich die Anschläge. Seit Anfang November wurden in Tal Abjad, Ras al-Ain und Al-Bab laut der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte mit dem Sitz in London mehr als 60 Menschen durch Autobomben getötet.

Meist richteten sie sich gegen protürkische Kämpfer, doch starben auch viele Zivilisten. Die Türkei machte die YPG für die Anschläge verantwortlich, doch könnte teils auch der IS dahinter stecken.

Türkei will eine Million syrische Flüchtlinge in der Türkei in Nordsyrien ansiedeln

Trotz der Gewalt sind einige dutzende syrische Flüchtlinge aus der Türkei nach Nordsyrien zurückgekehrt. Langfristig will Erdogan eine Million der 3,6 Millionen Syrer in der Türkei dort ansiedeln.

In London will er dafür werben, dass die Europäer einen Teil der Kosten für die Siedlungen übernehmen, die er errichten will. Doch die Europäer haben erhebliche Vorbehalte gegen die Pläne. (afp)



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